Podcast Die großen Fragen: Warum gibt es böse Menschen?
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15. November 2022, 08:57 Uhr
Gut und Böse sind Grundtendenzen unserer Existenz. Aber warum entscheiden sich manche Menschen für die dunkle Seite, für das Böse, und was macht wirklich böse Menschen eigentlich aus? Karsten Möbius sucht nach Antworten.
Würden Sie von sich behaupten, dass Sie böse sind? Wahrscheinlich eher nicht. Grundsätzlich liegt es in uns, gut sein zu wollen – so die Behauptung. Und trotzdem wird es den einen oder anderen Nachbarn geben, der möglicherweise behauptet, wir seien böse. Gut und Böse sind also moralische Kategorien und sind abhängig vom Standpunkt.
Das ist das eine. Aber hier soll es auch um das wirklich Böse, das unstrittig Böse gehen und die Frage, warum gibt es Menschen, die richtig böse sind. Adolf Hitler zum Beispiel oder KZ-Aufseher, Serienmörder, Vergewaltiger ...
Böse ist in der Psychologie keine Diagnose
Einer, der tief ins Schwarz der Seele geblickt hat, ist der österreichische Psychiater Reinhard Haller. Als forensisch-psychiatrischer Gutachter hat er die Bösen der Bösen getroffen: Den Sexualmörder Jack Unterweger, den NS-Euthanasie-Arzt Heinrich Gross und den Briefbombenattentäter Franz Fuchs, um einige zu nennen. Böse aber ist in der Psychologie keine Diagnose. Böse Menschen gibt es dort nicht. Das was für uns am meisten das Böse verkörpert, wird in der Psychologie mit der Persönlichkeitsstörung bösartiger oder maligner Narzissmus beschrieben.
"Dieses Syndrom des bösartigen Narzissmus hat man bei 98 Prozent der amerikanischen Serienkiller nachweisen können und wir können diese Persönlichkeitsstruktur letztlich auch beschreiben, bei den großen Despoten der Menschheit: Von Iwan dem Schrecklichen, Kaiser Nero, Adolf Hitler bis Josef Stalin oder Pol Pot, da hat man das immer feststellen können. Die sind nicht geisteskrank, sondern sie sind bösartige Narzissten und das ist das, was psychologisch das Böse am meisten verkörpert", erklärt Reinhard Haller.
Selbstwert auf Kosten anderer
Die Ursache des Bösen hat also eine Diagnose, hätte also eine Abrechnungsnummer auf dem Krankenschein? Bösartige Narzissten lassen sich so beschreiben: Sie leben ihren Selbstwert auf Kosten anderer aus. Das bedeutet: Sie fühlen sich eigentlich minderwertig. Um das zu ändern, unterdrücken und quälen sie ihre Mitmenschen, erklärt Haller:
"Diese Menschen haben ein hohes Maß an Sadismus, also auch durchaus sexuellen Sadismus, das sich auch in der Form des Quälens anderer besonders äußern kann. Sie sind dissozial, das heißt, sie halten sich an keine Regeln. Die Gesetze der Moral, der Ethik und des Strafrechts gelten für sie nicht. Sie schaffen sich ihre eigenen Gesetze, in denen sie im Mittelpunkt stehen und in denen sie über Leben und Tod und das Schicksal anderer Menschen bestimmen. Und sie sind schließlich in einem hohen Maße misstrauisch, d.h. sie sehen in jedem Mitmenschen einen Feind, den es zu bekämpfen gilt."
Das Problem beginnt, wenn Narzissten viel Macht bekommen
Solche wirklich bösen Menschen gibt es sehr, sehr wenige. Psychologe Haller beziffert sie auf 0,01 Prozent. Das Problem beginnt dann, wenn solche Narzissten viel Macht bekommen und dann gar einen Krieg anzetteln können. Krieg ist der Vater des Bösen, sagt Haller. Auf einer kalten kognitiven Ebene werden die Gegner entmenschlicht, Mitgefühl wird abgestellt.
