Zwei Paar Füße hängen aus einem Bett.
Sind am Ende alle zufrieden? Selbst wenn nicht, muss das nicht zwingend ein Problem sein. Bildrechte: Colourbox.de

Sexual-Forschung Wie beim Sex gelogen wird und warum das vielleicht gar nicht so schlimm ist

12. Februar 2022, 15:00 Uhr

Frauen faken Befriedigung, um Männer zu schützen. Dadurch verzichten sie selbst auf die eigene Befriedigung. Über eigene Wünsche reden, könnte helfen. Und wem vor dem Reden graust, für den gibt es Hilfe.

Dass manche Menschen im Bett Höhepunkte und sexuelle Befriedigung vortäuschen, ist nicht neu. Dass manche Frauen das tun, um die Männlichkeit ihrer Sexualpartner zu schützen, ist jetzt durch eine Studie in den USA das erste Mal wissenschaftlich belegt worden. Studienautorin und Sexualforscherin Jessica Jordan sagt: "Frauen geben dem, was sie glauben, dass ihre Partner brauchen, Vorrang vor ihren eigenen sexuellen Bedürfnissen und ihrer eigenen Befriedigung." Mit dem Ergebnis, dass die eigenen sexuellen Wünsche und Vorlieben dieser Frauen unbefriedigt bleiben.

Dieser Effekt wurde für drei verschiedene Paar-Szenarien nachgewiesen. Einmal bei Frauen, die sich der unsicheren Männlichkeit ihrer Partner bewusst waren. Einmal bei Frauen, die mehr Geld nach Hause brachten als ihre Männer. Von denen fakte mehr als die Hälfte sexuelle Befriedigung. Bei einer dritten befragten Gruppe stellten sich Frauen nur vor, einen Mann mit fragilen Männlichkeitsbild vor sich zu haben. Auch sie würden über unbefriedigenden Sex schweigen. Was steckt hinter diesem Lustverzicht? Und was ist eigentlich fragile Männlichkeit?

Wenn Männer Angst haben, nicht zu genügen

Fragile Männlichkeit bezeichnet eine Form von Sorge oder Angst von Männern, die das Gefühl haben, kulturelle und gesellschaftliche Standards des Männlichseins, also der Geschlechtsrolle, nicht zu erfüllen, heißt es in der Studie. Und damit geht jeder anders um, erklärt Sexual-Psychologin Dr. Andrea Burri. Sie ist Mitglied der Europäischen Bildungskommission für sexuelle Gesundheit und beschreibt, wo sich fragile Männlichkeit zeigt: "Bisweilen versuchen Männer durch ihr Verhalten oder ihre Einstellungen, den in ihren Augen bedrohten Status des 'richtigen Mannseins' wieder herzustellen. Einige müssen überkompensieren, wie zum Beispiel: nie Emotionen in der Öffentlichkeit zeigen, übertrieben dominant und fast schon etwas fordernd daherkommen, Frauen entwerten, etc." Andere Männer akzeptierten dagegen ihre fragile Männlichkeit, führt Burri weiter aus, und gingen gut damit um. Und nicht immer stecke hinter den oben genannten Verhaltensweisen eine fragile Männlichkeit.

Wieviel Gewicht gibt man Sex in der Beziehung?

Wenn eine Person in einer Beziehung auf eigene Lustbefriedigung verzichtet, um die Beziehung zu erhalten oder stabilisieren, klingt das zunächst problematisch. Professor Heinz-Jürgen Voß lehrt und forscht zu Sexualität und Beziehungen an der Hochschule Merseburg in Sachsen-Anhalt. Ihm zufolge sind Strategien zur Stabilisierung von Beziehungen an sich nicht selten, unabhängig von finanziellen Ungleichgewichten bei Paaren. In einer der Merseburger Studien berichteten Voß zufolge 22 Prozent der Männer und sechs Prozent der Frauen, über vorzeitige Höhepunkte, und ein Teil von ihnen werte das auch selbstkritisch als Problem. Diese kritische Selbstreflektion versteht der Forscher als Chance. Werde in einer Partnerschaft gut über sexuelle Bedürfnisse gesprochen, könne das dazu beitragen, dass beide Personen befriedigende Sexualität erleben.

Allerdings: Selbst wenn Leute ahnen, was sie mögen, wissen sie noch nicht unbedingt, wie sie es einfordern sollen, sagt wiederum Dr. Andrea Burri: "Schlussendlich muss es auch umgesetzt werden können. Das bedingt, dass der Partner/die Partnerin auch eine Form von sexueller Empathie besitzt. Das ist auch nicht immer gegeben."

