Die großen Fragen in zehn Minuten Hirn, Hormon, Hektik – was ist eigentlich Liebe?

29. Januar 2021, 15:39 Uhr

Liebe, das ist nur ein Hormoncocktail, nix als Chemie – so hört man das immer wieder. Aber reicht das als Erklärung? Oder steckt doch mehr dahinter?

Zwei Menschen unter einem Sonnenschirm, eine DNA und der Schriftzug "Was ist Liebe"? 11 min
Bildrechte: Panthermedia/Maik Schuntermann

Kann die Liebe, dieses große, mächtige und wundervolle Gefühl, wirklich rational erklärt werden? Einfach als Ergebnis eines Cocktails aus chemischen Substanzen, unter anderem von Hormonen? Zunächst scheint es tatsächlich so. Die Erklärung von Neurowissenschaftlerin Franca Parianen auf die Frage, was Liebe sei, geht nämlich genau in diese Richtung: "Liebe ist ein Hormonfeuerwerk. Das fängt am Anfang sehr aufgeregt an mit Serotonin, Dopamin und Opioiden gleichzeitig. Cortisol allerdings auch – also Stresshormone sind definitiv mit an Bord."

Das klingt in der Tat so, als ob die Hormone der Hauptdarsteller im Spiel der Liebe wären. Auch das Bild von Martin Lindner, Biologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, geht in diese Richtung: 

Ich würde das als so eine Hormonsuppe bezeichnen, in die verschiedene Zutaten reingegeben werden. Und in dieser Suppe badet unser Gehirn. Und je nachdem, welche Komponenten reingeschmissen werden, so fühlt man sich dann.

Martin Lindner Biologe, Uni Halle

Zwei Holzmarionetten: Vater Spejbl und Sohn Hurvinek stehen sich vor schwarzem Hintergrund gegenüber.
Vati, was ist eigentlich Liebe? Das fragte einst schon eindringlich der kleine Hurvinek seinen Vater Spejbl. Bildrechte: imago/suedraumfoto

Hardware und Software arbeiten zusammen

Lindner bringt in seinem Bild von der Suppe mit den unterschiedlichen Zutaten des Hormoncocktails noch einen anderen Akteur mit ins Spiel. Nämlich unser Gehirn. Und genau in diesem Kästchen, in diesem kompakten Gebilde von Nervenzellen, fühlen und empfinden, leiden und feiern, begehren, hassen und lieben wir. In diesem Gebilde entstehen und wirken unter anderem auch Hormone und viele andere Botenstoffe. Diese beiden Akteure können nicht ohneeinander. Kein Gedanke, kein elektrischer Strom im Gehirn ohne Hormone, kein Hormon ohne aktive Nervenzellen, beschreibt Neurophysiologe Volkmar Leßmann von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg diese unlösbare Verbindung: "Es gibt eine gewisse Hardware, die wir verdrahtet vorliegen haben, das sind unsere Nervenzellen. Das ist nicht veränderbar. Und die Hormone sind die Software. Wenn ich Hormone mit dabei habe, dann kann ich jetzt sozusagen am Algorithmus feindrehen, wie Zelle A, B und C sich miteinander verhalten."

Dieses Feindrehen ist das Salz in der Suppe unserer Gedanken, unserer Erinnerungen und unserer Wahrnehmung. Denn blanke elektrische Signale, mit denen sich Nervenzellen verbinden, mit denen sie kommunizieren, sind limitiert in ihrer Darstellungsform. Vielleicht kann man sich die elektrischen Signale als Schwarz-Weiß-Foto vorstellen. Kommen aber Hormone dazu, werden sie sozusagen angemalt, dann werden unsere Sinneswahrnehmungen, Erinnerungen und Gedanken bunt, bekommen einen Farbanstrich, beschreibt Volkmar Leßmann: "Das kann dadurch eine ungeheure Vielfalt bekommen. Und damit ist auch die Einzigartigkeit des Gefühls in diesem Moment, für diese Person, in dieser Situation für mich in so einem Bild zu verpacken."

