Muttertag in Corona-Zeiten Lockdown: Familienverantwortung ist auch Vätersache
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08. Mai 2020, 11:00 Uhr
Wie verändert der Lockdown die Rolle der Frau in der Familie, wie geht es Alleinerziehenden? MDR WISSEN hat zwei Wissenschaftlerinnen gefragt. Das Ergebnis: zwei Perspektiven, die sich nur scheinbar widersprechen.
"Schafft dein Mann das Zuhause mit den drei Kindern?", fragt ein sehr geschätzter Kollege zu Beginn des Corona-Lockdowns. Unvorstellbar diese Frage unter umgekehrten Vorzeichen: "Schafft deine Frau das jetzt Zuhause mit den Kindern?" Der Kollege lacht peinlich berührt, als ihm die Absurdität seiner Frage aufgeht. Denkt der wirklich so? "Hinter solchen Bemerkungen steckt ein normaler Mechanismus unseres Gehirns", sagt Kathrin Mahler Walther.
Die Soziologin ist Geschäftsführerin der EAF, einer Organisation, die Chancengleichheit und Veränderungsprozesse in Unternehmen beackert. "Wir alle leben mit diesen Zuschreibungen und Bildern. In Zeiten der Krise greifen Menschen auf das wieder, was sie gelernt haben, auf traditionelle Bilder". Die sorgende Mutter, der malochende Mann. Auch in der DDR war das nicht anders, da haben Frauen neben dem Job zusätzlich die Familienverantwortung geschultert", meint die gebürtige Leipzigerin.
In der Krise greifen Stereotype
Dass man in ungewöhnlichen Situationen auf stereotype Muster zurückgreift, bestätigt auch die Hamburger Genderforscherin Dr. Stevie Schmiedel, die sich für Geschlechtergerechtigkeit engagiert:
Erst in der Krise zeigt sich wie in einem Vergrößerungsglas in welchen Geschlechterstereotypen wir denken. Auch in den Medien. In Talkshows, in denen über die Folgen der Corona-Zeit sinniert wird. Alle wollen mit allen tauschen, nur niemand mit der dreifachen Mutter, die im Homeoffice zeitgleich die Kinder betreut.
Auch Frauen tappen in solch stereotype Denkfallen: "Kochst du also alles vor und kaufst alles ein?", mutmaßt eine Kollegin, die von diesem Corona-Familienmodell hört. Das Stereotyp hier: Ein Vater kann das ja gar nicht schaffen, Haushalt, Hausarbeit und Homeschooling. Wenn, dann nur mit Vorgekochtem, mit Essens- oder Einkaufsplan.
Väter mit Verantwortung statt Familien-Gast
Natürlich können Väter Familienverantwortung tragen. Viele entdecken das vermutlich derzeit auch, "weil sie nicht auf Dienstreise, sondern im Homeoffice zuhause sind", sagt Kathrin Mahler Walther. Statt Gast zuhause - aktiver Teil der Familie, verantwortlich sein. Nicht für sich allein in der Homeoffice-Pause mittags ein Ei in die Pfanne hauen, sondern auch für die Kinder. Arbeit delegieren wie im Büro - und einen Lieferdienst anrufen. Manche Homeoffice-Väter können sich das vermutlich locker leisten. Jedenfalls wenn man sich die unbereinigten Gender-Pay-Gap-Daten von 2020 anschaut: Frauen in Deutschland haben 2019 durchschnittlich 20 Prozent weniger verdient als Männer.
"Arbeitgeber müssen Familienverantwortung sehen"
Alleinerziehende werden sich den Lieferdienst eher nicht leisten: 90 Prozent der 692.000 erwerbstätigen Alleinerziehenden mit Kindern unter 13 Jahren sind Frauen. Als Arbeitnehmende sind sie für Arbeitswelt dauerhaft Wackelkandidaten.
Wenn das Kind krank wird, wenn Elternabende oder Arztbesuche anstehen: Schon im normalen Alltag sind solche Rahmenbedingungen oft das Ticket in die Teilzeit. Hatten Alleinerziehende im Lockdown das Glück, arbeiten zu können, blieb trotzdem noch die Familienverantwortung, aber ohne das normale soziale Netzwerk von Großeltern, Freunden, bzw. Schule und Kindergarten. "Dabei sollten die Arbeitgebenden die Familienverantwortung derzeit im Blick haben" sagt Mahler Walther. Sie warnt:
Homeoffice und parallel Kinderbetreuung führen langfristig in den Burnout.
