Hirnforschung Politische Haltungen im Gehirn ablesbar
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23. Oktober 2020, 10:40 Uhr
Politische Diskussionen gehen auch an unserem Gehirn nicht spurlos vorbei. Bei der Verarbeitung politischer Informationen aus Kontroversen oder auch nur informativen Berichten arbeitet es auf Hochtouren in kognitiven und emotionalen Bereichen. Doch warum überzeugen rationale Argumente manchmal nicht? Warum wirken politische Einstellungen manchmal wie festgemeißelt? Der Schlüssel für die neuronale Polarisierung könnte im dorsomedialen präfrontalen Kortex (DMPFC) - dem vorderen Teil des Frontallappens der Großhirnrinde liegen.
Vertretern politischer Haltungen und Denkrichtungen werden schon seit längerem von der Wissenschaft bestimmte Eigenschaften und Mentalitäten zugeschrieben. Während liberale Menschen eher den Blick nach vorn richten, aufgeschlossen und risikobereiter sind sowie viel Neues ausprobieren, wird konservativen Menschen oft ein höheres Sicherheitsbedürfnis zugeschrieben. Für sie seien feste Rituale, Werte und Strukturen besonders wichtig. Ihr Fokus liege eher auf der Erhaltung als auf Neuem.
Liberale und konservative Gehirne arbeiten anders
Diesen in den Geisteswissenschaften schon länger analysierten Zuordnungen widmen sich seit über zehn Jahren auch die Hirnforscher. Bereits 2007 hat David Amodio von der New York University gezeigt, dass der Gyrus cinguli anterior – ein wichtiger Teil des limbischen Systems im Großhirn – bei Liberalen viel aktiver arbeitet als bei Konservativen. Dem Gyrus cinguli wird oft mit Aufmerksamkeit, Konzentration und Motivation in Verbindung gebracht. Drei Jahre später entdeckte der Forscher Ryota Kanai vom University College London bei einer Untersuchung von 90 Studenten, dass es zwischen den Gehirnen von Liberalen und Konservativen nicht nur funktionelle, sondern auch strukturelle Unterschiede gibt: Liberale haben einen größeren Gyrus cinguli, Konservative einen größere rechte Amygdala (Mandelkern). Der Mandelkern im Gehirn wird mit Emotionen, vor allem Angst und Wutgefühlen in Verbindung gebracht. Menschen mit einem größeren Mandelkern orientieren sich stärker an externen Reizen vermuten die Forscher.
Bei Demokraten funkelte der Insellappen, bei Konservativen der Mandelkern
Im Jahr 2013 kommen Forscher aus Budapest zu ähnlichen Ergebnissen. Sie glichen die Daten des Kalifornischen Wahlregisters mit MRT-Aufnahmen von 82 Probanden aus einer Studie über Risikobereitschaft ab. Dabei stellten sie fest: Bei den Demokraten funkte es vor allem im linken Insellappen, der eine wichtige Rolle bei der Empathie spielt. Bei den Republikanern hingegen wurde vor allem der Mandelkern aktiviert.
Wie verändert sich das Gehirn durch die Politik?
Doch sind uns die liberalen und konservativen Einstellungen durch die Größe und Beschaffenheit unserer Hirnreale in die Wiege gelegt? Oder lassen sich diese politische Einstellungen ändern? Wie spiegelt sich die Verarbeitung politischer Kontroversen im Gehirn wieder? Diesen Fragen gingen jetzt US-Forscher der Princeton University nach. Ihre These: Es gibt eine "neuronale Polarisierung", die bereits bestehende liberale oder auch konservative Haltungen verstärkt.
Viele Reaktionen im Frontallappen der Großhirnrinde
Um dies herauszufinden, maßen die Wissenschaftler die neuronale Aktivität von Studienteilnehmern, die sich Videos zur Einwanderungspolitik ansahen. Obwohl sie sich dieselben Videos ansahen, zeigten konservative und liberale Teilnehmer unterschiedliche neuronale Reaktionen. "Die neurale Polarisierung wurde im präfrontalen Kortex (DMPFC) beobachtet, einer Hirnregion, die mit der Interpretation narrativer Inhalte in Verbindung steht", schreiben die Forscher. Der DMPFC ist der vordere Teil des Frontallappens der Großhirnrinde. Dieser wird immer wieder im Zusammenhang mit Aufmerksamkeit, Nachdenken und Entscheidungen genannt und gilt als Sitz der Persönlichkeit.
Emotionale Sprache verstärkte Aktivität
Den Forschern fiel jedoch nicht nur die Aktivität im Kortex an sich auf, sie bemerkten auch eine Veränderung je nach Sprache und Inhalten. Videos, in denen eine risikobezogene und moralisch-emotionale Sprache verwendet sowie streitbare Inhalte hervorgehoben wurden, verstärkte die Aktivität im Hirnareal. " Die neuronale Polarisierung verstärkte sich in den Momenten, in denen eine emotionale Sprache und brisante Inhalte hervorgehoben wurden", schreiben die Forscher. "Schließlich war es wahrscheinlicher, dass Teilnehmer, deren DMPFC-Aktivität der eines durchschnittlichen konservativen oder eines durchschnittlichen liberalen Teilnehmers entsprach, ihre Einstellung in Richtung der Position dieser Gruppe änderten."
Das Gehirn als Filterblase?
Arbeitet unser Gehirn also auch nach dem Prinzip Filterblase – bestehende Einstellungen werden weiter verstärkt? Zumindest in dieser Untersuchung zeigt sich, dass dies genauso passiert. Die Forscher sehen die verschiedenen neuronalen Reaktionen als Hinweis darauf, dass sich die politischen Einstellungen als Reaktion auf die Videos verstärken. "Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine voreingenommene Verarbeitung im Gehirn zu einer entsprechenden Interpretation politischer Informationen und einer anschließenden Polarisierung der Einstellungen führt", erklären die Forscher. "Zusammen werfen diese Ergebnisse ein Licht auf die psychologischen und neuronalen Grundlagen, wie identische Informationen von Konservativen und Liberalen unterschiedlich interpretiert werden."
Einstellungen überhaupt nicht veränderbar?
Folgt man diesen Ergebnissen konsequent, hätte das zur Folge, dass sich Einstellungen nur sehr schwer überhaupt ändern können. Anders formuliert: Nicht nur die künstliche Intelligenz auch die menschliche Ursprungsintelligenz ist Filterblaseneffekten erlegen. Vielleicht haben es Aufklärung, Vernunft und Verstand deswegen schon immer viel schwerer gehabt. Sie funktionieren mit Bedacht und Nüchternheit. Inwieweit sich die emotionale und rationale Verarbeitung bei Teilnehmern mit liberalen und politischen Einstellungen unterscheidet, wäre sicher ein weiterer spannender Ansatz.
Die Studie im Überblick: National Academy of Sciences, Print ISSN: 0027-8424, Online ISSN: 1091-6490, published first October 20, 2020.
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