Drei Hände stoßen mit Sektgläsern an. Im Hintergrund sind unscharf zwei ebenfalls trinkende Frauen in einem hell erleuchteten Raum zu erkennen.
Die Feierei nimmt kein Ende: Die Russen stoßen gleich zweimal auf das neue Jahr an. Bildrechte: imago/ITAR-TASS

Feste und Feiern Trinken als Akt der Emanzipation: Über Frauen und Alkohol

30. Dezember 2024, 15:17 Uhr

Wirte aus Londoner Pubs sind irritiert, weil es Lieferprobleme bei Guinness gibt. Angeblich, weil viele junge Frauen wegen Influencerin Kim Kardashian viel mehr Bier trinken. Gleichzeitig warnen Mediziner davor, dass Alkoholstörungen längst kein männliches Problem mehr sind. Wie trinkende Frauen gesellschaftlich stigmatisiert werden – und wie weit das zurückgeht –, erklärt Kulturwissenschaftlerin Professorin Dorit Brixius im Gespräch von MDR WISSEN.

"Ist Alkohol ein Frauenproblem?", "Immer mehr junge Frauen mit Alkoholproblem", "Wieso ausgerechnet erfolgreiche Frauen trinken?" – besonders in den vergangenen Jahren häufen sich Meldungen über den steigenden Alkoholkonsum von Frauen. Kurz vor Weihnachten trudelte nun auch noch die Meldung ein, dass es Lieferprobleme bei Guinness gibt. Angeblich, weil viele junge Frauen es der Influencerin Kim Kardashian nachmachen und viel mehr Bier trinken. Gleichzeitig warnen Mediziner davor, dass Alkoholstörungen längst kein männliches Problem mehr sind.

Doch warum werden trunkene und betrunkene Frauen in der Gesellschaft eigentlich noch so viel anders betrachtet als betrunkene Männer? Wie viele Stereotype stecken in der unterschiedlichen Bewertung des Trinkverhaltens von Frauen und Männern? Und trinken Frauen wirklich so viel mehr als früher?

Von trinkenden Frauen in Wirtshäusern

Eines vorab: Ja, übermäßiger Alkoholkonsum ist schädlich. Alkohol ist die Volksdroge Nummer 1 in Deutschland und viele Krankheiten sind durch Alkohol bedingt. Das möchte dieser Beitrag in keinem Fall in Frage stellen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät dazu, keinen Alkohol zu trinken. Aber auch wenn es ums Trinken geht, gibt es eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen.

"Es wird heute noch viel stereotypisiert und stigmatisiert, wenn eine Frau viel trinkt", erklärt Professorin Dorit Brixius. "Trinken kann auch ein Teil der Emanzipation sein." Brixius ist Kulturwissenschaftlerin an der TU Dresden und hat sich in ihrer Abschlussarbeit mit Frauen in Wirtshäusern in Paris und in der Pariser Umgebung im 18. Jahrhundert beschäftigt. Dabei analysierte sie anhand von Gerichtsakten, Reiseberichten und Theatererzählungen Frauen hinter und vor dem Tresen – und ging der Frage nach, welche Frauen eigentlich in die Wirtshäuser gingen und wie dies gesellschaftlich betrachtet wurde.

Professorin Dorit Brixius, Kulturwissenschaftlerin TU Dresden
Wein und Schnaps trinkende Frauen in Wirtshäusern der Region Paris im 18. Jahrhundert - damit hat sich Kulturwissenschaftlerin Dorit Brixius wissenschaftlich beschäftigt. Bildrechte: Dorit Brixius

Alkohol, um patriarchale Strukturen aufzubrechen

"Das Wirtshaus war ein Ort der Geselligkeit und Alkohol war ein Teil der Geselligkeit", erklärt Brixus. "Früher wurden Frauen stigmatisiert, die in ein Wirtshaus gingen. Mittlerweile gibt es ein viel differenzierteres Bild. Frauen nutzten den Alkoholkonsum, um patriarchale Strukturen aufzubrechen." Für Brixius war das Trinken im 18. Jahrhundert ein Akt der Emanzipation. "Es ziemte es sich nicht – vor allem für bürgerliche Frauen – Alkohol zu trinken." Geschah es dennoch, konnte dies mit gesellschaftlicher Deformation einhergehen. Von dieser gesellschaftlichen Zuschreibung hätten sich die Frauen zunehmend entfernt. Doch bis heute seien Reste davon in der Gesellschaft zu erkennen.

Phänomen auch Folge der Emanzipation

Dass der zunehmende Alkoholkonsum auch Ausdruck der Emanzipation der Frauen ist, unterstreicht auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, Falk Kiefer. "Junge Menschen werden bei uns zum Glück in einer Welt groß, wo jungen Frauen die gleichen Möglichkeiten und auch die gleichen Risiken offenstehen wie jungen Männern", erklärte er. Allerdings beinhalte das auch das Konsumverhalten in Sachen Alkohol. Es sei naheliegend, dass sich auch das Trinkverhalten angleicht.

