Das zellulare Energiesystem Liegt die Lösung in der Zelle?
Hauptinhalt
23. Februar 2021, 09:44 Uhr
Bislang wird der Strom über große Trassen und weitläufige Netze von den Erzeugern zu den Verbrauchern durchs Land transportiert. Ein Projekt der TU Dresden will das ändern und die lokale Energieversorgung stärken: mit einem System aus intelligenten Zellen.
Wenn wir den Lichtschalter anknipsen, dann hat der Strom meist eine kleine (oder größere) Reise hinter sich: von den großen Kohle- oder Atomkraftwerken, den Offshore-Windanlagen vor der Nordseeküste über die verschiedenen Ebenen des Stromnetzes bis zu uns in die Steckdose – manchmal sogar quer durch Europa, denn unsere Energieversorgung ist eingebettet in das Europäische Stromnetz. Doch immer häufiger kommt der Strom auch vom eigenen Dach oder aus der direkten Nachbarschaft: Mehr als 1,7 Millionen Photovoltaik-Anlagen sind in Deutschland installiert und liefern circa zehn Prozent der gesamten elektrischen Energie in Deutschland.
Wer heutzutage ein Einfamilienhaus baut, kommt an einer PV-Anlage kaum vorbei. Sie gilt als einfaches und relativ preisgünstiges Mittel, um die Abhängigkeit von Stromanbietern zu verringern und langfristig beim Strompreis zu sparen. Manchmal kann man sogar Geld damit verdienen, wenn man den Strom ins Netz einspeist. Doch ihr wahres Potenzial entfaltet sie erst langsam.
Die intelligente Zelle
Forscher:innen der Technischen Universität Dresden wollen die volle Kraft der Sonne ausschöpfen und haben dafür einen kleinen, mit Hightech vollgepackten Kasten entwickelt: die intelligente Zelle. Die Zelle soll im Kleinen nachbilden, was die Netzbetreiber im Großen in unserem Stromnetz die ganze Zeit über machen: Stromerzeugung und Verbrauch im Gleichgewicht halten. "Wenn man eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach seines Hauses hat und bestimmte Energie dort zwischenspeichern kann, also nicht mehr in das elektrische Netz einspeist, dann ist da eine gewisse Kapazität frei. Man könnte E-Mobilität dort aufladen oder den Strom einspeichern. Wir haben also die Möglichkeit vor Ort, wo wir Energie erzeugen, diese auch zu verbrauchen", erklärt Joachim Seifert, Professor für Gebäudeenergietechnik an der TU Dresden und Mitentwickler der intelligenten Zelle.
Die Zelle verwaltet die Erzeugung der Sonnenenergie, um alle Verbraucher wie Kühlschrank, Waschmaschine, Elektroauto und Wärmepumpen – von denen es in Zukunft immer mehr geben wird – zu versorgen. Überschüssige Energie soll nach den Ideen der Entwickler in Batterien gespeichert und in sonnenarmen Phasen genutzt werden.
Im Haus der Zukunft werden die verschiedenen Versorgungsarten zusammengeschaltet und von der intelligenten Zelle gesteuert, erklärt Peter Schegner, Professor für Elektroenergieversorgung an der TU Dresden: "Elektrische Energieversorgung, Wärmeversorgung, Gasversorgung: Alle drei Energieträger wurden getrennt betrachtet, getrennt geplant, getrennt betrieben. Durch diesen zellularen Ansatz und die neuen Technologien wie Brennstoffzellen wird es eben möglich, diese verschiedenen Energieträger gemeinsam zu betrachten: schon auf der zellularen Ebene".
Das erfordert die Vernetzung aller Erzeugungs- und Verbrauchselemente in einem Haus, also "smartes" Inventar. Das Forschungsprojekt der TU Dresden hat im vergangenen Jahr das Labor verlassen und hält nun Einzug in die ersten, realen Wohnhäuser. Die intelligente Zelle könnte Bürgerinnen und Bürger noch stärker an der Energieversorgung beteiligen und ein wichtiger Schlüssel für das Gelingen der Energiewende sein.
