Studie Ist die Alterseinsamkeit ein Mythos?

06. Januar 2020, 16:00 Uhr

Vielen macht das Angst, weil wir oft lesen: Mit dem Alter kommt die Einsamkeit. Dabei hat sich das Altern ganz schön gewandelt in den letzten Jahrzehnten. Können wir unseren Seniorentagen also gelassen entgegensehen?

Unser Bild vom Alter kann Angst machen: Kinder und Enkel weit weg, der Partner vielleicht schon verstorben - wer alt wird, droht zu vereinsamen. Mobilität, Geselligkeit, die Teilhabe am öffentlichen Leben scheinen ein Privileg der Jugend zu sein. Über diese Einsamkeits-Epidemie unter Senioren wird in den Medien oft diskutiert.

In einer Sonderausgabe der Zeitschrift Psychologie and Aging, also Psyche und altern, heißt es jetzt, diese Einsamkeit der Alten gibt es gar nicht. Die Situation soll heute nicht schlechter sein als noch vor einigen Jahrzehnten, sie habe sich sogar verbessert. Also, wie ist das nun mit der Alterseinsamkeit?

Wer einsam ist, ist selber schuld?

Zum Beispiel Renate M. aus Leipzig. Sie ist 81 Jahre alt und geht dreimal in der Woche ins Fitnesscenter, sie geht auch gerne tanzen oder trifft Freundinnen. Sie sagt: "Ich fühle mich nicht einsam. Man muss aktiv bleiben und raus gehen und sich melden." Die betagte Dame glaubt, wer einsam ist, sei selbst daran schuld. Sie selbst lebt zwar alleine, sieht das aber als Vorteil. Einen Partner an ihrer Seite will sie nicht mehr. Alleine fühle sie sich besser, könne machen, was sie wolle. Sie klingt nicht nach einer Frau über 80. Aber ist sie denn überhaupt eine typische Vertreterin ihrer Altersgruppe ?

Ich denke, wir sehen auf jeden Fall, dass ältere Erwachsene heutzutage aktiver sind und gesünder.

Johanna Drewelies

Die Entwicklungspsychologin Johanna Drewelies arbeitet und lehrt an der Humboldt Universität in Berlin. Sie wertete Studien aus, die sich mit der Selbstbestimmtheit alter Menschen befassen. Dabei verglich sie die Aussagen von 60-Jährigen vor 20 Jahren mit den Aussagen von heute und sah:

Dass alte Erwachsene, die vor 20 Jahren 60 waren, einen stärkeren, altersbedingten Abfall an Kontrolle haben, das heißt, die haben eher dazu geneigt, weniger Kontrolle mit dem Alter zu haben.

Johanna Drewelies
Senioren beim tanzen
Spaß am Tanzen vergeht nicht mit dem Alter. Bildrechte: Colourbox.de

Viele Lebensbereiche hätten sich im Laufe der letzten Jahrzehnte für ältere Menschen verbessert und nicht verschlechtert. Das würden insgesamt elf Studien aus den USA, Deutschland und anderen europäischen Ländern zeigen. Darin wurden Aussagen von früher geborenen, alten Menschen bis 75,  mit Menschen von heute verglichen. Die Forscher schaffen damit einen Satus Quo und sagen, die Einsamkeits-These funktioniert so nicht mehr. Über die Gründe, können sie aber erst einmal nur spekulieren.

Das soziale Netzwerk der Menschen hat sich verändert, gegebenenfalls sind weniger Leute verheiratet, als sie früher waren. Und wir haben eine Verbesserung der Gesundheit. Wenn sie gesünder sind, haben sie insgesamt mehr Möglichkeiten, sozial aktiv zu sein.

Johanna Drewelies

Jenseits der 80 nimmt die Einsamkeit zu

Heute gäbe es viel bessere Möglichkeiten mit Freunden oder Familie in Kontakt zu bleiben, sagt Entwicklungspsychologin Drewelies. Telefon, Sprachnachrichten, Skypen mit den Enkeln. Auch die Leipziger Rentnerin Renate M. hat nicht das Gefühl, dass sie die Kontrolle über ihr Leben verliert. Sie würde sich auch nicht wie 81 fühlen, sondern eher wie eine Mittfünfzigerin. Damit ist sie dann doch eine Ausnahme.

Denn die Daten zeigen auch, dass nach dem 80. Lebensjahr das Thema Einsamkeit bei vielen Menschen doch größer wird. Die Forscher wollen nun herausfinden, woran es liegt, dass alte Menschen heute zwar weniger einsam sind, ab 80 das Problem die Einsamkeit aber wieder zunimmt. Dafür sind weitere Studien geplant.

Dieses Thema im Programm: MDR aktuell | Radio | 12. Dezember 2019 | 17:50 Uhr

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