Im Krieg wird gefoltert und getötet. Hier zeigt sich das Böse von seiner schlimmsten Seite. Aber selbst dann springt einem das Böse nicht frontal ins Gesicht. Man sieht immer nur die brutalen Verbrechen, die aber immer oder meist mit hehren Motiven, guten Absichten, Visionen begründet werden. Denn selbst die Bösen wollen sich selten eingestehen, dass sie wirklich böse sind.
Von Täuschung und Selbsttäuschung
Keine Armee zieht in einen Krieg in dem Selbstverständnis, der Böse zu sein. Das sind immer die anderen. Kreuzzüge, der zweite Weltkrieg und auch jetzt der russische Invasionskrieg: Alle Aggressoren sehen sich auf der guten Seite der Weltgeschichte, als Befreier, als Opfer, als Rächer.
"Hier spielt die Täuschung eine große Rolle, die Selbsttäuschung", erklärt der Philosoph Jörg Noller. "Man glaubt häufig, wenn man böse handelt, man tue das Gute, aber täuscht sich darüber und tut eigentlich das Böse. Das macht das Böse so gefährlich, weil diejenigen die böse handeln, eigentlich häufig glauben, sie täten das Gute."
Uns selbst zu täuschen, darin sind wir Menschen wirklich gut. Glauben wir heute nicht alle, wir hätten im Zweiten Weltkrieg Juden versteckt oder wären in den Widerstand gegangen?
Das Böse versteckt sich im Alltag
Das Böse kann sich sehr schnell im Alltag verstecken, zum Normalen werden, zur Pflichterfüllung. Hannah Arendt hat in diesem Zusammenhang den Begriff "die Banalität des Bösen" geprägt. Der Begriff tauchte ursprünglich in ihrem Prozessbericht auf, über den deutsche SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann. Der war mitverantwortlich für die Ermordung von rund sechs Millionen Menschen. Eindeutig ein durch und durch böser Mensch, oder? Hannah Arendt beschrieb ihn als banal, als eine Person, der man "beim besten Willen keine dämonische Tiefe abgewinnen könne". Philosoph Noller erklärt:
"Die Banalität des Bösen meint jetzt nicht, dass Adolf Eichmann banal war, dass seine Taten banal waren, sondern vielmehr, dass Adolf Eichmann und auch andere Funktionäre in dieser Zeit sich nur den Anschein der Banalität gegeben haben. Sie haben sich nur als kleines Rädchen im Getriebe stilisiert, das doch eigentlich gar keine Verantwortung zu übernehmen hat. Und diesen Begriff finde ich deswegen so spannend, weil er doch recht schillernd ist. Er sollte nicht so verstanden werden, dass das Böse banal ist. Ganz im Gegenteil. Das Böse verleiht sich den Anschein der Banalität. Und deswegen täuscht uns auch das moderne Böse so häufig, weil wir glauben, dass wir gar nicht verantwortlich seien, weil wir doch nur kleine Rädchen im Getriebe sind."
Gut oder Böse – Grundtendenzen unserer Existenz
Wechseln wir also die Perspektive: Um "gut" zu sein, müssen wir demnach Verantwortung tragen. Es reicht eben nicht zu sagen: Es wurde von mir verlangt. Philosophisch betrachtet, hängt diese Verantwortung damit zusammen, dass wir uns ja auch anders entscheiden können. Denn wir haben ja nicht nur die Möglichkeit Böses zu tun, sondern eben auch Gutes.
"Der Mensch hat in sich als freies Wesen immer Tendenzen zum Guten wie zum Bösen", so Philosoph Noller. "Immanuel Kant spricht von einem Hang zum Bösen, der jedem Menschen mitgegeben ist, aber auch von einer Anlage zum Guten, die auch jeder Mensch als Mensch, als freies Wesen hat. Das heißt, wir haben in uns gewisse Neigungen nicht das Gutes tun, also uns selbst über die Interessen der anderen zu stellen, unser eigenes Ding zu drehen, das ist so ein bisschen der Hang zum Bösen. Wir haben aber auch eine Anlage zum Guten, nämlich mit anderen zu kooperieren, anderen etwas zu gönnen, mit anderen zu kommunizieren auf eine konstruktive Weise. Beides sind Grundtendenz unserer Existenz. Sie machen uns als Menschen aus, als freie Wesen."
