Weltraumphysik Mission unklar: Wie Internet-Satelliten eine Gefahr für die Erde werden könnten

21. März 2024, 10:15 Uhr

Tausende schwirren schon im Orbit, zehntausende kommen noch: Internetsatelliten wie Starlink sollten die Welt endgültig vernetzen. Forschende befürchten aber, dass die Satelliten sich negative auf unsere Atmosphäre auswirken. Außerdem stellen sie ein Problem bei der Weltraumbeobachtung dar. Das könnte unter Umständen nicht zuletzt die Sicherheit der Erde beeinträchtigen.

Langzeitbelichtet bei Nacht: Einsames altes Haus vor großer Freifläche, darüber Sternenhimmel und lange Lichtspur durch Starlink-Satelliten (ähnlich wie Sternschnuppe)
Jwd, Janz weit draußen und trotzdem online: Mit Satelliten wie von Starlink – hier ein paar Exemplare als Lichtspur – soll es überall auf der Welt Internet geben. Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Reed Hoffmann

Wird Zeit, dass eines der beliebtesten Wiegenlieder der vergangenen zweihundert Jahre endlich modernisiert wird: "Weißt Du wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?" wird künftig vielleicht die falsche Frage zur späten Stund' sein. "Weißt Du wie viel Starlinks stehen …?" klingt da schon zeitgeistlicher. Tatsächlich kann man diese kleinen Satelliten, mit denen Technikpionier Elon Musk auch die entlegendsten Orte der Welt ans Internet anschließen möchte, immer wieder am Firmament glitzern sehen. Und tatsächlich tragen sie ihren Teil dazu bei, dass es auf der Erde nicht mehr richtig dunkel wird (und Wiegenlieder immer notwendiger werden).

Im Mai waren es schon mehr als 1.600 Starlink-Satelliten im Orbit, bis 2027 sollen es fast zwölftausend werden. Anträge für dreißigtausend weitere fliegenden Internetverstärker laufen, was die Zahl der von der Erde entsandten künstlichen Himmelskörper seit Sputnik Ende der 1950er-Jahre um ein Vielfaches in die Höhe treibt. Wir stehen also im Grunde erst am Anfang, was auch die Ambitionen Chinas zeigen. China Satellite Network Group heißt das neue staatliche Unternehmen, mit dem das Reich der Mitte ein Meganetz aus Internetsatelliten aufbauen möchte. Zwanzigtausend sind geplant. Hinzu kommen künftig tausende Satelliten von Amazon (Projekt Kuiper) und dem von einer zwischenzeitlichen Insolvenz gebeutelten Unternehmen OneWeb.

Sagen wir's mal so: Irgendwann ist es halt voll da oben. Vielleicht scheint auch deshalb gerade so eine Goldrauschstimmung zu herrschen – Claims abstecken heißt die Devise im erdnahen Weltraum. Und während der Abbau von Gold für die irdische Natur ein nicht ganz unerheblicher Eingriff ist, tun sich auch bei der Goldgräberstimmung im Orbit mögliche Umweltprobleme auf.

Verglühen heißt nicht: Weg isses

So ist nicht nur Weltraumschrott die Schattenseite der Raumfahrt, die sich durch wild umherschwirrende Trümmerteile quasi selbst zum Verhängnis wird. Auch das Großreinemachen in der Umlaufbahn stellt sich als problematisch heraus. Wie bei technischen Gadgets üblich, geben auch Internetsatelliten irgendwann ihren Geist auf. Das Produkt von OneWeb ist etwa auf eine Haltbarkeit von fünf Jahren ausgelegt. Theoretisch lässt sich der kaputte Satellit durch ein Abstürzen auf die Erde aus dem Weg räumen – entweder gezielt oder es passiert irgendwann von alleine. Die Hitzeentwicklung beim Wiedereintritt in die Atmosphäre sorgt dafür, dass das Ding einfach verglüht.

Allerdings dabei nicht weggezaubert wird, darauf weißt Gerhard Drolshagen gegenüber MDR WISSEN hin. Er ist Astrophysiker an der Uni Oldenburg und hat sich zuvor dreißig Jahre lang bei der europäischen Weltraumbehörde Esa mit dem Thema Weltraumumgebung befasst. "Verglühen bedeutet ja nicht, dass das Material dann weg ist. Als Gasteilchen oder kleines Staubteilchen bleibt das in der Atmosphäre. Und sinkt dann ganz langsam zu Boden."