Franca Parianen beschreibt das Buntmalen so: "Also ich kann mich kognitiv verlieben. Ich kann jemanden sehen und sagen, das ist diese Person und alles an der mag ich und alles ist wunderbar. Aber dafür, dass ich Herzklopfen habe in diesem Moment, wenn ich diese Person sehe, dafür brauche ich die Hormone."

Hormone sind das Radio im Körper

Herzklopfen, weiche Knie, rote Wangen, ein flauer Magen – das alles kommt neben dem Feintuning der Nervenverbindungen auch dadurch zustande, dass viele Hormone eben nicht nur im Gehirn aktiv werden. Franca Parianen und Martin Lindner beschreiben die Liebe als ein Gefühl, dass uns ganz und gar ergreift: "Das geht, wie wir wissen, bis in die Fingerspitzen. Auch in die Spitzen von anderen Organen. Wir kennen das, glaube ich, dass wir manchmal durchflutet werden, von dieser Liebe."

Zwei Frauen sitzen auf einem Sofa im skandinavischen Design und küssen sich zärtlich
Zärtlich sein und küssen: Wie kommen wir eigentlich darauf? Bildrechte: imago images/Westend61

Hormone seien so eine Art Rundfunk, der dem ganzen Körper eine Nachricht überbringen kann. Der Atem rast, unser Herz schlägt schnell – Situationen, in denen wir eigentlich wollen, dass unser Kopf und unser Körper auf der gleichen Seite stehen.

Hormone haben bei jedem von uns eine ähnliche, aber lange nicht die gleiche Wirkung. Mit einem großen Schluck aus der Pulle des Sexualhormons Testosteron beispielsweise macht sich nicht jeder Mann mit seinem Balzgehabe automatisch zum Vollidioten. Auch das Bindungshormon Oxytocin wirkt bei vielen ganz unterschiedlich. Es wird ausgeschüttet, wenn Väter die Nähe ihres Kindes spüren, wenn Mütter stillen oder bei zärtlichen Berührungen. Entscheidend für die Wirkung von Hormonen können auch Erinnerungen und Erfahrungen sein, sagt Lars Penke von der Uni Göttingen:

"Wenn wir also sehr negative zwischenmenschliche Erfahrungen gemacht haben, sei es im Umgang mit Eltern oder auch in vorherigen Beziehungen, dann kann das auch insofern Spuren hinterlassen, dass man eine gewisse Bindungsängstlichkeit hat", so der Bio-Psychologe. "Die hat dann auch damit zu tun, wie man in neuen Beziehungen mit diesen Umständen umgeht. Also ob man zum Beispiel körperliche Kontakte überhaupt als positiv empfindet. Das beeinflusst, inwieweit zum Beispiel Körperkontakte überhaupt zu Oxytocin-Ausschüttung führen oder nicht."

Fehlende Liebe und Bindungsanst

Man weiß, dass fehlende Liebe oder körperliche Nähe in der Kindheit die Antennen auf den Zellen, also die Rezeptoren für das Bindungshormon Oxytocin, ausschalten. Wenn durch fehlende Berührungen oder Zärtlichkeiten wenig Oxytocin produziert wird, scheint der Körper zu sagen: Diese Antennen sind sinnlos, die brauche ich nicht, die lege ich erstmal lahm. Solche sogenannten epigenetischen Veränderungen sind mindestens über zwei Generationen nachweisbar. Das äußert sich nicht nur darin, dass Berührungen als unangenehm empfunden werden können, sondern, dass auch nächste Generationen weniger liebevoll erzogen werden.