Druck durch soziale Medien

Hinzu kommen andere Faktoren wie etwa Druck durch die sozialen Medien. "Ich kann mir vorstellen, dass dieser Druck dazu führt, dass man sich Entlastung in Form von Alkohol und Drogen verschafft und im Rausch gerne vergessen möchte, dass man geghostet oder gemobbt wurde", sagt Stephanie Krüger, Psychiaterin an den Berliner Vivantes Kliniken.

Wettbewerb im Trinken im ländlichen Raum

Besonders auf dem Land sind laut Kulturwissenschaftlerin Brixius noch alte Traditionen erkennbar. So seien Wettbewerbe im Trinken keine Seltenheit – vor allem unter Männern. "Wenn dann doch einmal eine Frau die Männer unter den Tisch trinkt, machen die Männer große Augen." Zudem würden alkoholfreie Cocktails oft mit Jungfräulichkeit in Verbindung gebracht, das zeigten zum Beispiel die Namensgebungen "Virgin Colada" oder "Virgin Mochito".

Ein Mann mit einer Büchse Bier, die er vor seinem Bauch hält. 30 min
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Wie viel Alkohol trinken Frauen?

Auch in der Bewertung des Alkoholkonsums werden Unterschiede gemacht. "Lange Zeit galten Alkoholstörungen als ein eher männliches Problem, da Männer verhältnismäßig mehr Alkohol konsumieren und häufiger alkoholabhängig sind als Frauen", heißt es auf dem Frauengesundheitsportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. "Allerdings ist Alkoholmissbrauch auch bei Frauen ein relevantes Gesundheitsproblem.“

Was heißt das konkret? Laut dem Portal weisen In Deutschland 14,3 Prozent der Frauen nach Selbstangaben einen gesundheitlich riskanten Alkoholkonsum auf. Das entspricht mehr als zwölf Gramm Reinalkohol am Tag. Rund 15,5 Prozent der Frauen geben an, mindestens einmal innerhalb eines Monats bis zum Rausch getrunken zu haben. Das entspricht fünf oder mehr alkoholischen Getränken an einem Tag.

Viel weniger Frauen komatös betrunken

Im Vergleich zu den Männern trinken sie dennoch seltener bis zur Besinnungslosigkeit. So erklärt die Barmer-Krankenkasse beispielsweise in einem Bericht, dass im Jahr 2022 über eine Million Männer mit Alkoholsucht stationär behandelt werden mussten. Demgegenüber stehen 470.000 Frauen, weniger als die Hälfte. Besonders viel getrunken wird – wenig überraschend – in Bayern, doch auch in Sachsen. Auch wenn der Anteil der trinkenden Frauen laut vieler Studien steigt, sind sie noch weit vom Niveau der Männer entfernt. Dennoch werden Meldungen über trinkende Frauen immer noch mit einem hohen Aha-Effekt behandelt.

Frauen vertragen weniger

Allerdings hat das neben gesellschaftlichen Zuschreibungen auch einen einfach medizinischen Hintergrund. Frauen vertragen viel weniger Alkohol. Laut Weltgesundheitsorganisation sollten sie nicht mehr als zwölf Gramm reinen Alkohol pro Tag trinken. Männer vertragen das Doppelte: Hier liegt das von der WHO bezifferte riskante Maximum bei 24 Gramm reinem Alkohol. Das liegt auch daran, dass Frauen im Vergleich zu Männern bei gleichen Trinkmengen mehr Alkohol aufnehmen, da sie einen geringeren Wasseranteil im Körper aufweisen. Die WHO betont aber auch: Alkohol ist immer schädlich, es gibt keine unbedenkliche Menge.

Viel Alkohol in gehobenen Bildungsschichten

Laut Robert Koch-Institut steigt mit hohem Bildungsniveau sowohl bei Frauen als auch bei Männern der riskante Alkoholkonsum. Das scheint im 18. Jahrhundert noch anders gewesen zu sein. "Frauen der unteren Schichten waren im Wirtshaus eher akzeptiert als Frauen aus der gehobenen Bürgerschaft", erklärt Kulturwissenschaftlerin Brixus. Diese hätten sich eher in Kaffeehäusern aufgehalten. Ob sie sich dann immer einen kleinen Schnaps in ihren Kaffee gossen oder vielleicht heimlich zu Hause tranken, könnte der Gegenstand der noch recht jungen Wissenschaftsdisziplin "Drinking Studies" werden.

Kulturwissenschaftlerin Dorit BrixiusLinks/Studien Professorin Dorit Brixius ist studierte Kulturhistorikerin mit dem Schwerpunkt Wissenschaftsgeschichte. Sie war viele Jahre an Institutionen im Ausland tätig und wechselte in dieser Zeit von den Wirtshäusern, zur Medizingeschichte und Kolonialgeschichte sowie zur Geschichte der Gärten. Im Sommer 2024 tat sie die Stelle als Juniorprofessorin für Geschichte der Botanik und des Gartenbaus an der TU Dresden an. Sie lebt mit ihrer Tochter in Dresden und erwartet bald ihr zweites Kind.

(tomi)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 29. November 2024 | 16:30 Uhr

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