Wissen-News Ethiker warnen vor Gen-Screening für werdende Eltern
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22. November 2024, 05:00 Uhr
Eine australische Studie hat gezeigt, dass werdende Eltern mit einem erhöhten Risiko für vererbbare Krankheiten ihre Familienplanung umstellten, wenn sie von dem Risiko wussten. Ethiker schlagen Alarm.
Umfassende genetische Untersuchungen werdender Eltern haben aus Sicht von Ethikern eher negative Auswirkungen auf Familienplanung und Gesellschaft. Die sogenannten Carrier-Screenings, bei denen die Erbanlagen beider Elternteile auf mögliche Krankheitsrisiken für Kinder untersucht werden, schafften zusätzliche Verunsicherung und "falsche Sicherheit", erklärt der Schweizer Moraltheologe Markus Zimmermann. "Denn viele genetische Defekte bei Embryonen beruhen auf Spontanmutationen, die sich nicht vorhersagen lassen."
Gefahr einer falsch-positiven Wahrnehmung
Zimmermann äußerte sich zu einer nun veröffentlichten Studie australischer Wissenschaftler. Diese hatten in einem Forschungsprojekt über 9.000 Paare, die eine Schwangerschaft planten oder sich bereits in der Frühphase der Schwangerschaft (bis zehnte Woche) befanden, einem Carrier-Screening unterzogen. Bei 175 dieser Paare sei eine bislang unbekannte genetische Vorbelastung festgestellt worden. Der Großteil habe daraufhin seine Familienplanung verändert. Bei 45 Paaren, von denen die Frau bereits schwanger war, ließen 29 eine genetische Untersuchung am Fötus durchführen; vier davon entschieden sich nach einem auffälligen Ergebnis für eine Abtreibung.
Die Ergebnisse solcher Untersuchungen böten für die betroffenen Paare aber nur sehr vage Ergebnisse, mahnt der Ethiker der Universität Fribourg. So bestehe die Gefahr einer falsch-positiven Wahrnehmung. "Das heißt, dass als vorbelastet identifizierte Paare gleichwohl Kinder bekommen, die dann aber nicht betroffen sind." Auch sei bei einer Vorbelastung unklar, wie stark ein Kind später betroffen sei.
"Fatales Signal" zur politischen Entwicklung
Der österreichische Bioethiker Giovanni Rubeis warnt zudem vor einer politischen Instrumentalisierung der Untersuchung. "Derartige Screenings könnten auch darauf abzielen, die Existenz von Menschen mit bestimmten Behinderungen zu verhindern, somit also zu eugenischen Zwecken eingesetzt werden." Einige Forschungsinstitute und private Anbieter böten entsprechende Tests auch schon in Deutschland an, teilweise mit hohen Kosten für Eltern. Dazu könnten die Untersuchungen die Eltern überlasten, wenn nicht gar überfordern. "Ein Screening könnte daher auch den Effekt eines sogenannten 'information overload' haben, was eine selbstbestimmte Reproduktionsentscheidung nicht stärkt, sondern unterminiert." Ein routinemäßiges Angebot lehnt der Wissenschaftler entschieden ab. "Gerade in Zeiten der gesellschaftlichen Entsolidarisierung und des Wiederaufkommens des Faschismus als politische Kraft wäre das ein fatales Signal."
Links/Studien
Die Studie "Nationwide, Couple-Based Genetic Carrier Screening" ist im "New England Journal of Medicine" erschienen.
kna/smc/jar
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 21. November 2024 | 06:13 Uhr
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