📡 Warum Internet über Satellit? Satelliteninternet ist keine neue Erfindung und war vor der gut ausgebauten LTE-Verfügbarkeit auch in Deutschland eine naheliegende Option, wenn es um DSL- oder Kabelinternet schlecht aussah. Mit der neuen Generation an Internetsatelliten sollen entlegene Gebiete auf der Erde mit einem Breitbandanschluss versorgt werden – auch die Ozeane. Allerdings sind trotz schneller Geschwindigkeit höhere Verzögerungen beim Senden der Abrufsignale zu erwarten. Als Nachteile werden auch Wetteranfälligkeit sowie Inkompatibilät für VPN-Verbindungen genannt, virtuelle private Netzwerke. Durch solche "Tunnel" ist es z.B. in China möglich, die staatliche Internetzensur zu umgehen.

Nicht nur Satelliten verglühen, auch natürliche Objekte – Stichwort Meteorite. Deren Reste sinken nach dem Verglühen zur Erde, etwa fünfzig Tonnen am Tag sind das laut Drolshagen – das meiste als Staubpartikel. Mit der ersten Starlink-Generation wird erwartet, dass künftig täglich etwa zwei Tonnen "totes Satellitenmaterial" auf die Erde gelangt. Also Peanuts, so vergleichsweise.

Auswirkungen auf Atmosphäre und Ozonschicht noch ungeklärt

Allerdings: Meteorite bestehen aus Gestein. Und Satelliten oft vor allem aus Aluminium, weil es leicht und stabil ist. Und hier besteht das Potenzial, die Chemie der oberen Atmosphäre – dort, wo sie verglühen – zu verändern. Zu diesem Schluss kommen Forschende der University of British Columbia im kanadischen Vancouver. Durch die Verbrennung von Aluminium entsteht Aluminiumoxid, dessen Auswirkungen auf die Atmosphäre ungeklärt ist. Das Aluminium könne sich zudem auch negativ auf die Ozonschicht auswirken.

Noch sind die tatsächlichen Folgen nicht geklärt. Der Appell der Forschenden dürfte aber klar sein: Lieber frühzeitig die Augen offenhalten, als sie viel zu spät erstaunt aufreißen. Auch Gerhard Drolshagen kann nicht beurteilen, welche Auswirkungen die Reste der Megakonstellationen an Internetsatelliten auf Umwelt und Klima haben werden. Er weist allerdings darauf hin, dass Starlink und Co. noch weitere Schattenseiten nach sich ziehen: "Wenn ich da fünfzig-, sechzigtausend Satelliten rumfliegen habe, dann stört das auch die Beobachtung des Weltraums", stellt der Physiker fest. "Wenn ich zum Beispiel nach gefährlichen Asteroiden suche."

Das sind, mit Verlaub, im wahrsten Sinne des Wortes nicht die besten Aussichten. Die neuen Satelliten müssen zudem miteinander sowie mit Bodenstationen kommunizieren. Dieses hohe Kommunikationsaufkommen könne sich negativ auf andere Kommunikationskanäle auswirken, so Drolshagen:

Als Weltraumforscher bin ich nicht begeistert von diesen Megakonstellationen.

Dr. Gerhard Drolshagen Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Diese Einstellung darf nicht als konservativ missverstanden werden, sondern ist eher eine verbale Sorgenfalte. Berechtigt – auch angesichts einer Anekdote, auf die die Forschenden aus Vancouver in ihrem Paper hinweisen: 2019 musste die Esa einen Erdbeobachtungssatelliten verlegen, um eine Kollision mit einem Starlink-Satelliten zu vermeiden – nachdem sie die Starlink-Betreibergesellschaft SpaceX nicht per E-Mail erreichen konnte.

Bisschen mehr Kontrolle wär' gut

Nun stehen der Konkurrenzkampf bei der Claim-Absteckung fürs Satelliteninternet auf der einen und zwingend notwendige Absprachen auf der anderen Seite. Auch der Astrophysiker Jonathan McDowell vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge (USA) appelliert daran, lieber früh als spät zu handeln. Gegenüber der Deutschen Presseagentur schlägt er vor, ein Aufsichtsorgan zur Kontrolle des internationalen Verkehrs im Weltraum zu schaffen, um die Risiken zu mindern. Außerdem müsse durch die Begrenzung der Satellitenzahl in bestimmten Höhen eine Überbelegung verhindert werden.

Während entlegenere Orte also davon profitieren, den Anschluss an die Welt nicht zu verlieren, stellt sich die Frage: Um welchen Preis? Abschätzen lassen sich die Folgen des Wettlaufs um das beste Weltrauminternet noch nicht. Höchstens eben, dass ein bekanntes Schlaflied bald umgedichtet werden muss.

Link zum Paper

Satellite mega-constellations create risks in Low Earth Orbit, the atmosphere and on Earth erschien am 20. Mai 2021 in Scientific Reports.

DOI: 10.1038/s41598-021-89909-7

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