Christvesper mit Krippenspiel in der evangelischen Kirche in Grossstaedteln bei Leipzig an Heiligabend, 2017
Weihnachten sind die Kirchen voller als im Rest des Jahres. Bildrechte: imago/epd

Tradition vs. Familienfrieden Wenn das Pubertier zu Weihnachten nicht in die Kirche will

23. Dezember 2022, 17:23 Uhr

Für manche Familien ist der Kirchgang am Heiligen Abend nach wie vor Tradition, und natürlich gehen alle gemeinsam. Was aber, wenn der Nachwuchs nicht mehr mitgehen will? Wenn er Religion überhaupt in Frage stellt? Zwingen, überreden oder lieber machen lassen?

Darüber scheiden sich die Geister – zumindest wissen wir das für amerikanische Eltern. Denn die antworteten auf eine repräsentative Umfrage des C.S. Mott Children’s Hospital an der University of Michigan Health. Von 1.090 Eltern mit 13- bis 18-jährigen Kindern hatten knapp die Hälfte angegeben, auf den gemeinsamen Weihnachtsgottesdienst zu bestehen, zumindest bis der Nachwuchs 18 Jahre alt sei. Die andere Hälfte würde mit ihren Kindern diskutieren, sie am Ende jedoch selbst entscheiden lassen.

Gemeinsamer Kirchgang: Konfliktpotential für die Feiertage

Heranwachsende hätten ein Bedürfnis nach mehr Unabhängigkeit, auch im Hinblick auf ihre Überzeugungen und Lebensstilentscheidungen, erklärt Susan Woolford, die Co-Direktorin der Forschungseinrichtung. Damit stünden sie auch vor der Frage, ob sie die Glaubenstraditionen der Familie übernehmen sollen. Entschieden sie sich dagegen, könne das besonders an den Feiertagen zu Spannungen und Konflikten führen.

Eltern können die Verweigerung als Ablehnung ihrer geschätzten Tradition empfinden.

Susan Woolford, Kinderärztin

Doch es gibt offenbar noch einen weiteren Grund dafür, dass den Eltern der Kirchgang ihrer Kinder wichtig ist: die Überzeugung, dass er ihnen gut tut. Die Mehrheit der befragten Erziehungsberechtigten ist der Ansicht, dass der Glaube Teenagern hilft, ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu empfinden, und dass sich das positiv auf ihr allgemeines Wohlbefinden auswirkt.

Freiwilligkeit ist oberstes Gebot – in den USA und auch hierzulande

Ganz gleich, warum sich Eltern gerade zu Weihnachten den Gottesdienstbesuch in und mit der Familie wünschen: Zwang sei immer kontraproduktiv, so die Forschenden. Birgit Silberbach, Pfarrerin der Gemeinde Trebsen im Südraum von Leipzig, teilt diese Erfahrung. "Die Freiwilligkeit sollte immer das oberste Gebot bleiben und Kirche darf und soll auch Spaß machen", betont sie und meint damit das Zusammensein mit Gleichaltrigen, das Singen im Chor oder beim Krippenspiel dabei zu sein und so den Weihnachtsgottesdienst mitzugestalten. All das beginnt für sie schon im Kinderkreis, in der Christenlehre. Wer sich dort wohlfühlt, Freunde findet und eine enge Verbundenheit entwickelt, bleibt wahrscheinlich auch als Teenager gern in der Jungen Gemeinde und darüber hinaus dabei.

Im Gegensatz zu Familien in den USA sei die Zugehörigkeit zu Kirche in der Region von vornherein viel weniger vorhanden, so Birgit Silberbach. Umso wichtiger ist für sie eine echte Bindung durch schöne Erfahrungen anstelle von Druck. Das gilt natürlich auch außerhalb des Weihnachtsfestes fürs ganze Kirchenjahr. Aber es sei hierzulande je nach Gemeinde auch schwerer geworden, eine ansprechende Kinder- und Jugendarbeit zu leisten. Die Pandemie habe Spuren hinterlassen und auch hier fehlten, wie überall, Mitarbeiter.

Es bedarf eines neuen Bewusstseins, sich auch wieder in den Gemeinden zusammenfinden zu wollen.

Birgit Silberbach, Pfarrerin in Trebsen/Mulde

Dass Teenager auch ohne organisierte Religion Spiritualität leben können, davon ist die überwiegende Mehrheit der an der Michigan University befragten Eltern überzeugt. Die Forschenden sehen darin eine Chance, trotz unterschiedlicher Auffassungen mit den heranwachsenden Kindern über Religion im Gespräch zu bleiben, Beweggründe zu hinterfragen und damit Spannungen rund um den weihnachtlichen Kirchenbesuch abzubauen. Außerdem sollten Mütter und Väter Glaube und Tradition nicht an diesem einen Ereignis festmachen, sondern sollten verschiedene Wege zulassen: gemeinnützige Arbeit zu leisten, soziale Initiativen zu unterstützen oder sich für Naturschutz einzusetzen.

Wenn man sich auf den Geist der Weihnacht konzentriert und Teenagern eine gewisse Flexibilität bei der Auseinandersetzung mit Familientraditionen und Gottesdiensten lässt, können Konflikte über die Feiertage verringert werden.

Susan Woolford

Weihnachten und Kirche bei uns?

Weihnachten in die Kirche: für 15 bis 22 Prozent der Deutschen gehört das zum Fest dazu – je nachdem, welche Umfrage man nimmt, die von Yougov im Netz (22 % Männer, 23 % Frauen) oder die der Universität der Bundeswehr München.
Letztere hat sogar einen deutlichen Abwärtstrend ausgemacht, denn 2019 gaben noch 24 Prozent der Befragten an, Weihnachten in die Kirche zu gehen.

krm

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 24. Dezember 2022 | 23:35 Uhr