Brustkrebs Diagnose Krebs: Was braucht guter Trost?
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12. Februar 2023, 12:47 Uhr
MDR WISSEN Podcast-Host Daniela (35) steht vor ihrer bislang härtesten Challenge: Im Frühjahr ist bei ihr Brustkrebs diagnostiziert worden. Eine Situation, in der sie Trost braucht, aber auch schon einige ungelenke Trostversuche erlebt hat. Für viele von uns ist das Trösten wie der Tanz auf dem Vulkan, fast immer bleibt das schale Gefühl nicht angemessen reagiert, etwas Falsches gesagt zu haben und nicht wirklich etwas ausrichten zu können. Was also braucht guter Trost?
"In meiner Trostbedürftigkeit werde ich wieder zum Kleinkind." So beschreibt Podcast-Host Daniela das Gefühl, das ihr ihre Brustkrebs-Diagnose beschert hat. Mit 35 Jahren hatte sie im Frühjahr 2022 die niederschmetternde Nachricht bekommen: ein großer bösartiger Tumor in der rechten Brust. Schnell ging es dann los mit Chemotherapie, Operationen, Bestrahlungen. Und das Gefühl, ein hilfloses Kind zu sein, wurde immer mehr Teil von Danielas Alltag.
Trost als wärmender Beistand
Samuel Shearn findet diese Beschreibung sehr passend. "Trost ist für mich etwas Weiches", sagt der Theologe und wissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität Rostock. "Wenn mich jemand tröstet, dann sagt er: 'Eieiei, dein Knie tut weh? Das wird wieder gut, hier hast du ein Pflaster.' Das ist meine erste Assoziation."
Doch das genügte Shearn nicht, er begann, sich dem Trostbegriff aus Forscherperspektive zu nähern. Und fand eine seiner liebsten Definitionen beim Philosophen und Soziologen Georg Simmel: "Der sagt, Trost sei, das Leiden am Leiden aufzuheben."
Trost als etwas Weiches, vergleichbar mit dem Pusten, wenn wir uns als Kind das Knie aufgeschlagen haben – völlig egal, ob dieser Trost eine Umarmung ist, ein gekochtes Lieblingsessen oder aufbauende Worte. Für Podcast-Host Daniela passt dieses Bild:
Am meisten geholfen haben mir die Trost-Versuche, bei denen deutlich wurde: Du musst da nicht allein durch, du kannst dich auf deine Freunde und deine Familie verlassen, die tragen dich und fangen dich auf.
Härte und Kälte als Trostmechanismen?
Doch dass Trost uns das Herz wärmen, uns weich fallen lassen soll – dieses Bild ist in der Geschichte relativ neu. "Ich habe mir manche Autorinnen und Autoren der Vergangenheit angeschaut und stelle fest: Trost ist bei denen etwas sehr hartes, auf jeden Fall taff", so der Theologe Samuel Shearn.
Harter Trost? Was ist damit gemeint? "Der Psychoanalytiker Sigmund Freud glaubt, dass Trostbedürftigkeit eher infantil ist: Wenn man Trost braucht, dann ist man wie ein Baby und muss wieder so richtig taff werden – das ist Freuds Einstellung. Das hat auch mit gewissen Gender-Idealen zu tun, das war auch in der Antike schon so. Es heißt: Sei nicht weibisch, sondern männlich."
Das "Dankbarkeits-Reframing" als Selbsthilfe
Doch wer nun denkt, dass es in der Geschichte bis auf die aus heutiger Sicht fragwürdige Maxime "Sei kein Baby, sei hart!" keinerlei kluge Ratschläge gibt, wie guter Trost aussehen kann, der täuscht sich. Samuel Shearn sagt, dass sich historisch verschiedene Trost-Kategorien belegen lassen.
Ein prominenter Trost-Mechanismus findet sich beispielsweise beim antiken römischen Philosophen Seneca. Dieser schreibt an einen Freund, dessen Bruder gestorben ist. "Da gibt es eine Art Dankbarkeits-Reframing. Er sagt: 'Klar, sowas passiert – aber ist es nicht erstaunlich, dass du überhaupt diesen tollen Bruder hattest?' Und ich muss sagen, das spricht mich schon an", gesteht Samuel Shearn.
"Ich mache das manchmal auch für mich. Wenn mein Weltschmerz zu groß wird, dann sage ich mir: 'Ja, aber ich durfte zu einer Zeit leben, in der ich Freddy Mercurys Stimme hören durfte!' Oder ein alter Mensch, beide Knie kaputt, kann nicht mehr gehen – aber er sagt: 'Damals, da habe ich drei Tore geschossen gegen unser Nachbardorf!' Und dann freut er sich darüber. Also, wer es vermag, so zu denken, hilft sich selbst".
