Illustration von Mäusen, die sich an ihr speziell entwickeltes Weltraumhabitat an Bord der Internationalen Raumstation anpassen
Illustration von Mäusen, die sich an ihr speziell entwickeltes Weltraumhabitat an Bord der Internationalen Raumstation anpassen Bildrechte: Center for the Advancement of Science in Space

Medizinforschung im All Mäuse auf der Internationalen Raumstation: Keine Ungezieferplage, sondern ein Experiment

20. April 2023, 12:25 Uhr

Bei Weltraumreisenden verändert sich unter anderem auch ihre Knochendichte. Das ist ein Problem, das man auch auf der Erde kennt – hier ist es jedoch ein altersbedingtes Phänomen. Auf der ISS wurde es bei Nagetieren untersucht. Mit einem überraschenden Ergebnis: womöglich hängt die Veränderung der Knochendichte mit einem Anstieg von Darmbakterien zusammen.

Auf der Internationalen Raumstation gibt es Nagetiere. Doch Mäusefallen müssen die Astronauten und Astronautinnen auf der ISS nicht aufstellen. Denn die 20 Nagetiere wurden für ein medizinisches Experiment in den Weltraum gebracht und sind nicht (wie bei der Besiedlung Amerikas) als Ungeziefer ins All gelangt. 

Durchgekaute Kabel und frei schwebende Nager mussten die Raumfahrenden also nicht fürchten – denn die Mäuse befanden sich in einem Käfig und gewöhnten sich recht schnell an die Schwerelosigkeit, wie das nachfolgende Video zeigt. 

Bei den 20 Nagetieren handelt es sich um weibliche Mäuse, die zum Start der Mission 30 Wochen alt waren. Zehn dieser Nagetiere kehrten nach 4,5 Wochen lebend zur Erde zurück. Die übrigen zehn Weltraumnager blieben insgesamt neun Wochen lang im All. Anschließend untersuchten die Forschenden, wie sich ihr Mikrobiom nach der Rückkehr erholte. Zudem gab es zwanzig Bodenkontrollnager, die sich auf der Erde ohne Mikrogravitation befanden.   

Weltraumreisen haben für uns Säugetiere nämlich eine negative Begleiterscheinung: Unsere Knochendichte nimmt im Weltall ab. Das passiert zwar auch auf der Erde, jedoch vergehen dafür viele Jahre. Auf der ISS oder auch auf anderen Weltraumreisen wie beispielsweise einer Reise zum Mond geschieht dies jedoch im Zeitraffer. 

Knochendichte baut sich im Weltraum ab

Der Abbau der Knochendichte hängt wohl mit einer Veränderung im Darmmikrobiom von Raumfahrenden zusammen, fand das Forschungsteam durch die Nager-Experimente heraus. Mikroben produzieren verschiedene Moleküle aufgrund ihres eigenen Stoffwechsels. Einige dieser Stoffwechselprodukte interagieren indirekt mit den Zellen, die für den Knochenumbau verantwortlich sind. Laut den Forschenden hatte sich bei den Nagetieren auf der ISS bereits nach einem Monat eine Veränderung in ihrem Darmmikrobiom gezeigt. Zwei Bakterienarten blühten dabei besonders auf: Lactobacillus- und Dorea-Spezies.

Das sind Lactobacillus- und Dorea-Bakterien Lactobacillus gehört zu den Milchsäurebakterien. Diese Bakterien bauen Kohlenhydrate im Darm ab und stellen daraus Milchsäure her. Neben dem Darm kommen diese Bakterien auch in anderen Schleimhäuten wie der Vagina oder dem Mund vor. Dorea-Bakterien kommen beispielsweise in menschlichen Fäkalien vor. 

Je länger sich die Mäuse im Weltraum befanden, desto stärker war der Anwuchs dieser beiden Bakterienarten. Der Stoffwechsel der beiden Bakterien könnte ebenfalls zu den erhöhten Metaboliten (die im biologischen Stoffwechsel, dem Metabolismus umgesetzten Substanzen) beigetragen haben, die nachgewiesen und mit der Mikrogravitation in Verbindung gebracht wurden.

"Wir müssen erst noch herausfinden, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen den Veränderungen des Mikrobioms und dem beobachteten Knochenschwund in der Schwerelosigkeit gibt oder ob es sich einfach um eine Folge oder einen aktiven Ausgleich handelt", erklärt Wenyuan Shi. Er ist Mikrobiologe, Geschäftsführer des Forsyth Institute (Cambridge/USA) und Hauptautor der Nagetier-Studie. 

Nur ein vorübergehender Anstieg

Unseren Knochen wird – selbst, wenn wir ausgewachsen sind – ständig Material hinzugefügt, entfernt und verschoben. Dieser Prozess wird als Knochenumbau bezeichnet. Jüngste Studien legen nahe, dass Darmmikroben den Knochenumbau über verschiedene Mechanismen beeinflussen könnten. 

Das Mikrobiom wird laut Joseph Bedree bei Raumfahrenden durch mehrere Gründe beeinträchtigt: "An erster Stelle stehen die physikalischen Kräfte, die im Spiel sind, wie die Mikrogravitation und die kosmische Strahlung, die nicht nur die Bakterienzellen, sondern auch die menschlichen Zellen beeinflussen." Bedree ist der Erstautor der Studie und Mikrobiologe. 

"Ebenso gibt es zahlreiche Auswirkungen auf die biologischen Systeme des Wirts, die sich aus der Mikrogravitation ergeben – Unregelmäßigkeiten im Immunsystem, Veränderungen des Bewegungsapparats, veränderter zirkadianer Rhythmus, Stress. Und wenn diese Systeme aus dem Gleichgewicht geraten, können möglicherweise auch die mikrobiellen Gemeinschaften gestört werden", so der Mikrobiologe. 

Zwar veränderte sich das Mikrobiom der Mäuse im Weltraum, jedoch blieben "diese Veränderungen bei der Rückkehr auf die Erde offenbar nicht bestehen", erklärt Shi. Zudem war es das erste Mal in der Geschichte der Nasa, dass ein Nagetier lebend zur Erde zurückgebracht wurde. Vermutlich wurde die Veränderung des Bioms durch die fehlende Koprophagie der schwebenden Nagetiere verursacht. Die Koprophagie ist ein normales Verhalten von Nagetieren, bei dem sie ihre eigenen Fäkalien fressen, wodurch die Mikroben wieder in den Darm zurückgeführt werden.  

Das Forschungsteam plant, die Untersuchungen auf der Erde fortzuführen. Für Krankheiten wie Osteopenie (Minderung der Knochendichte) oder Osteoporose (Knochenschwund) könnten dadurch neue Behandlungsmethoden oder -Instrumente entstehen. 

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