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Wissen-News Abwasser-Monitoring: Erreger der Kinderlähmung nachgewiesen

29. November 2024, 14:56 Uhr

Kinderlähmung (Polio) gilt als nahezu ausgerottet. Doch zuletzt kam es vermehrt zu Nachweisen des Erregers auch in reicheren Ländern mit hoher Impfquote. Nun wurde das Virus auch in Deutschland gefunden, vermutlich eingeschleppt von Menschen, die eine Schluckimpfung erhalten haben.

In Proben aus dem Abwasser von vier deutschen Städten sind nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) Polioviren nachgewiesen worden. Betroffen seien München, Bonn, Köln und Hamburg. Bisher wurden allerdings keine Polio-Verdachtsfälle oder -Erkrankungen an das Bundesinstitut übermittelt. Bei den gefundenen Erregern handelt es sich demnach nicht um den Wildtyp des Poliovirus, sondern um Viren, die auf die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit abgeschwächten, aber lebenden Polio-Erregern zurückgehen. Die kursierenden Erreger wurden wahrscheinlich von Menschen eingeschleppt, die eine vor allem in Afrika und Asien noch weit verbreitete Schluckimpfung erhalten haben.

Die Viren können von Geimpften bis zu sechs Wochen lang ausgeschieden werden. Das RKI weist darauf hin, dass hierzulande bei anhaltender Zirkulation des Erregers einzelne Erkrankungen unter nicht ausreichend geschützten Menschen möglich sind. Die Wahrscheinlichkeit sei aber aufgrund der allgemein hohen Impfquoten von bundesweit 90 Prozent und guten Hygienebedingungen in Deutschland gering.

Zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen

Poliomyelitis ist eine hochansteckende Krankheit, die bei nicht ausreichend immunisierten Menschen zu dauerhaften Lähmungen führen kann. Bestehende Impflücken sollten geschlossen werden, rät das RKI. Medizinisches Personal und Mitarbeitende im öffentlichen Gesundheitsdienst sollten jetzt eine erhöhte Wachsamkeit bei Poliomyelitis-typischen Symptomen haben, wie zum Beispiel akuten schlaffen Lähmungen (acute flaccid paralysis, AFP), wenn sie nicht traumatisch bedingt sind.

"Der Nachweis an verschiedenen Orten weist auf eine Zirkulation dieser Viren hin", heißt es beim RKI. Die Landesbehörden aller Bundesländer und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seien über die Nachweise informiert worden. Weitere Proben würden derzeit noch untersucht. Auch in Spanien (Barcelona) und Polen (Warschau) sei das Virus kürzlich in Abwasserproben nachgewiesen worden. Ziel sei es, eine Zirkulation möglichst rasch zu stoppen, "sowohl um Poliofälle in unzureichend geimpften Bevölkerungsgruppen zu verhindern, als auch um das Ziel der globalen Polioeradikation nicht zu gefährden".

Auch Vermehrung der Impfviren birgt Risiko

Erhält jemand die Schluckimpfung, können sowohl der Impfling selbst als auch Kontaktpersonen – in sehr seltenen Fällen – an sogenannter Impf-Polio erkranken. Die Symptome sind von Polio durch Wildviren nicht zu unterscheiden. Eine fortlaufende Vermehrung der Impfviren birgt das Risiko, dass der abgeschwächte Erreger sich verändert und das Nervensystem zu infizieren vermag – mit den poliotypischen Lähmungen als möglicher Folge.

Polio wird auch Kinderlähmung genannt, weil der Erreger einst so verbreitet war, dass der Kontakt damit meist schon im Kindesalter erfolgte. Vor allem Kleinkinder waren von den poliotypischen Lähmungen betroffen – meist mit bleibenden Schäden fürs ganze Leben. Eine Therapie gibt es bisher nicht.

Verbreitet wird das hochansteckende Virus meist über kontaminierte Hände als sogenannte Schmierinfektion, in Ländern mit unzureichendem Hygienestandard auch über verunreinigtes Wasser. Polio gilt aufgrund engagierter Impfkampagnen seit Jahren als weltweit nahezu ausgerottet. Menschen, die vollständig gegen Polio geimpft wurden, sind vor der Erkrankung geschützt. In Deutschland werden Babys ab zwei Monaten geimpft.

Unterschiede zwischen Schluckimpfung und Spritze

Ein Kind erhält eine Impfung.
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Warum ist die Schluckimpfung überhaupt noch im Einsatz, wenn es eine ungefährlichere Alternative gibt? Ursache ist vor allem eine Eigenheit der inaktivierten Polio-Impfstoffe, die gespritzt werden: Sie verhindern zwar Erkrankungen sehr gut, nicht aber eine Infektion und die Weitergabe des Erregers. In der Folge kann das Virus unbemerkt weite Kreise ziehen. Gerade in Ländern mit niedriger Impfquote kann das gefährlich werden.

Vor allem in Afrika und Asien wird darum noch verbreitet auf die Schluckimpfung gesetzt, die auch vor Ansteckung und damit vor einer großflächigen Weitergabe schützt. Das sehr geringe Risiko eines Impfpolio-Falls wird in Kauf genommen zugunsten einer großflächigen Immunisierung der Bevölkerung. Das Ziel, nach der Ausrottung der Pocken 1980 auch Polio Geschichte werden zu lassen, wurde bislang verfehlt, auch wenn Polio-Wildviren fast nur noch in Pakistan und Afghanistan zirkulieren. Ein Problem ist, dass Routine-Impfungen wie die gegen Polio in den Pandemie-Jahren in vielen Ländern unterbrochen wurden. Dadurch stieg auch das Risiko, dass Polio sich international wieder ausbreitet.

rr/dpa

Links / Studien

Epidemiologisches Bulletin 48/2024 des Robert Koch-Instituts (RKI)

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 29. November 2024 | 01:01 Uhr

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