Menschen per se als gut oder böse zu beschreiben, wäre immer eine Verkürzung
Der Mensch ist somit von Natur aus weder gut noch böse. Er ist immer beides und kann immer beides sein. Menschen per se als gut oder böse zu beschreiben, wäre immer eine Verkürzung, sagt die evangelische Theologin und Philosophin Petra Bahr. Man sollte immer unterscheiden zwischen einem Menschen und seiner Tat, seinem Werk, wie sie es nennt.
"Wenn man sagt: Dieser Mensch ist böse, sagt man eigentlich nur, dieser Mensch hat sich in eine ganz fürchterliche Weltsicht verstrickt oder plant oder hat sie gar durchgesetzt, eine böse Tat. Aber die Unterscheidung von Person und Werk zieht sich in den biblischen Traditionen bis hin zum Schlimmsten, also bis hin zu Judas dem Verräter. Da gibt es große Abhandlungen schon im Mittelalter: Wieso Gott Judas trotzdem liebt, aber diese fürchterliche Tat des Liebesverrats verachtet."
Man muss bereit sein, sich von außen korrigieren zu lassen
Auch der Philosoph Jörg Noller ist der Meinung: Charakterisieren wir einen Menschen als böse, nehmen wir ihm die Freiheit, sich wieder zum Guten zu entwickeln. Es kann also durchaus böse von uns sein, andere Menschen böse zu nennen. Für Hitler und Stalin ist die Nummer vielleicht gelaufen. Für die meisten anderen aber gibt es durchaus Wege zurück.
Das Christentum schlägt vor, einander zu vergeben. Derjenige, der böse gehandelt hat, muss um Vergebung bitten. Genauso wichtig ist dann, der Person auch zu vergeben. Schließlich geht es bei einer bösen Tat am Ende immer auch um die Opfer. Wie geht es ihnen damit? Machen nicht ihre Reaktion oder ihre Gefühle die böse Tat am Ende erst böse? Der entscheidende Punkt ist immer die Empathie, sich in andere hineinzuversetzen. Eine Fähigkeit, die Psychopathen zum Beispiel fehlt. Philosoph Jörg Noller schlägt vor, immer eine Außenperspektive zuzulassen:
"Man kann häufig im Bösen nicht alleine entscheiden, ob es jetzt böse ist, sondern man sollte sich öffnen in seinen Handlungen für die Urteile von anderen Menschen. Das heißt, man braucht immer eine Außenperspektive und kann sehr schlecht selbst beurteilen, ob das, was man tut, eigentlich gut oder böse ist. Das heißt, man muss bereit sein, sich immer auch von außen korrigieren zu lassen."
Balance-Akt ohne scharfe Grenzen
Wenn ich also stur mein Ding durchziehe, rücksichtslos über Leichen gehe, mein Wohl vor das der anderen stelle, dann kann ich davon ausgehen, dass da grade eine Menge passiert, was als böse wahrgenommen wird. Lasse ich andere Meinungen zu und kooperiere, dann wird die Wahrnehmung, von dem, was ich tue und wer ich bin, eine andere sein. Ein Balance-Akt ohne scharfe Grenzen.
Wahrscheinlich haben wir alle einen inneren Kompass, was gut und was böse ist, das vermutet zumindest Psychologe Reinhard Haller. Er geht von einem inneren Moralinstinkt aus. Manchmal setzt der aber ganz kurz aus. Wenn wir im Rausch handeln. Oder im Affekt. Denn genau dann passieren die meisten bösen Taten. Die Rede ist von zwischenmenschlichen Konflikten in den eigenen vier Wänden, so Haller:
"Das schaukelt sich gegenseitig empor. Oft ist die enthemmende Wirkung des Alkohols mit im Spiel. Und am Höhepunkt dieser emotionalen Kaskade, greift der Täter zu der Waffe. Dann verübt er diese affektive Tat. Er ist gleichsam blind vor Wut. Er kann sich selbst nicht mehr kontrollieren und dann kommt das Böse zum Durchbruch."