Die Art zu lieben, Liebe zu empfinden und zu geben hängt aber nicht nur davon ab, was wir gerade erleben, was wir erlebt haben, wie wir denken, wie die Hormone unsere Hirnaktivitäten stimulieren bzw. ausmalen und durch unseren Körper strömen. Es scheint auch so zu sein, dass solche ursprünglichen, natürlichen Zustände wie das romantische, leidenschaftliche Verbliebtsein davon abhängen, wo und wann und unter welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wir leben. Zum Beispiel, ob wir die romantische Liebe als etwas Großes, Wundervolles oder als Krankheit bewerten. Anthropologin Birgitt Röttger-Rössler hat das in Indonesien erforscht. In einigen Regionen werden dort frisch Verliebte weggesperrt. Sie gelten als unzurechnungsfähig, als verzaubert, als krank und gehören beschützt. Birgit Röttger-Rössler ist überzeugt, dass mit dieser Sicht nicht nur das große Verliebtsein unterdrückt, verboten oder unterbunden wird, sondern dass die Menschen dort auch tatsächlich anders fühlen:

"Wir können nicht außerhalb der Schemata denken, die wir eigentlich im Laufe unseres Lebens erlernen. Und wenn ich erlernt habe, dass dieser Gefühlszustand, den wir als Verliebtheit hier bezeichnen, gefährlich ist, nehme ich den anders wahr", erklärt Röttger-Rössler. "Nämlich immer so mit einer negativen Konnotation als wenn ich erlernt habe, dass Verliebtheit eine wunderbare Sache und ein erstrebenswerter Zustand ist."

Gefahr, Flucht oder Liebesabenteuer? Schwer zu sagen

Wie unterschiedlich der akute Zustand der romantischen Liebe gefühlt werden kann, zeigt folgendes Gedankenspiel: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass, wenn man Augen, Nasen und Ohren verschließen würde und nicht wüsste, in welcher Situation man sich befindet, man anhand der Gefühle nicht unterscheiden könnte, ob man in Gefahr oder auf der Flucht ist oder ob gerade ein Liebesabenteuer beginnt. Die Hormone und die körperlichen Begleiterscheinungen sind jedenfalls ähnlich.

Je nach Stadium der Liebe sind in uns andere Hormonmischungen unterwegs: Ob wir frisch verliebt sind, uns gebunden haben oder voller Zuneigung und Vertrauen miteinander leben. Und immer treffen Hormone auf unsere neue Körperlichkeit, auf neue Erfahrungswelten und Gedanken. Und das alles gehört zur Liebe – aber immer und bei jedem anders.

Zwei Personen übereinander in einem Bett, Ansicht vom Fußende aus, bedeckt mit Decke, unscharf im Hintergrund Oberkörper einer Frau mit Top.
Hormone sind entscheidend für das große "Feuerwerk", aber doch nur ein Teil der Antwort.. Bildrechte: imago images/Panthermedia

Hormone sind nur ein Teil der Antwort

Hormone sind also ein wichtiger Teil der Liebe, der Teil der entscheidend für den Zauber dieses Zustandes ist: für die Lust, das Begehren, die Wärme und die Zufriedenheit. Allerdings sind Hormone eben nur ein Teil der Antwort, was Liebe ist, sagt auch Biologe Martin Lindner:

"Das sind also ja tausende, wenn nicht Millionen von Faktoren, die die Gefühle mitbestimmen. Was da letztlich los ist im Gehirn, bleibt da forschungsmäßig erstmal undurchsichtig", so Lindner. "Aber selbst, wenn wir da ein paar mehr Faktoren unterscheiden könnten, dann sind das so viele, dass wir überhaupt nicht voraussagen können, wie jetzt der Hormoncocktail oder auch diese Situation auf den jeweiligen Menschen wirkt."

Wir haben so eine Ahnung, wie Liebe funktioniert und welche Rolle Hormone in diesem System spielen und wie kompliziert die Liebe ist. Natürlich reizt es uns, herauszufinden, wie der Zauber der Liebe zustande kommt, aber zum Glück stoßen wir dabei immer wieder an unsere Grenzen. Denn eigentlich wollen und brauchen wir gar keine rationale Erklärung für die Liebe. 

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