Genbasierte Medizin Gibt es bald mRNA-Therapien direkt fürs Gehirn?
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23. Februar 2025, 12:00 Uhr
Künstlich hergestellte Boten-RNA (mRNA) haben während der Covid-19-Pandemie im Impfstoff für große Aufmerksamkeit gesorgt. Jetzt erklären US-Forscher, sie haben eine neue Lipid-Nanopartikel-Plattform entwickelt, um Boten-RNA durch die schützende Blut-Hirn-Schranke direkt ins Gehirn zu transportieren. Sie sehen ein großes Potenzial zur Behandlung von Hirnkrebs, Alzheimer und Drogenabhängigkeit. Eine Einschätzung, die mRNA-Forscher in Halle grundsätzlich teilen - mit kleinen Einschränkungen.
Das Prinzip ist einleuchtend: Eine künstlich hergestellte Boten-RNA (mRNA) transportiert eine Bauanleitung. Am Zielort angekommen, produziert der Körper mit diesem Bauplan viele Virusproteine, die helfen, Infektionen zu bekämpfen und zu beantworten. Noch einfacher formuliert: Ein Bote bringt einen Plan vorbei, mit dem der Körper seine Immunantwort aufstellen kann. Das ist der Ansatz der mRNA-Forschung.
Doch natürlich ist nicht alles so einfach, wie es scheint und der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail. Um Boten-RNA für eine Immunabwehr im Gehirn zu entwickeln, muss diese beispielsweise die schützende Blut-Hirn-Schranke durchlaufen. Das ist gar nicht so einfach, denn der Körper hat sich einiges ausgedacht, um das Gehirn als Schaltzentrale vor äußeren Einflüssen zu schützen.
Lipid-Nanopartikel passieren Blut-Hirn-Schranke
Forschende aus den USA erklären jetzt, einen Ansatz entwickelt zu haben, mit dem Boten-RNA die schützende Blut-Hirn-Schranke passieren könne, um im Gehirn als potenzielles Therapeutikum zu wirken. Konkret haben Wissenschaftler der "Icahn School of Medicine am Mount Sinai" in New York ein Lipid-Nanopartikelsystem entwickelt, mit dem Boten-RNA (mRNA) über eine intravenöse Injektion in das Gehirn transportiert werden kann.
Was ist die Blut-Hirn-Schranke?
Die Blut-Hirn-Schranke ist eine selektiv durchlässige Barriere zwischen dem Blutkreislauf und dem Zentralnervensystem (ZNS), die den Stoffaustausch kontrolliert und das Gehirn schützt. Sie verhindert, dass schädliche Stoffe wie Giftstoffe oder Krankheitserreger aus dem Blut ins Gehirn gelangen können. Gleichzeitig ermöglicht sie den Transport lebenswichtiger Substanzen wie Sauerstoff und Nährstoffe ins Gehirn, während sie andere Stoffe aktiv oder passiv zurückhält. Eine gestörte Funktion der Blut-Hirn-Schranke kann zu schweren Erkrankungen wie Alzheimer oder Multiple Sklerose führen.
An Mäusen und isoliertem Hirngewebe getestet
"Die Ergebnisse, die in Mausmodellen und isoliertem menschlichem Hirngewebe nachgewiesen wurden, könnten die Behandlungsmöglichkeiten für neurologische und psychiatrische Erkrankungen erweitern", erklären die Forschenden. "Sie zeigen, dass diese Technologie den Weg für künftige Behandlungen für eine Vielzahl von Krankheiten wie Alzheimer, amyotrophe Lateralsklerose, Hirnkrebs und Drogenabhängigkeit ebnen kann." Die Studie wurde in der Online-Ausgabe des Fachmagazins "Nature Materials" veröffentlicht.
Möglich bei Erkrankungen des Zentralnervensystems
Die Blut-Hirn-Schranke dient als Schutzschild, der verhindert, dass Substanzen das Gehirn erreichen. "Unsere Studie zeigt, dass diese Lipid-Nanopartikel (BLNPs), die die Blut-Hirn-Schranke überwinden, mRNA sicher und effizient in das Gehirn transportieren können", erklärte Erstautor Yizhou Dong, Professor für Immunologie und Immuntherapie. Das sei ein wichtiger Schritt für mRNA-basierte Behandlungen von Erkrankungen des zentralen Nervensystems und zeige, dass ein solcher Ansatz praktikabel sei.
Experte Mäder aus Halle: guter Schritt, kein Durchbruch
Karsten Mäder, Professor für Pharmazie an der Uni Halle, sieht in der Studie einen guten Schritt doch keinen Durchbruch. "Boten RNA haben ein großes Potenzial auch außerhalb der bekannten Impfstoffe", erklärt Mäder MDR WISSEN. Ein Problem sei jedoch, dass viele Boten-RNA nur in kleinen Mengen dort landen, wo sie wirken sollen und sich stattdessen in anderen Organen sammeln. "Die Publikation beschreibt, dass neue Moleküle dazu genutzt werden, besser die Blut-Hirn-Schranke zu passieren. Trotzdem landen jedoch noch immer viele Partikel in der Leber und der Milz. Die Studie ist insofern ein Schritt in die richtige Richtung, aber ich würde es jetzt nicht als total großen Durchbruch werten."
Wenn wir hier vorankommen und wirksame Therapien entwickeln, können wir fast alle Krankheiten damit beeinflussen.