Intelligente Zellen für die Energiewende
Energiewende heißt kurz gesagt: Statt wenigen hundert großen Kraftwerken gibt es Millionen von Klein- und Kleinsterzeugern. Das ist eine Herausforderung für das Stromnetz: Wenn in Zukunft jedes Haus eine PV-Anlage auf dem Dach hat, kann schnell zu viel Energie auf einmal ins Netz gespeist werden und die Infrastruktur überlasten. Genau hier soll die intelligente Zelle Einspeisung und Verbrauch so steuern, dass auch das umliegende Niederspannungsnetz keinen Schaden nimmt. Aus der einzelnen Zelle wird dann der Teil eines zellularen Systems. Darin können sich Wohnhäuser, Industrieparks und sogar Städte verbinden. "Dann können wir einen stärkeren Ausbau und einen höheren Anteil an regenerativer Energien vor Ort nutzen und die Zellen weiten sich auch aus: von einzelnen Gebäuden oder Quartieren zu einem Ortsnetz, hin zu mehreren Siedlungen, die so zusammen an einem Mittelspannungsnetz hängen. Das ist die Grundlage dieses zellularen Ansatzes, der mittlerweile an sehr vielen Stellen für eine dezentrale Energieversorgung verfolgt wird", erklärt Gerd Heilscher, Professor für dezentrale regenerative Energiesysteme an der TU Ulm.
In diesem System sollen gewissermaßen "alle" eine Rolle spielen: Solaranlagen erzeugen natürlich den Strom. Elektroautos mit ihren Batterien verbrauchen ihn, können Energie aber auch speichern und wieder ans Netz abgeben. Wärmepumpen sorgen für warme Temperaturen, erwärmtes Wasser kann aber auch Energie speichern. Sogar Kühlschränke könnten als Speicher und Energieverteiler in Frage kommen. Und auch die Umwandlung von Strom in Wasserstoff, den "Champagner der Energiewende", wird Teil eines zellularen Systems sein. Strom, Wärme und Mobilität hängen miteinander zusammen, sind "gekoppelt" und werden über intelligente Zellen gesteuert. Voraussetzung dafür ist die stärkere Digitalisierung des lokalen Energiesystems. Außerdem müssen die Stromtarife flexibler gestaltet werden: Bislang gibt es kaum Anreize dafür, Strom auch dann zu nutzen, wenn besonders viel erneuerbare Energie vorhanden ist.
Die Zukunft der Kraftwerke ist virtuell
Komplett ohne große Kraftwerke wird es in Zukunft aber wohl auch nicht gehen: Einerseits ist Deutschland mit dem Rest Europas im Stromnetz verbunden und muss hier verlässliche Versorgungsleistungen erbringen. Andererseits liefern die Atom- und Kohlekraftwerke planbare Energie. Die erneuerbaren Energien hingegen sind vom Wetter abhängig und schwanken in ihrer Leistungsfähigkeit. Um die Schwankungen auszugleichen und Energie europaweit anzubieten, können Stromanbieter viele kleine erneuerbare Erzeuger zusammenschalten - zu einem so genannten virtuellen Kraftwerk.
Mit gebündelter Energie kann so eine Einheit auf dem europäischen Strommarkt sowohl als Erzeuger als auch Verbraucher auftreten und konventionelle Kraftwerke ersetzen. Wie eine Batterie kann es Strom aufnehmen oder abgeben – je nach Bedarf. Allerdings ist die Steuerung der einzelnen Erzeuger im virtuellen Kraftwerk mit hohem Aufwand verbunden, erklärt Konstantin Wiegandt. Er betreut bei Statkraft, dem größten europäischen Anbieter für erneuerbare Energien, die Algorithmen hinter dem virtuellen Kraftwerk: "Da sind tausende von Anlagen angeschlossen und die müssen natürlich alle entsprechend der Wettersituation und dem Strompreissignal gesteuert werden. Da ist eine ganze Menge Digitalisierung und Koordinationsarbeit dahinter."
Im virtuellen Kraftwerk werden die dezentralen Erzeugungsanlagen zentral gesteuert. Einen ersten Härtetest werden diese neuen Formen der Energieversorgung – intelligente Zellen und virtuelle Kraftwerke – möglicherweise ab 2023 durchmachen. Dann werden in Deutschland die letzten Atomkraftwerke vom Netz genommen. Deren Energie, aktuell noch rund 12% der gesamten Stromerzeugung, muss in naher Zukunft durch andere Quellen gedeckt werden.
Europäischer Strommarkt Der Strommarkt ist das Fundament der europäischen Stromversorgung. Hier werden Angebot und Nachfrage organisiert, also Strom ge- und verkauft und es entscheidet sich der Preis des Stroms. Gehandelt wird er beispielsweise an der European Energy Exchange-Börse mit Sitz in Leipzig. Da Strom im Stromnetz nicht gespeichert, sondern unmittelbar vom Erzeuger an die Verbraucher transportiert werden muss, sind die kurzfristigen Optionen, wie Handel im Viertelstundentakt, wichtige Elemente des Strommarktes. Durch die Energiewende kommen neben den großen Stromanbietern zahlreiche neue Anbieter dazu.
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/58de60ba-5ed7-47c8-93dd-97707611ed5e was not found on this server.