Das Böse: Das sind immer mehrere Faktoren
Es gibt Menschen, die dafür prädestinierter sind als andere. Psychologen können bestimmte Risikofaktoren ausmachen. Allen voran die Erziehung. Natürlich: Der abwesende Vater, die vernachlässigende, lieblose Mutter, sind solche Stereotype, die psychologisch aber durchaus von Bedeutung sind. Wer als Kind missbraucht wurde, neigt statistisch eher dazu später andere zu missbrauchen.
Vortrefflich kann man auch darüber diskutieren, ob der Körper nicht Böses vorgibt: Das Killer-Gen zum Beispiel, das Straftäter-Hirn? Hatte zum Beispiel ein Hirntumor dafür gesorgt, dass Charles Whitman 1966 17 Menschen an der Universität in Austin erschossen hatte? Immer wieder finden Wissenschaftler Hinweise auf biologische Ursachen für aggressives Verhalten. Schaut man aber genauer hin, wird deutlich: So einfach ist das nicht.
Das Böse: Das sind immer mehrere Faktoren. Und Aggression mit Böse gleichzusetzen, daraus wird dann auch kein Schuh. Reinhard Haller nennt Aggression denn auch eher das "böse Potential". Und mit diesem bösen Potential kann man auch richtig tolle Dinge machen:
"Wenn jemand seine Aggressivität, also das böse Potential, das er in sich hat, in ein Kulturwerk hineinlegen kann. Mit der ganzen Wut einen Marmorblock beispielsweise bearbeitet, dann entstehen die herrlichsten Kunstwerke, die es überhaupt geben kann."
Fußball enthält alle Elemente des Krieges
Diese Potential umleiten also. So kann man dann auch Krieg spielen, ganz ohne Waffen und Opfer:
"Fußball beispielsweise enthält alle Elemente des Krieges. Es geht immer um das große Geschäft. Es marschieren die Heere auf, die Fans, die Gladiatoren, die Feldherren, das sind die Trainer. Es werden Standarten getragen. Es werden Schlachtgesänge gesungen. Es besteht ein Kriegsplan. Und das Wohl und Wehe unseres Volkes hängt davon ab, ob der Ball im Netz landet oder nicht."
Er steckt also in uns der böse Trieb, diese Aggressionen. Nicht nur zum Fußballspielen, sondern auch zum Überleben. Wir sind das, was wir sind, weil wir uns durchgesetzt haben gegen andere. Sei es im Kampf um Nahrung oder bei der Werbung um unsere Partner, um uns fortzupflanzen. Das geht nicht anders. Nur das organisierte, das sadistische, das ist wohl eine besonders menschliche Qualität des Bösen.
Unsere Gesprächspartner
Dr. Jörg Noller
Lehrt Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und seit 2022 auch als Vertretungsprofessor an der Universität Konstanz.
Ihn kann man auch bei PhiloCast, dem philosophischen Kanal der LMU auf Youtube erleben.
Petra Bahr
Ist Theologin und Regionalbischöfin der Ev.-luth. Landeskirche Hannover. Seit 2020 ist Petra Bahr Mitglied des Deutschen Ethikrates. Das Thema des Bösen begleitet sie schon länger, wie diese Veröffentlichung zeigt: Er steckt in jedem von uns. Die Theologie hat sich vom Teufel verabschiedet. Und das Böse erst richtig gefunden
Reinhard Haller
Österreichischer Psychiater, Psychotherapeut und Sachbuchautor. Außerdem forensisch-psychiatrischer Gerichtsgutachter. 2019 erschien sein Buch: Das Böse - Die Psychologie der menschlichen Destruktivität.
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