Mäder sieht großes Potenzial in mRNA-Therapien
Der Pharmazeut Mäder sieht in der mRNA-basierten Therapien ein riesiges Potenzial. "Wenn wir hier vorankommen und wirksame Therapien entwickeln, können wir fast alle Krankheiten damit beeinflussen oder auch weitere neue Ansätze mit entwickeln." An der guten Verteilung der Boten-RNA müsse jedoch noch gearbeitet werden, hier sei auch eine lokal kontrollierte Freisetzung an bestimmten Organen, wie am Auge vielversprechend. "Bei intravenöser Gabe, findet das Zielgewebe die Partikel mit der Boten-RNA sehr viel schwieriger."
Mäder forscht selbst am mRNA-Kompetenzzentrum auf dem Weinberg-Campus in Halle für das Projekt "Zielwirk", wie Boten-RNA gut an das Ziel im Körper gebracht werden kann. Unter anderen hat er mit Professor Arne Viestenz, Direktor der Augenklinik der Uni Halle eine Art Kontaktlinse entwickelt, mit der Medikamente gut in das Auge abgegeben werden können.
Ist es nicht gefährlich, die Blut-Hirn-Schranke zu unterlaufen?
Doch ist es nicht gefährlich, die Blut-Hirn-Schranke zu unterlaufen? Die hat ja nicht umsonst ihre Schutzfunktion? "Hier muss man schauen, wie man die Blut-Hirn-Schranke praktisch umgeht oder öffnet", erklärt Mäder. "Werden osmotisch aktive Substanzen injiziert, kommen eigentlich alle Substanzen durch die Schranke. Doch hier in dieser Studie funktioniert das ja mit Lipiden, die mit bestimmten Regulierungsmechanismen zusammenhängen. Das heißt: Hier werden die Partikel erst einmal selbst transportiert, Fremdstoffe jedoch nicht beeinflusst. Insofern sehe ich hier die Gefahr als geringer an."
Hier werden Partikel transportiert, Fremdstoffe jedoch nicht beeinflusst. Insofern sehe ich hier die Gefahr als geringer an.
Was sind mRNA-Impfstoffe?
mRNA-Impfstoffe basieren auf einem genbasierten Wirkprinzip, bei dem eine künstlich hergestellte Boten-RNA (mRNA) in den Körper injiziert wird . Diese mRNA enthält die Bauanleitung für ein harmloses Virusprotein, das vom Körper selbst hergestellt wird, um eine Immunantwort auszulösen. Dadurch wird das Immunsystem trainiert, das echte Virus bei einer Infektion zu erkennen und zu bekämpfen, ohne dass der Impfstoff das Virus selbst enthält.
Zusammenhang zwischen mRNA-Impfstoffen und der Covid-Pandemie
mRNA-Impfstoffe spielten eine zentrale Rolle in der Bekämpfung der Covid-Pandemie, da sie speziell entwickelt wurden, um das Immunsystem gegen das Sars-CoV-2-Virus zu trainieren. Sie enthalten die Bauanleitung (mRNA) für ein harmloses Virusprotein, das nach der Impfung von den Körperzellen produziert wird, um eine Immunantwort auszulösen. Diese Technologie ermöglichte eine schnelle Entwicklung und Produktion der Impfstoffe. Unternehmen wie Biontech und Moderna waren Vorreiter bei der Entwicklung dieser Impfstoffe.
Wann gab es den ersten mRNA-Impfstoff?
Der erste mRNA-Impfstoff wurde im Zuge der Covid-19-Pandemie entwickelt und zugelassen. Die Impfstoffe von Biontech/Pfizer (Comirnaty) und Moderna (Spikevax) waren die ersten mRNA-Impfstoffe, die in der EU und weltweit zugelassen wurden, beginnend im Dezember 2020. Obwohl an der mRNA-Technologie bereits seit über 20 Jahren geforscht wurde, kam sie vor der Pandemie noch nie in einem zugelassenen Impfstoff zum Einsatz. Die schnelle Entwicklung dieser Impfstoffe war ein Meilenstein in der Impfstoffforschung und -produktion.
US-Forscher testeten 72 Lipide
Um möglichst optimal durch die Blut-Hirn-Schranke zu kommen, testeten die Forschenden in New York 72 Lipide. Sie führten Screenings und Strukturoptimierungsstudien durch und ermittelten den Entwurf für ein neues Medikament "MK16 BLNP". Dieses könne mRNA viel effizienter transportieren als die bereits von Arzneimittelbehörde (FDA) zugelassenen Lipid-Nanopartikel.
Viele weitere Studien notwendig
"Unsere Ergebnisse unterstreichen das Potenzial der Lipid-Nanopartikel, um die größten Herausforderungen bei der Behandlung von Gehirnerkrankungen zu bewältigen", sage Eric J. Nestler, Dekan für akademische Angelegenheiten an der Icahn School of Medicine am Mount Sinai. "Wir freuen uns sehr darauf, diese neuartige Plattform für breitere therapeutische Anwendungen weiter zu evaluieren."
Die Forschenden weisen darauf hin, dass viele weitere Studien erforderlich sind, um die langfristige Sicherheit und Wirksamkeit zu bewerten, dazu gehören auch toxikologische Studien nach der Maßgabe der US-Arzneimittelbehörde. Die künftige Forschung werde sich auf die Verfeinerung der Technologie für die klinische Umsetzung konzentrieren.
Links/Studien
Die Arbeit trägt den Titel "Blood-brain-barrier-crossing lipid nanoparticles for mRNA delivery to the central nervous system" und ist hier im Original: DOI10.1038/s41563-024-02114-5 einsehbar.
(eurealtert/tomi/Interview mit Professor Karsten Mäder)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | MDR Sachsen-Anhalt | 04. Juni 2024 | 05:06 Uhr
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