Wer jetzt alle Urlaubstage verballert, hat später keine Zeit zum Erholen. Und was ist in den Sommerferien? Wer betreut die Kinder dann, wenn die Eltern keine Urlaubstage mehr haben, überlegt Mahler Walther.
Und die Arbeitswelt nach Corona?
Der Stand der Frauen in der Arbeitswelt wird auch nach Corona nicht leichter, da sind sich Schmiedel und Mahler Walther einig. Soziologin Kathrin Mahler Walther sagt:
"Ich glaube zwar nicht, dass Frauen aus der Arbeitswelt verschwinden. Die Familien sind viel zu sehr auf dieses Geld angewiesen. Aber berufliche Entwicklungsmöglichkeiten der Frauen werden geschmälert. Nämlich wenn die Home-Officezeit andauert, wenn Betreuungseinrichtungen geschlossen bleiben.
Für Wissenschaft und Politik und schlussendlich für die Gesellschaft bedeutet das auch, "dass Themen von der Agenda verschwinden, für die jahrelang gekämpft worden ist", sagt Mahler. Weil diejenigen fehlen, die Themen wie Chancengleichheit, Lohngerechtigkeit, Familiengerechtigkeit mit Leben füllen und dafür kämpfen. Oder diejenigen, die zu diesen Themen forschen.
Viele Studien dazu verhallen ungehört und ohne Echo, sagen Schmiedel und Mahler Walther. Das wird in Zukunft nicht besser, glauben beide. Erste Ausläufer davon kann man schon jetzt erleben: Wer in Corona-Tagen Expertinnen befragen will, findet viele im Homeoffice beim Homeschooling. Und bekommt Antworten auf Fragen spät in der Nacht zugeschickt.
Was Mütter aus der Krise mitnehmen
Über die Corona-Folgen für Mütter sind sich Schmiedel und Mahler Walther uneins. Schmiedel hat vor allem die Überlastung der Frauen vor sich, die Erschöpfungszustände der Home-Office-Mütter und Alleinerziehenden. Schmiedels Blick in die Zukunft ist entsprechend düster: Sie sieht am Horizont hinter Corona Trennungen, Jobverlust oder Frauen, die beruflich noch kürzer treten. Konsequent durchdacht verfolgt die Auswirkungen der Corona-Epedemie Mütter dann bis zur Rente. Wenn sie nämlich von dem leben müssen, was sie an bezahlter Arbeit leisten konnten - oder eben nicht.
Soziologin Mahler Walther sieht die Zukunft heller. Die Krise als Chance für Familien. Sie glaubt, diese Zeit könne für Familien fruchtbar sein, den Zusammenhalt stärken, die Väter anders in die Familien einbinden.
Sämtliche gesellschaftliche Nachwehen werden Zeit und Forschungen ans Licht bringen. Denn die Forschungswelt hat die Nebenwirkungen längst im Blick. Die einen erfragen online, ob wir jetzt mehr Musik als früher hören und welche, Soziologen erfragen den Corona-Alltag, Statistiker erfassen die Fälle häuslicher Gewalt. Wen werden die seelischen Spätfolgen interessieren, von Kindern, die im Lockdown geschlagen, sich selbst, ihren Schularbeiten oder dem Bildschirm überlassen wurden? Damit Corona-Nachbetrachtung und Analyse in breitem Blickwinkel erfolgt, braucht es eine Lobby, sprich Frauen in der Wissenschaft, genau wie in Wirtschaft und Politik. "Solange nicht genug Frauen zu familienfreundlichen Konditionen arbeiten dürfen, so lange wird sich nichts ändern," sagt Stevie Schmiedel .
Wie man es auch dreht und wendet - erholsam ist und war diese Zeit keinesfalls. Egal, wie man als Familie funktioniert, oder nicht, anstrengend ist die Corona-Zeit für alle. Egal, ob am Muttertag oder Vatertag, am Sonntag genauso wie am Freitag.
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