Corona-Forschung Aerosole: Mögliches Covid-19-Risiko

03. September 2020, 13:57 Uhr

Alle wissen, dass Coronaviren eingeatmet werden können, weil sie in der Luft schweben. Aber wie lange bleiben sie in der Luft, wie verteilen sie sich speziell in geschlossenen Räumen? In Sachsen erforschen das Teams der TU Freiberg und der Uniklinik Leipzig.

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Das Coronavirus SARS-CoV-2  wird über Tröpfchen übertragen. Entweder befinden sich diese Tröpfchen auf Oberflächen – Türklinken, Sitzplätze in der Bahn oder Schreibtische im Büro. Durch Desinfektion kann man diese Viren entfernen und unschädlich machen. Es könnte aber auch eine andere Übertragungsform geben – über Aerosole, kleinste in der Luft schwebende Teilchen. Ob das passiert und wie gefährlich dieser Übertragungsweg ist, wird gerade in Sachsen erforscht.

Schwebeteilchen aus Speichelresten würden gute Bedingungen für Viren bieten

Aerosole umgeben uns die ganze Zeit. Sie entstehen beim Ein- und Ausatmen, beim Niesen, Sprechen, Husten. Vorstellen lassen sie sich als Wolken oder Schwärme kleinster Partikel, die manchmal stundenlang in der Luft schweben. Sie sind so klein, dass man die einzelnen Kleinstteilchen nicht mal mehr mit dem Mikroskop erkennen kann.

Die Coronaviren könnten diese Aerosolpartikel als Sozia oder Sozius nutzen – als Mitschwebgelegenheit. Denn Aerosole bestehen auch aus Speichelrresten. Und die darin enthaltenen Salz-, Zucker- oder Fettreste könnten akzeptable Bedingungen für das Virus schaffen. Dadurch könnten die Coronaviren an Aerosolpartikeln angedockt bis zu mehreren Stunden frei in der Luft schweben.

Aerosole im Strömungskanal

Eine Forschungsgruppe aus der Strömungsdynamik der TU Freiberg und der Universitätsklinik in Leipzig untersucht die noch kaum bekannte Möglichkeit einer Aerosolübertragung. Über die Größe der einzelnen Partikel einer Aerosolwolke gibt es bereits Arbeiten von der TU Berlin. Im Strömungskanal in Freiberg wird jetzt die Zusammensetzung der Aerosole genauer untersucht und simuliert. Sie bestimmt maßgeblich, wie gut oder schlecht sich Coronaviren an einen Partikel andocken können. Denn je mehr Wasser ein Kleinstpartikel enthält, desto wahrscheinlich ist seine schnelle Verdunstung, was die Viren abschwächen würde.

Auch die Aerosolausbreitung durch eine singenden Person wurde in einem Raum einer Leipziger Musikhochschule überprüft. Ein typisches Patientenzimmer soll als Nächstes untersucht werden. Gerade Patienten, die an Beatmungsgeräte angeschlossen sind, stehen im Verdacht mehr Aerosole zu produzieren. Sie wären damit ein besonders hohes Risiko für das Pflegepersonal.

Aerosole im Raum - da hilft nur Durchzug

Blick auf eine Hauswand mit Fenster, das zum Lüften geöffnet ist
Regelmäßiges Durchlüften oder ganz offene Fenster helfen, die Aerosolverbreitung im Zimmer einzudämmen Bildrechte: imago/JOKER

Dadurch, dass Aerosole überall sind und je nach Belüftung, stundenlang im Raum bleiben können, würden Abstandsregelungen oder das Husten in die Armbeuge nur bedingt helfen, die virale Übertragung einzudämmen. Dazu kommt, dass die Aerosolpartikel sich unablässig durch den Raum bewegen – sie werden durch die körpereigene Wärme aufgewärmt, strömen zur Decke, verteilen sich dort, gelangen an die Zimmerwände, kühlen sich an den Fenstern ab, sinken zu Boden. Dann werden sie durch die erwärmte Luft, die jeden Körper umgibt, wieder angewärmt und steigen zur Decke.

Gegen einen Aerosolkreislauf im Raum hilft regelmäßiges Lüften. Am besten ist sogar permanenter Durchzug, damit die Aerosole aus dem Zimmer geleitet werden. An der frischen Luft ist die Ansteckung viel geringer, auch weil sich die Aerosole draußen praktisch in der Luft auflösen. Weil sie sich sehr schnell verteilen, nimmt Ihre Konzentration stark ab.

Aerosole - unbekanntes Risiko

In Freiberg wird die Aerosolübertragung zunächst mit ungefährlichen Coronaviren getestet, am Ende auch mit ansteckenden Viren. Die Forschung in Sachsen deckt damit eine wichtige Lücke ab.

Weil die Forschungslage so dürftig ist und auch weil es in der Öffentlichkeit reichlich vernachlässigt wurde, haben über 200 Wissenschaftler einen Appell an die WHO gerichtet und gefordert, die Aerosolübertragung endlich ernst zu nehmen, entsprechende Forschungsprojekte zu initiieren und die WHO-Richtlinien zu überdenken.

Es ist bislang unklar, inwieweit Masken zur Eindämmung der Aerosole beitragen können. Außerdem weiß niemand wie das Verhältnis zwischen Tröpfchen- und Schmierinfektion und Aerosolübertragung ist. Die Forschungen in Freiberg könnten für weitere Lockerungsmaßnahmen oder Lockdownszenarien von großem Einfluss sein. Hygienekonzepte müssten ebenso angepasst werden.

Einige ungenutzte OP-Masken in Nahaufnahme fotografiert/liegen aufeinander
Mundschutz kann Aerosole nicht vollständig abschirmen. Bildrechte: imago images/Mario Aurich
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