Wenn mein Weltschmerz zu groß wird, dann sage ich mir: Ja, aber ich durfte zu einer Zeit leben, in der ich Freddy Mercurys Stimme hören durfte!
"Jede Trauer ist ein Liebeslied"
Aber funktioniert das: sich selbst zu trösten? Möglich sei das durchaus, sagt Shearn, und verweist auf viele große Denker, die Trost in der Religion, in der Natur, in der Kunst fanden – oder sogar in der Trauer selbst.
"Es gibt so eine Art Lachen mitten in der Tragödie", beschreibt Shearn. "In der Traurigkeit steckt eine Schönheit, eine Sehnsucht nach etwas. Der Philosoph Nicholas Walterstorff etwa hat seinen Sohn unter tragischen Umständen verloren und das in einem Satz beschrieben: 'Every lament is a lovesong', also: Jede Klage, jede Trauer ist auch ein Liebeslied."
Dass das natürlich eine recht philosophische und theologische Sichtweise auf Trauer und Trost ist, die im Alltag möglicherweise nicht allzu viel hilft, dessen ist sich Samuel Shearn bewusst: "Vielleicht passt das gar nicht auf viele Situationen von Menschen, die sagen: 'Ja, das klingt schön, da irgendwo an der Uni schreibt jemand ein schönes Buch drüber, dass Sehnsucht auch Freude ist, aber ich sitze hier mit meiner Situation und es tut weh'."
Podcast-Host Daniela ist beim Thema Dankbarkeit hin- und hergerissen. Denn seit ihrer Diagnose beobachtet sie an sich selbst eine neue Dankbarkeit: Dankbar sein für die guten Tage, für Sonnenschein, für schöne Abende mit Freundinnen und Freunden. Seit sie sich ihres Lebens nicht mehr so sicher sein kann wie vorher, weiß sie dieses Leben umso mehr zu schätzen, findet es manchmal schöner als je zuvor. Aber ist das tröstend?
Manchmal fühle ich mich wie auf einer Eisscholle, wie der einsamste Mensch der Welt.
Für Daniela funktioniert Trost vorrangig durch andere Menschen. Denn auf sich selbst zurückgeworfen ist sie durch ihre Erkrankung schon häufig genug.
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?
Tatsächlich kann es schon ein großer Trost sein, sich einfach nur nicht allein zu wissen. Nicht immer braucht es große Worte, findet der Psychologische Psychotherapeut Urs Münch. Er ist als Psychoonkologe an den DRK-Kliniken Berlin-Westend tätig, steht also Menschen bei, die eine potenziell tödliche Diagnose erhalten oder sogar den sicheren Tod vor Augen haben: "Einfach auch mal da sein und halten, auch mal aushalten, nichts zu sagen. Darauf zu vertrauen, dass eben auch einfach andere Kräfte wirken können. Das ist vielleicht auch ein guter Tipp für alle, die nicht wissen, was sie tun sollen beim Trösten."
Wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll, dann sollte ich besser nichts sagen, sondern einfach nur da sein.
Auch gemeinsam zu weinen könne helfen, so Münch. "Das kann auch etwas sehr Wohltuendes sein." Genau so ging es Daniela am Tag ihrer Diagnose. Eine gute Freundin hatte sie zum Termin bei ihrer Frauenärztin begleitet: "Danach standen wir einfach nur in einer festen Umarmung vor der Tür der Praxis, und uns liefen beiden die Tränen", berichtet Dani. Es habe angesichts der Horror-Nachricht einfach nichts zu sagen gegeben: "Für mich hat sich das in dem Moment goldrichtig angefühlt, mir hat das gutgetan."
Warum Optimismus nicht immer klappt
Doch wenn man genug geschwiegen hat, ist es ja irgendwann doch einmal an der Zeit, etwas zu sagen. "Ich rede immer total viel, wenn ich jemanden trösten will, weil ich glaube, ich müsste jetzt irgendwelche Perspektiven aufzeigen und Lösungen finden", gibt Podcast-Host Daniela zu.
Doch beim Gesagten kann dann einiges schiefgehen – auch das hat Daniela gemerkt, als Leute versucht haben, sie nach ihrer Diagnose zu trösten. Besonders oft hörte sie dabei den Satz "Alles wird wieder gut" – der sich in diesen Moment für sie aber nach einem leeren Versprechen anhörte: "Da habe ich manchmal gedacht: Hey, das ist lieb gemeint, aber du kannst mir doch gar nicht garantieren, dass ich an der Scheiße hier nicht draufgehen werde."