Ein Paar liegt auf einem Bett.
Was tut mir gut? Bildrechte: IMAGO / Shotshop

Und auch nicht immer kennen sich alle gut aus mit der eigenen Sexualität, was guttut, was nicht. Für Forscher Hans-Jürgen Voß fängt das schon damit an, "dass in der Schule endlich die Geschlechtsanatomie korrekt gelehrt und auch die Erregungszustände von Mädchen erklärt werden." Ein erster Schritt in diese Richtung: Die Selbsterkundung des eigenen Körpers. Dass das häufiger und früher geschieht, zeigen Voß zufolge ebenfalls die Merseburger Studien. "In den 1980er-Jahren gaben nur 17 Prozent der Befragten 15- bis 18-jährigen Mädchen und jungen Frauen an, sich selbst zu befriedigen. Heute sind wir bei einer Größenordnung von 80 Prozent, die erkunden, was tut mir gut, wie komme ich zum Orgasmus." Ähnlich sieht es Andrea Burri. Gut über Sexualität zu reden, setze voraus, dass man wisse, was man wolle. Oft wüssten Menschen gar nicht, was sie fordern sollten: "Viele Frauen kennen sich und ihren Körper und das große Spektrum an sexuellen Befriedigungsmöglichkeiten gar nicht."

Sexuelle Selbstreflektion: Chance oder Druckauslöser?

Dass sich so viele Menschen Gedanken über ihre sexuelle Funktionsfähigkeit machen, spiegelt Voß zufolge das Bild einer Gesellschaft wider, "in der wir kontinuierlich sexuell funktionieren sollen." Ähnliches beschreibt die Sexual-Psychologin Burri aus ihrer Praxis: "Menschen machen sich Druck, weil alles so sexualisiert daherkommt und der Sexualität ein solch wichtiger Stellenwert zugeschrieben wird." Entsprechend auch die Fragen, mit denen Dr. Burri in ihrer Praxis konfrontiert wird, wenn Männer Rat suchen wegen Erektionsproblemen. "Weil der Körper eigentlich nicht möchte, sie aber der Frau gefallen möchten, respektive ihr den Gefallen tun. Und weil sie denken, es gehört zu einem 'richtigen Mann' dazu, dass er auch im Bett stets Feuer und Flamme ist."

Eine andere Quelle für das Bild von Sexualität stammt aus den Medien. Sexuell selbstbestimmte Frauen in Film oder Literatur sind selten. "Prägend ist das Bild des verführenden Mannes, auf den die Frau sich einlässt und von dem sie sich leiten lässt und es gefällt ihr so, so beschreibt Dr. Andrea Burri den Ist-Zustand. Könnte sich das ändern? Bis stereotype Verhaltensmuster aufbrechen, braucht es Zeit, meint die Expertin. Wie langsam sich stereotype Darstellungen der Geschlechter in Filmen wandeln, zeigen Studien aus Rostock. Die jüngst veröffentlichte Rostocker Studie zu Sichtbarkeit und Vielfalt im Film zeigt nur minimale Fortschritte in Sachen Geschlechter-Diversität in Filmen.

Sexuelle Unlust
Schweigen ist nicht immer Gold. Zu befriedigendem Sex führt Schweigen nicht. Bildrechte: Colourbox

Und nicht zuletzt, ob jemand mitmacht beim Sex oder sagt, was er oder sie will, hat Sexual-Psychologin Andrea Burri zufolge auch mit dem Alter zu tun: "Ist man jünger, fordert man weniger, da man noch weniger Ahnung hat oder noch nicht selbstsicher genug ist."

Was sind die Eckpfeiler einer Beziehung?

Dr. Burri wirft schließlich noch einen ganz anderen Aspekt in den Ring. Sie sagt: "Sex ist was Wichtiges und Schönes. Aber es muss nicht für jeden so sein und es muss auch nicht für jeden die gleiche Wichtigkeit haben." Entsprechend sollte es nicht nur negativ gewertet werden, rät Burri, wenn die Frau "im Bett gefallen möchte". Dafür kann es verschiedenste Gründe geben. "Vielleicht wollen einige Frauen auch gar nichts fordern, weil es gut ist, so wie es ist. Vielleicht sind die anderen Pfeiler einer Beziehung oder die reine Nähe und Intimität unabhängig vom Sex für viele Frauen erfüllender und wichtiger, so dass sie der Sexualität nicht einen so wichtigen Stellenwert zuschreiben."

Wissen

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