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Ein Wirkstoff aus dem menschlichen Sperma – das sogenannte "Spermidin" - wird schon länger als Wundermittel gehandelt. Forscher haben nun herausgefunden, dass der Stoff Herzschäden verringern kann.

MDR FERNSEHEN Do 27.04.2017 13:43Uhr 02:51 min

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Nahrungsergänzungsmittel Von wegen Jungbrunnen Spermidin...

22. April 2023, 11:19 Uhr

Spermidin gilt als Anti-Aging-Mittel, es soll entschlacken, Krebs vorbeugen, dem Gedächtnis Beine machen. In Lübeck hat eine Studie untersucht, ob nahrungsergänzendes Spermidin überhaupt in den Zellen ankommt. Das Ergebnis ist ernüchternd.

In gereiftem Cheddarkäse und Pilzen steckt es, in Kartoffeln, Salat, Nüssen, Äpfel, Birnen und Frischkäse, Vollkornprodukten und Weizenkeimen: Spermidin. Bis zu 15 mg nehmen wir pro Tag auf, je nachdem, was wir essen. Vielleicht hätten wir das Polyamin (Moleküle, die für Zellen zum Überleben und zum Wachsen erforderlich sind) kaum auf dem Schirm, wenn es nun nicht gerade Spermidin hieße, weil es ausgerechnet erstmals in Sperma nachgewiesen wurde. Und als für das Polyamin mit dem schlüpfrigen Namen 2020 aufgezeigt wurde, dass es bei Mäusen Alterungsprozesse aufhalten kann, war das ein Fest für alle, die von ewiger Jugend träumen: Warum umständlich Kartoffeln schälen, kochen und essen, wenn es Spermidin als Nahrungsergänzungsmittel als Pille oder Pulver gibt?!

Allerdings spuckt uns eine neue Studie Salz in die Spermidin-(Nahrungsergänzungs-)Suppe: Dafür hat das Institut für Ernährungsmedizin in Lübeck untersucht, ob die Einnahme von Spermidin zu messbaren Veränderungen im Blut und Speichel führt und ob tatsächlich körpereigene Metaboliten, also chemische Zwischenprodukte, hergestellt werden, die im Körper wirken. Die Untersuchung wurde in zwei Intervallen von jeweils fünf Tagen und einer neuntägigen Pause durchgeführt. In einer der beiden Phasen erhielten die Probanden fünf Tage nacheinander 15 mg Spermidin, in der anderen ein Placebo. Im Laufe dieser Tage wurden Blut- und Speichelproben genommen und auf Veränderungen untersucht und analysiert.

Laborarbeit, Blutanalyse
Blut-Analyse zeigt, dass 15 mg Spermidin offenbar keine wiksamen Spuren im Körper hinterlässt. Bildrechte: IMAGO/Westend61

15 mg Spermidin: Im Speichel zeigt sich nichts

Professor Dr. Martin Smollich ist Spezialist für Ernährungsmedizin und leitet an der Uniklinik in Lübeck die AG Pharmakonutrition. Er fasst das Ergebnis der Studienarbeit im Gespräch mit MDR WISSEN kurz und knapp zusammen: "Man kann zwar Spermidin einnehmen, aber es kommt gar nicht im Körper an." Die Blut- und Speichelauswertung der Studie zeigte lediglich, dass die Sperminkonzentration im Plasma sich während der Tage, an denen 15 mg Spermidin eingenommen wurden, erhöhte. Spermin? Spermin ist einfach ein Abfallprodukt, das entsteht, wenn Spermidin in den Darmzellen abgebaut wird. Deshalb bietet sich Smollich zufolge als Schlussfolgerung aus der Studie die Hypothese an, dass das oral eingenommene Zusatzspermidin schon vom Körper verstoffwechselt wird, bevor es überhaupt im Körper wirken kann. Wobei die Forscher in ihrem Paper zwar nicht ausschließen, dass die 15 mg-Dosis Spermidin vielleicht zu niedrig ist, um tatsächlich Spuren im Speichel zu hinterlassen. Aber Professor Smollich sagt auch: "Die 15 mg Dosierung in der Studie war im Vergleich mit der Dosierung in Nahrungsergänzungsmitteln schon sehr hoch. Da geht es meist nur um 2 bis 6 mg."

Man kann zwar Spermidin einnehmen, aber es kommt gar nicht im Körper an.

Prof. Dr. Martin Smollich, Uniklinik Lübeck

Spermidin-Kapseln und -Pulver: Wirken die?

Aber was ist jetzt mit den ganzen Spermidin-Pulvern und -Kapseln, die Anti-Aging-Effekte versprechen, die Linderung von Haarausfall, Schutz fürs Herz? Smollichs Antwort ist kurz und knapp: "Das ist Quatsch." Aber viele Produkte weisen explizit darauf hin, dass zum Beispiel im Alter die körpereigene Spermidin-Produktion abnimmt. "Das ist an sich richtig", bestätigt der Forscher und setzt nach: "Aber mit dem Alter verändern sich fast alle Körperfunktionen, zum Beispiel der Proteinstoffwechsel, die Hormonproduktion und die Körperzusammensetzung."

Gibt es Spermidin-Mangelerscheinungen?

Prof. Dr. Martin Smollich
Prof. Dr. Martin Smollich untersucht Nahrungsergänzungslebensmittel auf ihre Wirksamkeit im Körper Bildrechte: Uni Lübeck

Aber was passiert denn, wenn der Körper weniger Spermidin herstellt? Gibt es so etwas wie eine Spermidin-Unterversorgung oder Spermidin-Mangel-Erscheinungen? Nein, sagt der Wissenschaftler und erklärt: "Spermidin ist kein lebenswichtiges Vitamin, das mit der Nahrung aufgenommen werden muss und bei dem ein Mangel im Blut messbar ist. Sondern: Unser Körper kann Spermidin selbst herstellen, und deshalb gibt es auch keinen Referenzbereich und keine Zufuhrempfehlungen." Aber wie kommt es dann überhaupt zu solch vielversprechenden aber offenbar wirkungslosen Produkten? "Das ist einfach ein typisches Geschäftsmodell", sagt der Forscher: "Eine Substanz wird im Labor an Zellen oder Mäusen getestet und zeigt dort irgendeine Wirkung. Diese Labordaten werden dann für das Marketing genutzt. Das heißt aber noch längst nicht, dass es auch im Menschen funktioniert, denn viele Testsubstanzen können vom menschlichen Körper gar nicht aufgenommen werden. Unsere Spermidin-Daten sind ein gutes Beispiel dafür." 

Links/Studien

Die komplette Studie "High-Dose Spermidine Supplementation Does Not Increase Spermidine Levels in Blood Plasma and Saliva of Healthy Adults: A Randomized Placebo-Controlled Pharmacokinetic and Metabolomic Study" lesen Sie hier.

lfw