Auch der Psychologe Urs Münch empfiehlt, lieber vorsichtig mit dieser Strategie umzugehen: "Jemand ist in einer ganz schwierigen Situation, ohne Perspektive und ohne Ausweg – dann kommt ein 'Das wird schon wieder' nicht an. Und selbst wenn ich weiß, dass es wieder werden wird und ich mir sicher sein kann, fühlt es sich für den Menschen vielleicht in dem Moment nicht so an."
Das ist das wichtige: Der getröstete Mensch muss sich gesehen fühlen.
Dann sei es hilfreich, sich in den Getrösteten hineinzuversetzen: "Da kann ich zum Beispiel sagen: 'Auch, wenn es sich für dich gerade nicht so anfühlt', das vorwegnehmen. Dann hole ich mein Gegenüber ab, wo sie oder wo er gerade steht."
Wege zeigen, wo es keinen Ausweg gibt
Aber was, wenn die Situation absolut ausweglos ist? Wenn ich jemanden trösten will, der oder die einen unwiederbringlichen Verlust erlitten oder eine tödliche Diagnose erhalten hat? Jemanden, der sich mit einem furchtbaren Schicksal arrangieren muss – und nun von mir erwartet, eine Stütze zu sein?
Auch hier kommt wieder das Gesehenwerden zum Tragen, sagt Urs Münch: "Da wäre das Spiegeln von Emotionen erstmal eine ganz hilfreiche Sache. Ich kann beispielsweise sagen: 'Mensch, das ist für dich gerade sicher nicht einfach auszuhalten, da brauchst du ganz schön Kraft'."
Und weiter: "Es kann hilfreich sein, solche Sätze zu sagen wie: 'Auch wenn es sich für dich gerade nicht so anfühlt – irgendwann wird es sich wieder besser anfühlen'. Oder: 'Auch wenn die Situation im Moment gerade ausweglos erscheint, irgendwann kann sich doch eine Tür auftun, dass ein Weg wieder weitergeht'."
Geduld und offene Kommunikation als Schlüssel
Aber als Trösterin oder Tröster brauche es in solchen Fällen auch Ruhe und Geduld: "Das heißt nicht, dass der Mensch dann in der Situation sofort in Harmonie zerfließt, den ich tröste. Vielleicht sagt er beim nächsten Gespräch: 'Mensch, Danke. War gut.' Oder: 'Das hab ich gerade da gebraucht.' Das kann einfach zeitverzögert sein. Und ich glaube, das sollte ich als Mensch, der trösten und der stützen und Halt geben möchte, wissen: Dass es nicht sofort Früchte gibt, die ich spüren oder schmecken kann."
Doch auch die getröstete Person kann etwas dazu beitragen, dass der Trost "gelingt" und ankommt. Offene Kommunikation ist hier das A und O: Der Tröstende kann natürlich fragen, was er tun kann, was gebraucht wird. Aber gerade für Menschen, die in solchen Situationen erst einmal zurückzucken und gar nichts mehr sagen aus Angst, etwas falsch zu machen, kann es hilfreich sein, wenn der oder die Getröstete möglichst offen agiert.
Es kann sehr hilfreich sein, wenn ich als Mensch, der gerne Unterstützung oder Trost haben möchte, lerne, zu sagen, was ich gebrauchen kann und was nicht.
Klar, das auch in solchen Situationen zu sagen, ist für einige von uns eine Hürde und nicht immer so einfach. Aber es hilft unserem Umfeld, besser zu verstehen, woran sie gerade sind.
Auch Daniela hat diese Erfahrung gemacht: "Am Anfang habe ich mich schwergetan, zum Beispiel zu sagen: 'Hey, ich will gerade keine Geschichten hören über Menschen, die an Krebs gestorben sind, das macht mir Angst!' Aber mit der Zeit bin ich besser drin geworden, auf einer Meta-Ebene mit meinen Freundinnen und Freunden über die Situation zu sprechen. Im Sinne von: 'Fragt mich alles, wenn ich gerade nicht reden möchte, sage ich schon Bescheid.' Offene Kommunikation ist mir lieber, als wenn wir hier ein Schauspiel aufführen."
Tragen und Halt geben
Doch viel mehr "Regeln" lassen sich kaum aufstellen. Denn: Was als tröstend empfunden wird und was nicht, ist von Person zu Person unterschiedlich. Wo die einen ihre Tränen teilen und eine feste Umarmung wollen, sind andere vielleicht dankbar für Ablenkung und Galgenhumor.
Eines aber, sagt der Psychologe Urs Münch, ist allen Fällen gemein: "Trost sollte mich tragen, sollte mir Halt geben in einer schwierigen Situation. Das heißt nicht, dass Trost alles besser macht oder schöner macht, aber er sollte mir Halt geben." Oder eben: Das Leiden am Leiden verringern.
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