Weltweite Antibiotika-Krise Hoffnung: Helfen Viren und Bernstein gegen multiresistente Bakterien?
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08. April 2021, 10:59 Uhr
Sie gelten als Bedrohung der Weltgesundheit. Gegen multiresistente Bakterien hilft kaum noch ein Antibiotikum. Medizinern, Ökonomen und Politiker warnen einmütig: Wenn Antibiotika nicht mehr wirken, wird die Medizin über hundert Jahre zurückgeworfen, einfache Krankheiten und Entzündungen können zum Tod führen, Operationen sind nur noch schwer möglich. Jetzt sind Forschenden vielversprechende Ansätze im Kampf gegen die multiresistenten Bakterien gelungen.
Ein Schlüssel für eine wirkungsvolle Therapie gegen multiresistente Bakterien steckt für die Forschenden in Bakteriophagen. Sie gelten schon länger als aussichtsreiche Alternative zu Antibiotika. Diese "bakterienfressenden" Viren können typische Resistenzmechanismen von krankheitsverursachenden Bakterien umgehen. Besonders auf Biofilmen – eine Art schützender Schleim, den Bakterien um sich bilden – bleiben Phagen oft deutlich besser wirksam als Antibiotika.
Weil die Phagen bislang jedoch sehr speziell auf ihr Wirtsbakterium angepasst waren, schien eine breite Anwendung schwer möglich. Forschenden aus Österreich, Deutschland und der Schweiz ist es nun gelungen, Phagen gezielt zu züchten. Sie konnten erstmals zeigen, dass gezielt herangezüchtete Phagen deutlich besser gegen multiresistente Keime wirken als bekannte Wildtypen. Die Ergebnisse der gemeinsamen Forschungsarbeit wurden jetzt im Fachjournal "Pharmaceuticals" publiziert.
Staphylokokken-Stämme als Testmodell
Um wirksame Viren gegen viele Bakterienstämme zu züchten, nutzten die Forschenden die Mechanismen der Evolution: Sie kreuzten verschiedene Phagen und selektierten diejenigen, die ein möglichst breites Spektrum an Bakterienstämmen angreifen konnten. Eine Mischung der so gezüchteten Phagen testeten sie an 110 Staphylokokken-Stämmen. Diese Bakterienstämme hatten die Forscher vorab ausgewählt und umfassend analysiert, allein 43 Prozent von ihnen waren bereits multiresistente MRSA-Varianten.
Gezüchteter Bakteriophagen-Cocktail wirkt gegen mehr als 100 Bakterienstämme
Das Resultat nach der Behandlung mit den gezüchteten Phagen: Bei 101 der 110 Bakterienstämme wurde das Wachstum erfolgreich unterbunden. "Das ist ein großer Fortschritt für die Phagentherapie, wodurch sie bei manchen Krankheitsbildern als ernsthafte Alternative zur antibiotischen Behandlung von MRSA-Infektionen in den Fokus rückt“, sagte Professor Ralf Ehricht, der mit seinem Team vom Leibniz-Institut für Photonische Technologien Jena und der Universität Jena an der Studie beteiligt war. Methicillin-resistenten Staphylokokken (MRSA) gehören zu den bekanntesten resistenten Bakterien. Sie sind gegen das Antibiotikum "Methicillin" immun.
Die Forschenden aus Jena entwickelten die Züchtung der "bakterienfressenden" Viren zusammen mit dem österreichischen Unternehmen PhagoMed Biopharma in dem Projekt "ε² – Evolution squared" ("Evolution im Quadrat"). Sie sind Teil des InfectoGnostics Forschungscampus Jena.
