Illustration: Krebszelle
Wenn im Körper Krebszellen als Metastasen gefunden werden, kann nicht immer der Ursprungsort des Tumor ermittelt werden. Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz könnte das nun besser werden. Bildrechte: imago images/Westend61

Krebsforschung Krebs-CUP-Syndrom: KI kann Herkunft des primären Tumors erkennen

07. August 2023, 16:50 Uhr

CUP steht für Krebserkrankungen mit unbekanntem Primärtumor, bei denen man den Ursprungsort der Erkrankung im Körper nicht finden kann. Künstliche Intelligenz kann laut einer Studie helfen, Licht ins Dunkel zu bringen.

Bei etwa zwei bis fünf Prozent aller Krebserkrankungen lässt sich nicht bestimmen, wo im Körper sich der Krebs ursprünglich entwickelt hat. Es werden also Metastasen gefunden, aber kein Hinweis auf den primären Tumor, der dann deshalb auch nicht gezielt behandelt werden kann. Diese Art von Krebs nennt man CUP-Syndrom ("Cancer of Unknown Primary").

Zwar gibt es auch anerkannte Therapie-Richtlinien und Behandlungsmöglichkeiten beim CUP-Syndrom, aber die sind längst nicht so zielgerichtet wie bei anderen Krebsarten. "Bei der CUP-Patientengruppe sind die Ergebnisse miserabel", sagt Alexander Gusev. Er forscht am renommierten "Dana-Farber Cancer Institute" in Boston (USA) und hat es sich gemeinsam mit seinem Doktoranden Intae Moon zur Aufgabe gemacht, die Erkennungsquote des Primärtumors bei Krebserkrankungen zu erhöhen. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz ist das nun gelungen.

KI wurde mit Daten von mehr als 36.000 Krebs-Patienten trainiert

Die Forscher trainierten und validierten ein KI-Modell mit maschinellem Lernen anhand der Krankenakten von 36.445 Patienten mit bekannten Primärtumoren aus drei großen Krebszentren der USA. Die verwendeten Aufzeichnungen enthielten Daten zur genetischen Sequenzierung der Tumore und klinische Informationen zu jedem Patienten. Die KI hat sich so also gewissermaßen selbst beigebracht, welche Eigenschaften Tumor-Genome typischerweise haben, wenn sie in einem bestimmten menschlichen Organ zuerst auftraten.

Gusev und Moon entschieden sich für ein sogenanntes interpretierbares Modell des maschinellen Lernens. Das heißt, die Gründe für die Vorhersage des Modells sind transparenter als bei anderen Formen der KI. "Wir denken, dass diese Transparenz anderen Medizinern helfen könnte, dem Modell zu vertrauen", sagt Intae Moon, Erstautor der nun erschienenen Studie. "Es könnte auch klinisch und biologisch nützlich sein, zu sehen, welche genetischen Faktoren zur Vorhersage des Modells beigetragen haben, insbesondere angesichts der rätselhaften Natur von CUP-Tumoren."

Die KI ist gut, aber nicht perfekt

Das fertig angelernte KI-Modell, das die Forscher OncoNPC (kurz für Oncology NGS-based Primary cancer type Classifier) nennen, muss "nur" mit Genom-Daten gefüttert werden, dann sagt es den Ursprungsort der Krebserkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit voraus. Um das zu testen, nutzten die Forscher Daten von Patienten, die nicht Teil des Trainings beim maschinellen Lernen waren. In 65 Prozent der Fälle traf die KI richtige Vorhersagen "mit hohem Vertrauen", wo sie sich also selbst "sicher" war, das richtige Ergebnis zu liefern. Und in weiteren 15 Prozent der Fälle lag die KI ebenfalls richtig, da aber nicht mehr mit so großer Sicherheit.

Am spannendsten war dann natürlich die eigentliche Frage, wie die KI mit dem CUP-Syndrom klarkommt. Dazu wurden Genom-Daten von 971 betroffenen Patienten getestet. Und laut Studie war OncoNPC in der Lage, den Ursprung des Tumors in 400 von 971 Fällen (41,2 %) mit hoher Sicherheit vorherzusagen. Im Gegensatz zu bisherigen diagnostischen Möglichkeiten wäre das ein großer Fortschritt.

Wie validiert man eine bislang unbekannte Herkunft?

Das größte Problem an diesen Ergebnissen war, zu beweisen, dass die KI die richtige Diagnose gestellt hatte. Denn in den 971 untersuchten Patientenakten hatte der Krebs ja weiterhin eine unbekannte Herkunft. "Die Validierung ist eine Herausforderung, weil es keine Grundwahrheit gibt. Bisherige Methoden konnten den Ursprung nicht identifizieren", sagt Alexander Gusev.

Um trotzdem festzustellen, ob OncoNPC wahrscheinlich richtig lag, untersuchte die Forschungsgruppe, wie Patienten auf spezielle Therapien angesprochen hatten. Und es zeigte sich, dass Patienten, die Behandlungen erhielten, die der von der KI vorhergesagten Primärtumorstelle entsprachen, länger überlebt hatten als Patienten, die Behandlungen erhielten, die nicht den nachträglichen KI-Ergebnissen entsprachen. "Die Beweise, die wir uns angesehen haben, zeigen uns, dass das Modell auf dem richtigen Weg ist", resümiert Gusev.

Praxistest fehlt noch

Die rechnerische Schlussfolgerung der Studie lautet, dass mit Hilfe der OncoNPC-Vorhersagen mehr als doppelt (2,2-mal) so viele CUP-Patienten eine zielgerichtete Tumor-Behandlung bekommen könnten wie bislang. Auch ohne KI kann im Laufe der Behandlung manchmal der Primärtumor lokalisiert werden. Aber mit KI nun wahrscheinlich deutlich häufiger. "Dies könnte die Tür zu einer präziseren Behandlung für diese Patienten öffnen", sagt Wissenschaftler Gusev.

Der Reiz des neuen KI-Ansatzes liegt laut Gusev darin, dass Krebs-Genom-Daten leicht zu beschaffen sind und es daher "einfach ist, diese Ergebnisse durch den Algorithmus laufen zu lassen, um eine Vorhersage zu erhalten." Das könne in Umgebungen mit begrenzten Ressourcen wertvoll sein, also zum Beispiel an kleineren Krebs-Zentren, wo der Mitarbeiterstab eher begrenzt ist.

Getestet wurde OncoNPC bislang aber nur anhand alter Patientendaten. Die theoretische Prüfung wurde also gewissermaßen bestanden, die praktische fehlt jedoch noch. Um festzustellen, ob das KI-Modell Diagnose und Behandlung von aktuellen Krebs-Patienten tatsächlich verbessern kann, müsste es erst noch in einer klinischen Studie getestet werden.

(rr)

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