Mathematik der Liebe Ist die Dauer unserer Beziehung berechenbar?
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09. März 2020, 10:07 Uhr
Wer theoretisch zu wem passt, lässt sich berechnen. Online-Dating-Plattformen nutzen dafür Algorithmen aus Eigenschaften und Vorlieben der Nutzer. Je größer die Übereinstimmung, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass man zueinander findet. Doch lässt sich auch voraussagen, wie lange eine Beziehung halten wird? Wissenschaftler aus Jena haben das in einer Langzeitstudie untersucht. Das Ergebnis: JEIN!
Wer Schmetterlinge im Bauch hat, möchte wahrscheinlich gar nicht wissen, wie lange sie bleiben werden. Oder sachlich formuliert: wann die Beziehung zu Ende gehen wird. Wissenschaftler aus Jena und Alberta/Kanada haben untersucht, ob sich vorhersagen lässt, wann ein Paar scheitern wird - mit einem nicht ganz eindeutigen Ergebnis:
Prognosen über die Langlebigkeit einer Beziehung sind durchaus möglich.
Studienleiterin Dr. Christine Finn ist sich da nach der Auswertung ihrer Langzeitstudie "pairfam" ziemlich sicher. Die Psycholgin hatte gemeinsam mit Kollegen etwa 2.000 Paare über sieben Jahre hinweg regelmäßig zur Qualität ihrer Beziehung befragt. 16 Prozent davon trennten sich während dieser Zeit. Die Weichen dafür stellten sich nach Einschätzung der Wissenschaftler einerseits schon zu Beginn einer Beziehung. Andererseits spielt auch eine Rolle, wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt.
Wer unglücklich startet, wird schneller noch unglücklicher
Die Forscher konnten bei allen Paaren beobachten, dass das Glücksniveau im Laufe der Zeit abnimmt, die Schmetterlinge flattern seltener. Doch bei denen, die schon mit Schwierigkeiten in die Beziehung starten, geht das offenbar besonders schnell. Damit sehen Dr. Christine Finn und ihre Kollegen zwei wissenschaftliche Modelle bestätigt, die den Verlauf von Paarbeziehungen beschreiben:
Modell 1: Alle Paare sind zu Beginn etwa gleich glücklich. Probleme ergeben sich erst im Laufe der gemeinsamen Zeit und können dann gegebenfalls zur Trennung führen.
Modell 2: Paare starten bereits auf recht unterschiedlichen Glücksniveaus. Diese halten sie dann zwar jeweils, allerdings führt eine niedrigeres Ausgangsniveau mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Scheitern einer Beziehung als ein hohes Glücksniveau.
Wir haben nun herausgefunden, dass eine Mischung aus beiden Modellen wohl zutrifft.
Daraus leiten die Wissenschaftler eine mögliche Vorhersage über die Dauer einer Beziehung ab - sowohl je nach "Schmetterlingsniveau" zu Beginn, als auch mit Rücksicht auf die Zufriedenheit im Laufe der Zeit.
Gleich und gleich gesellt sich gern
Diese angestaubt anmutende Floskel sehen die Forscher durch ihre Studie bestätigt. Sie hatten ihre Testpaare auch danach befragt, wie sehr sie ihre Bedürfnisse innerhalb der Partnerschaft befriedigt sehen.
Obwohl sich offenbar absehen lässt, welche Chancen eine Beziehung hat, wenn man bestimmte "Parameter" wie Ausgangsglücksniveau und Ähnlichkeit im Hinblick auf Bedürfnisse hat, warnt Dr. Christine Finn vor voreiligen Schlüssen: "Keine Beziehung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt." Man könne immer am Miteinander arbeiten und Gemeinsamkeiten, wie das Ausleben von Nähe und Unabhängigkeit auch bewusst steuern, so Finn. Daher sieht sie in den Studienergebnissen besonders für Beratungsstellen und Therapeuten einen großen Nutzen.
Den Moment genießen
Wie zuverlässig ist eine mögliche Vorhersage überhaupt in Anbetracht der vielen Faktoren die eine Rolle dabei spielen? Und wollen wir überhaupt wissen, wie lange unsere Beziehung möglicherweise halten wird? Christine Finn warnt vor einer zu engen Betrachtung der Studienergebnisse. Die Studie wolle auf keinen Fall den allgemeinen Optimierungstrend weiter unterfüttern. Außerdem sei die Dauer einer Beziehung nicht allein entscheidend für ihre Bedeutung:
Wenn sich Paare nach einiger Zeit trennen, kann das trotzdem eine wertvolle und wichtige Phase in ihrem Leben sein – die möglicherweise die folgenden Beziehungen positiv beeinflusst.
Die Idee, die Dauer einer Liebe vorhersagen zu wollen, ist nicht neu. John Gottman, ein Psychologe aus den USA, hat sich 40 Jahre lang damit befasst, mehr als 200 Studien veröffentlicht und dafür tausende Paare beobachtet und alle Parameter akribisch vermessen und berechnet, die mit unseren Gefühlen füreinander in Verbindung stehen.
Liebe trifft Wissenschaft
Gottman hat den Puls, die Atemfrequenz, die Hautleitfähigkeit und den Hormonspiegel von Paaren in verschiedenen Situationen und Lebensphasen gemessen und Videoaufnahmen ausgewertet.
Die Ergebnisse seiner Forschung fasste er 2015 in seinem Buch "Pricipia Amoris" zusammen. Auf dem Einband zeigt es lächelnde Paare, im Inneren ist es angefüllt mit Formeln, Tabellen, Verlaufskurven, 3-D-Grafiken.
Stolperstein Alltag
Gottmans Fazit: Die größte Gefahr für eine Beziehung sind der gemeinsame Alltag und abnehmende gegenseitige Wertschätzung. Gottman findet es weder kalt noch reduziert, in Sachen Liebe mit Zahlen zu arbeiten. Er schätzt vor allem deren Wahrheitsgehalt und hat mit seinen Studienergebnissen ebenfalls wichtige Erkenntnisse für die Paartherapie geliefert.
Zahlen und Fakten legen die fundamentalen Strukturen des Gefühls frei, das den Menschen so ungreifbar scheint. Für viele ist die Liebe ein komplettes Mysterium. Dabei ist sie so vorhersagbar.
Ob wir überhaupt wissen wollen, wie lange unsere aktuelle Beziehung dauern wird und ob wir uns auf eine mögliche Prognose verlassen wollen, liegt bei uns selbst. Für Wissenschaftler scheint diese Frage nach wie vor reizvoll. Die Langzeitstudie „pairfam“ („Panel Analysis of Intimate Relationships and Family Dynamics“) zumindest läuft noch bis 2022. Sie wird von den Universitäten Jena, Bremen, Chemitz, Köln und München durchgeführt und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
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