Gendermedizin Frauen brauchen andere Medizin als Männer
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07. März 2020, 12:00 Uhr
Immer am 8. März zum internationalen Frauentag viel über Gleichberechtigung von Männern und Frauen gesprochen. Es gibt jedoch einen Bereich, in dem Männer und Frauen nicht gleich behandelt werden sollten, in dem das sogar gefährlich ist: Die Medizin. Denn dort spielen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern eine wichtige Rolle, sowohl bei der Diagnose als auch bei der Therapie. Werden diese ignoriert, können die Folgen tödlich sein.
Stellen Sie sich vor, Ihre Mutter oder Ihre Frau sagt an einem Sonntag auf einmal, sie fühle sich irgendwie komisch. Ihr sei übel, sie bekomme schlecht Luft, habe starke Bauchschmerzen. Doch in der überfüllten Notaufnahme stellt der Arzt nur ein paar Fragen und verschreibt ihr vor allem Ruhe.
Weil es nicht besser wird, fahren Sie am nächsten Morgen wieder ins Krankenhaus. Die Ärztin, die jetzt Dienst hat, ist sofort besorgt: Der Blutdruck ist viel zu hoch. EKG-Elektroden bestätigen ihren Verdacht: ein Herzinfarkt. Ein fiktives Beispiel. Allerdings zeigen Untersuchungen aus den USA: Frauen sterben nach einem Herzinfarkt immer noch deutlich häufiger als Männer. Am Herzzentrum in Leipzig bietet Sandra Eifert deshalb eine so genannte Frauenherzsprechstunde an.
Die Frauen sind ja viele Jahre durch die Östrogene vor Herz-Kreislauf-Krankheiten geschützt und dadurch kommen die grundsätzlich erstmal zehn Jahre später als die Männer. Dann ist die Symptomatik eine andere. Die haben dann halt Übelkeit, da würde man nicht unbedingt daran denken, dass man zu einem Herzspezialisten geht.
Eine Herz-Kreislauf-Erkrankung wird von den betroffenen Frauen also seltener als eine solche wahrgenommen. Es dauert häufig deutlich länger, bis sie diagnostiziert wird und auch die Therapie ist oft nicht stringent genug. Deshalb sterben auch ungefähr doppelt so viele Frauen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Männer.
Man könnte sagen, der Patient ist im Deutschen männlich und so wird ER behandelt. Es ist einfach so, dass die Richtlinien im Prinzip eher am männlichen Patienten orientiert sind.
Gesundheitsversorgung muss Geschlechterunterschiede mitdenken
Genau das muss sich ändern, sagt Professorin Eifert. Wir brauchen eine Gesundheitsversorgung, die die Unterschiede der Geschlechter mitdenkt - Gendermedizin nennt man das. International gibt es schon relativ viele Forschungsinstitute, die sich mit diesem Thema beschäftigen.
Vorreiter sind die USA, Kanada und Skandinavien. Hier in Deutschland gibt es nur ein Institut, das sich mit Gendermedizin auseinandersetzt - an der Charité in Berlin. Geleitet wird es von Professorin Gertraud Stadler und die sagt: Das Problem beginnt nicht erst im Krankenhaus, sondern schon in der Forschung.
Grundsätzlich werden Medikamente vor allem an jungen, gesunden Männern getestet. Man hat natürlich die Sorge, dass wenn man Frauen einschließen würde, dass die schwanger werden würden und man möchte natürlich auf keinen Fall das ungeborene Leben schädigen. Was natürlich problematisch ist. Und dann ist es so, dass es nicht nur in der Medikamentenerprobung an männlichen Probanden getestet wird, sondern auch in der Medikamentenentwicklung.
Sogar in der Tierforschung werden Stadler zufolge vorrangig männliche Tiere eingesetzt. Insofern, sagt sie, verstehen wir die weibliche Physiologie und die Unterschiede bei den Geschlechtern eben weniger.
Wenn Medikamente geschlechtsbedingt anders wirken
Das hat gravierende Folgen. Von zehn Medikamenten, die in den vergangenen Jahren wegen schwerster Nebenwirkungen vom Markt genommen werden mussten, zeigten acht diese Wirkungen vorrangig bei Frauen. Es gibt solche Probleme jedoch auch anders herum, sagt Gertraud Stadler, zum Beispiel mit Osteoporose.
Die man immer als Frauenkrankheit so im Kopf hat, die aber bei Männern auch gar nicht so selten auftritt. Und dann bei den Männern, weil da immer so eine postmenopausale Frau als Geschlechterstereotyp im Kopf rumgeistert, weniger erkannt wird und auch weniger behandelt wird.
Geschlechtersensibilität als Teil medizinischer Ausbildung
Wir sollten uns also dringend mehr mit den Unterschieden zwischen Männern und Frauen beschäftigen. Gertraut Stadler will an ihrem Institut den Studierenden diese Geschlechtersensibilität näher bringen. Aber: Wir stehen da noch ganz am Anfang.
Also einerseits in der Forschung, wo sich wirklich als Thema komplett durchzieht, dass man in allen Bereichen herausfinden muss, wo gibt es denn die großen Geschlechterunterschiede? Momentan haben wir da weitgehend anekdotisches Wissen.
Auch in der Prävention von Krankheiten seien geschlechterspezifische Angebote wichtig, angesichts einer alternden Gesellschaft.
Leipziger Herzzentrum hat die Unterschiede auf dem Schirm
Einzelne Leuchttürme gibt es schon, so wie das Herzzentrum in Leipzig. Jeden Tag behandeln die Ärzte hier 200 Patientinnen und Patienten und achten schon in der Diagnostik ganz genau darauf, dass Frauen und Männer unterschiedlich sind. Sandra Eifert ist guter Dinge, dass diese geschlechtersensible Form der Gesundheitsversorgung sich durchsetzen wird.
Das Interesse und auch die Resonanz –es wächst. Auch die Radiologen oder andere Fachrichtungen, große Fachrichtungen, die viele Frauen und männliche Patienten sehen – das nimmt zu. Bei den Patienten nimmt die Sensibilität auf jeden Fall zu, weil sie die Beschwerden auch haben.
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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 08. März 2020 | 05:20 Uhr
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