Bislang wirkten Phagen oft nur gegen einen Bakterienstamm
"Bakteriophagen sind derart exakt an ihr Wirtsbakterium angepasst, dass selbst eng verwandte Stämme der gleichen Bakterienart nicht mehr von ihnen angegriffen werden", erklärte Ehricht. "Bislang versuchte man das durch eine geschickte Mischung natürlich vorkommender Phagen zu umgehen. Selbst in günstigen Fällen wirkt diese Phagen-Mixtur oft nur bei der Hälfte aller Zielbakterien und im schlimmsten Fall wirkt er nur auf einen einzigen Stamm." Nun sei es gelungen, Phagen für hundert Bakterienstämme zu züchten. Damit steige die Wirkung enorm und eröffne neue Aussichten auf die Anwendung als neue Antibiotika-Therapie.
Gen-Analyse von Phagen
Einen weiteren Therapie-Ansatz mit Phagen verfolgt zudem das junge Startup-Unternehmen "Nanozoo" gemeinsam mit Partnern des InfectoGnostics Forschungscampus Jena sowie dem Uniklinikum und der Universität Jena. Das Startup hat ein neues Bioinformatik-Tool namens "What the Phage" entwickelt. Das kostenlose Open-Source-Programm ermöglicht eine nutzerfreundliche Analyse von Gensequenzen von Phagen. Damit lassen sich Phagen in Sequenzdatensätzen identifizieren, die sich auch für eine therapeutische Anwendung gegen passende Wirtsbakterien eignen könnten.
Anderer Ansatz: Bernstein als Grundlage für neues Antibiotikum
Multiresistente Erreger beschäftigen auch US-Forscher der "University of Minnesota". Jedes Jahr erkranken in den USA laut US-Gesundheitsministerium mindestens 2,8 Millionen Menschen an antibiotikaresistenten Infektionen, 35.000 Erkrankte sterben. Anders als die Europäer setzen die Forschenden aus den USA nicht auf "bakterienfressenden" Viren, sondern auf die Entwicklung eines neuen Antibiotikums. Grundlage dafür könnte Bernstein sein. Die Forschenden aus den USA haben jetzt mehrere Verbindungen aus baltischem Bernstein extrahiert, die "Aktivität gegen grampositive, antibiotikaresistente Bakterien zeigen."
"Wir wussten aus früheren Forschungen, dass es im baltischen Bernstein Substanzen gibt, die zu neuen Antibiotika führen könnten. Doch diese Ansätze waren nicht systematisch erforscht worden", erklärt Elizabeth Ambrose, die das Projekt leitet. Die aus Litauen stammende Wissenschaftlerin hatte schon in ihrer Kindheit Geschichten über die medizinische Verwendung von Bernstein gehört. In der Ostseeregion befindet sich das weltweit größte Vorkommen des Materials, das aus versteinertem Harz besteht und vor etwa 44 Millionen Jahren entstand.
Bernstein-Harz diente zur Abwehr von Mikroorganismen
Das Harz sickerte aus den heute ausgestorbenen Kiefern der Familie Sciadopityaceae und diente zur Abwehr von Mikroorganismen wie Bakterien und Pilzen sowie von pflanzenfressenden Insekten, die sich im Harz verfingen. Seit Jahrhunderten nutzen die Menschen in den baltischen Ländern Bernstein für medizinische Zwecke. Noch heute bekommen Säuglinge Bernsteinketten, auf denen sie kauen, um den Schmerz beim Zahnen zu lindern. Menschen geben pulverisierten Bernstein in Elixiere und Salben wegen seiner angeblichen entzündungshemmenden und antiinfektiösen Eigenschaften.
Diesen Ansatz verfolgten die US-Forscher. Mittels einer sogenannten Gaschromatographie-Massenspektrometrie (GC-MS) analysierten sie Bernsteinproben und fanden dabei dutzende gegen resistente Bakterien aktive Verbindungen – darunter Abietinsäure, Dehydroabietinsäure und Palustrinsäure. "Wir sind begeistert von den Ergebnissen und glauben, dass sie unsere Forschung weiter voranbringen", erklärte Wissenschaftlerin Ambrose. "Abietinsäuren und ihre Derivate sind potenziell eine ungenutzte Quelle für neue Medikamente. Besonders relevant könnten sie für die Behandlung von Infektionen durch die zunehmend resistenten gram-positiven Bakterien werden."
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