Kreativitätsforschung Kreativität will gelernt sein – aber wie?
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14. Mai 2021, 12:31 Uhr
Der Alltag fragt nach Kreativität. Gefühlt immerzu, an den verschiedensten Orten. Die Freundin hat Geburtstag. Freitag braucht man eher Schluss, da müssen schnell Ideen her. Manch einer möchte vielleicht mal einen Song schreiben. Händeringend sucht man nach guten Einfällen. Kreativität will gelernt sein – aber wie? Zum Beispiel mit mentalem Training, sagt die Wissenschaft.
Kreativität trägt jeder in sich
Kreativität im Alltag ist ein rares Gut. Meistens gleicht es eher einem endlosen Grübeln, bis einem einfällt, was der besten Freundin gefallen könnte. Oder welche gute Ausrede einem den Zusatzbrocken Arbeit vom Halse hält. An Kreativität fehlt es dann gefühlt an allen Ecken und Enden. Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, es sei einzig und allein Anlage und Begabung zu verdanken. Man sprach vom "Genie Gottes" oder dem "Kuss der Muse". Heute weiß man, so etwas wie ein Kreativitäts-Gen, das den einen kreativ macht und den anderen nicht, das gibt es nicht. Jeder Mensch trägt alles in sich, was es braucht, um kreativ zu sein.
Die fünf Phasen der Kreativität
So sieht es jedenfalls Rainer Holm-Hadulla, Psychiater und Psychoanalytiker. Als Berater von Kreativen kennt er sich aus mit dem kreativen Schaffen. Er teilt es ein in verschiedene Phasen: "Sie brauchen eine Vorbereitungszeit, um sich Wissen anzueignen und dafür brauchen Sie auch eine gewisse Disziplin." Einen Gewürzhalter für die beste Freundin selber bauen, da braucht es zuerst mal das Wissen, wie ein Gewürzhalter an der Wand hängt. "In der zweiten Phase, der Inkubation, sind Sie auf dem Weg, Neues zu erfinden. Das ist häufig ganz unbewusst und auch gar kein schönes Gefühl, weil man sich seiner noch nicht sicher ist. Dann kommt drittens die Illuminationsphase, der kreative Funke." Also der Moment, wo es Klick macht und wir einen Einfall haben: Der Gewürzhalter könnte ja an einer Leiste hängen.
Wir haben ständig irgendwelche neuronalen Netzwerke, die neue Verknüpfungen machen. Es ist die Vorstellung von Kreativität, neue, viele Ideen zu haben.
Die Ideenfindung ist der leichtere Teil, sagt Rainer Holm-Hadulla. Tatsächlich sei das nur die halbe Miete. Wichtiger sei die nächste Phase, die vierte, die produktive Realisierung. Sie bringt mit sich, Ideen auszuwählen und wegzulassen – manch einer sagt dazu auch "Kill your Darlings", um anschließend die Verifikation zu durchlaufen. Die Phase, die daraus besteht, abzugleichen, wie das Ergebnis beim Gegenüber ankommt. Für den Sänger zum Beispiel der Applaus.
Heißt das aber nun für kreative Einfälle im Alltag müsse man nichts weiter tun, als dem gewohnten Gang zu folgen, sein Leben zu leben, einfach den richtigen Moment abzupassen? Ja und Nein. Nein, weil Kreativität harte Arbeit ist. Ja, weil der Aha-Effekt nur kommt, wenn wir loslassen. So erklärt es Volker Busch, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie an der Uniklinik Regensburg: "Der zugrundeliegende Mechanismus im Gehirn ist die Assoziation. Das bedeutet, wenn wir kreativ denken, dann nimmt unser Gehirn ganz viele Informationen und verknüpft sie, verbindet sie und stellt neue Bezüge zwischen diesen Informationen her. Und das bringt uns im besten Fall eine neue Idee." Kreativ sein kann zwar gewissermaßen jeder, aber nicht jeder ist es auch.
Loslassen und Assoziieren trainieren
Dass Kreativität ein Talent sei, was man entweder hat oder nicht, daran glaubte man viele Jahrzehnte, erklärt Volker Busch. Den "Kuss der Muse", den gibt es aber nicht. Sprich, wir werden nicht über Nacht zu kleinen Genies. Es bedürfe vielmehr eines gewissen Trainings. "Tatsächlich erkennen wir durch die Forschung der letzten Jahre, dass es eher eine Art ist zu denken, die man auch ein Stück weit üben kann. Damit sorgt man dafür, dass das Gehirn kreativer ist in bestimmten Momenten." Beginnen tue man das, indem man Umgebungsfaktoren anpasst. Am besten so, dass sie einem das kreative Ideenfinden erleichtern und dafür sorgen, ein Stück weit zur Ruhe zu kommen.
Wenn wir mal nicht mediale Inhalte konsumieren, sondern zu uns selbst kommen – nachdenken, träumen, unsere Gedanken auf Wanderschaft gehen – dann nimmt das Gehirn diese ganzen Informationen und verknüpft sie.
Freiräume seien daher besonders wichtig für Alltagskreativität. Das ist eine Erkenntnis, die Volker Busch beim Schreiben eines seiner Bücher hatte. Der Geist braucht, so erklärt es der Neurowissenschaftler, immer mal wieder Zeit für einen inneren Dialog, einen "Spaziergang mit sich selbst". Aktiviert werde dabei nämlich das Default-Mode-Network, das sogenannte Ruhezustands-Netzwerk, das immer dann anspringt, wenn alles andere mal wegfällt und dafür sorgt, dass das Gehirn assoziieren kann, also unterschiedliche Dinge, Worte und Gefühle miteinander in Verbindung bringt.
Musik als Training für Kreativität
Dieses Assoziieren lässt sich trainieren. Ein Beispiel dafür können optische Täuschungen sein, jene Bilder, deren Formen sich verändern, je nachdem, auf welchen Teil des Bildes die Aufmerksamkeit gelenkt wird. Diese Fähigkeit lässt sich im Anschluss auf die Umwelt übertragen. Genauso funktioniert es mit Musik. Hier findet ein Lerntransfer statt, erklärt Christiane Neuhaus vom Institut für Systematische Musikwissenschaft der Universität Hamburg.
"Offen nach allen Seiten zu sein, eine mehr spielerische als zielgerichtete Grundhaltung zu haben und: mehrere Lösungsmöglichkeiten, mehrere Varianten zuzulassen, alles das macht gedanklich flexibler und trainiert das kreative Denken", erklärt die Kognitions- und Musikwissenschaftlerin. Es sei gut für Kreativität, bei der es darum geht sich schnell auf Neues einzulassen. Das zeigt auch eine Studie der Universität Nimwegen.
"Dieser Denkmodus, diese Grundhaltung wird in der Kreativitätsforschung als divergentes Denken bezeichnet. Der Begriff wurde von Joy Paul Guilford, einem amerikanischen Psychologen, geprägt." Guilford hatte als erster vor rund 70 Jahren vorgeschlagen, kreative Denkprozesse in der Normalbevölkerung zu untersuchen. Er hatte damit den Begriff Kreativität, der vorher eher in Verbindung mit höchstbegabten Personen stand, auf die kleinen kreativen Lösungsansätze im Alltag ausgeweitet. Musik hören ist eine vieler Methoden, freies Assoziieren zu üben. Es gibt aber noch viele andere Möglichkeiten. Anfangen könnte man zum Beispiel damit, ein Gewürzregal für seine beste Freundin zu bauen.
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