Titelbild der Ausgabe 18. März des MDR Klimaupdates. Titel: Sinn und Unsinn in der Energiepolitik
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MDR KLIMA-UPDATE | 18. März 2022 Sinn und Unsinn in der Energiepolitik

18. März 2022, 11:41 Uhr

Deutschlands CO2-Ausstoß ist 2021 leicht angestiegen, im Verlauf der vergangenen zehn Jahre aber kontinuierlich gesunken. Welche Energiepolitik jetzt weiter hilft – und welche Vorschläge Unsinn sind.

Autorenfoto von Clemens Haug
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Liebe Abonnentinnen und Abonnenten,

mir hilft es manchmal, in einer schlechten Nachricht nach einem positiven Aspekt zu suchen, um meine Zuversicht zu bewahren. Und gerade dunkle Zeiten bieten mitunter das größte Potenzial zur Veränderung. Beispielsweise deutet sich an, dass Putins Angriffskrieg in der Ukraine Deutschland endlich zu einem radikalen Umbau seiner Energieversorgung bewegt, hin zu mehr Nachhaltigkeit und Souveränität. (Darüber habe ich hier vergangene Woche berichtet.)

Diese Woche steckt für mich der gute Aspekt in einer eigentlich schlechten Nachricht. Denn Deutschland hat 2021 zwar wieder mehr CO2 ausgestoßen als im ersten Jahr der Pandemie 2020. Doch insgesamt zeigt der Trend klar auf einen Rückgang der Emissionen. Es geht zwar nicht so schnell voran, wie es eigentlich müsste. Aber es geht voran. Und das bedeutet, Veränderung ist möglich. Dazu gleich mehr in unser neuen Rubrik "Klima-Kennziffer der Woche".

Vorweg noch: Nicht nur die Kennziffer ist neu, auch die Rubrik "Klimasünde", in der wir auf "vermeidbare" Entscheidungen hinweisen wollen, die uns vom Ziel klimaneutral zu werden eher entfernen, als näherbringen. Und wir wüssten von Ihnen gerne, was wir an diesem Newsletter verbessern können, damit Sie ihn noch gespannter lesen und weiterempfehlen. Braucht es aus Ihrer Sicht mehr positive Nachrichten und Tipps, wie wir beim Klimaschutz vorankommen? Oder sollen wir ausführlicher über die Klimaforschung und ihre Ergebnisse berichten? Wie wichtig sind Ihnen regionale Klimanachrichten aus Mitteldeutschland?

Schreiben Sie uns eine Mail an klima@mdr.de oder beantworten Sie unsere kurze Umfrage hier:

Klimazahl der Woche:

762 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente

Das war Deutschlands Ausstoß an klimaschädlichen Gasen im Jahr 2021. Leider ist das ein Zuwachs von knapp 4,5 Prozent gegenüber 2020. Im ersten Jahr der Pandemie waren die Klima-Emissionen stark eingebrochen, wahrscheinlich vor allem durch die harten Maßnahmen während des ersten Lockdowns, die den Großteil des Verkehrs für zwei Monate lahmgelegt hatten. 2021 dagegen war ein Jahr mit nur wenig Wind und zugleich bereits hohen Preisen für Erdgas. Deshalb wurde der Strombedarf wieder verstärkt aus Kohlekraftwerken gedeckt.

Die für mich gute Nachricht daran aber: Der Blick auf die langfristige Kurve der vergangenen zehn Jahre zeigt, die Emissionen nehmen ab, Deutschland verursacht immer weniger CO2. Das sei ein klarer Erfolg der Erneuerbaren Energien, hat Dirk Messner gesagt. Er ist der Präsident des Umweltbundesamtes und hat die Zahlen am Montag zusammen mit dem Staatssekretär Patrick Graichen vom Wirtschafts- und Klimaschutzministerium vorgestellt. Graichen hat dabei noch einmal bekräftigt, dass der zuletzt schleppende Ausbau der Erneuerbaren jetzt wieder mit Hochdruck vorangetrieben werden soll.

Das Ministerium hat dazu vor zwei Wochen bereits einen Entwurf vorgelegt, mit dem das "Erneuerbare Energien Gesetz (EEG)" reformiert werden soll. In einem Statement sagen Wissenschaftler über den Entwurf, es würden nun endlich die längst überfälligen Schritte unternommen. "Die Zielkorridore für den Ausbau und für die notwendigen Strommengen sind richtig gesetzt", sagt etwa Andreas Bett vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg. Der Wirtschaftswissenschaftler Manfred Fischedick vom Wuppertaler Institut für Klima wiederum hält die Chancen für gut, dass die Gesellschaft den Bau neuer Wind- und Solaranlagen jetzt mitträgt. "Wann, wenn nicht jetzt? Unter dem immensen Druck von Klimaschutzanforderungen und Energieversorgungssicherheitsrisiken soll ein Ruck durch die Gesellschaft gehen und eine Bereitschaft, die Gemeinschaftsaufgabe mit anzupacken", sagt Fischedick.

Außerdem sind sich gerade sehr viele Experten einig, dass der Energieverbrauch unserer Häuser und Wohnungen sinken soll. Wie das gehen kann, dazu gibt es sehr viele Ideen. Einige sind leicht umzusetzen, etwa die Dämmung der obersten Geschossdecke zum Dachboden hin. Viele ältere Häuser verlieren hier immer noch jede Menge Heizenergie. Und dann gibt es andere, komplexere Konzepte. Dazu gehören beispielsweise Heizungsanlagen mit Wärmepumpen. Die funktionieren – vereinfacht gesagt – wie ein Kühlschrank, nur umgekehrt. Sie nutzen die Umgebungswärme aus der Erde, dem Grundwasser oder der Luft und machen sie für den Innenraum nutzbar.

Was noch alles möglich ist, das zeigen Menschen wie der Ingenieur Klaus Dieter Will aus Eutin. Er hat eine Warmwasseraufbereitung für Häuser entwickelt, bei der das warme Wasser in den Leitungen nicht durchgehend geheizt werden muss und bei Bedarf trotzdem schnell warm aus der dem Hahn kommt. Wie das geht erklärt er im Beitrag der Kollegen von "Einfach Genial".

Erdgas aus der Nordsee: Besser im Boden lassen

Nicht hilfreich dagegen dürfte sein, neue Erdgasquellen in der Nordsee zu erschließen. Diesen Vorschlag hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner gemacht, der damit die hohen Energiekosten für Wirtschaft und Verbraucher etwas dämpfen will.

In den Niederlanden gibt es bereits ein Unternehmen, das eine Förderplattform betreibt. Es würde nun gerne unter dem Wattenmeer Bohrungen durchführen, um Gasvorkommen auf deutscher Seite zu erschließen. Die FDP unterstützt diesen Plan bereits seit längerem, wie eine Hintergrundrecherche der Kollegen vom Tagesspiegel darstellt.

Doch bei nüchterner Betrachtung kann dieses Projekt nicht mal dann Deutschlands Energieprobleme lösen, wenn man Bedenken bezüglich der Folgen für das Klima oder den Schutz des Unesco-Weltnaturerbes Wattenmeer einmal kurz beiseitelässt. Das Potenzial der Erdgasquelle dort liegt bei 14,2 Milliarden Kubikmeter, die innerhalb von 35 Jahren gefördert werden könnten. Deutschland aber verbraucht allein 80 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Alle möglichen, noch nicht erschlossenen Erdgasvorkommen in Deutschland zusammengenommen werden aktuell nur auf 40 Milliarden Kubikmeter geschätzt, also nur ein halber Jahresverbrauch.

Viel besser, als Zeit und Geld in die Erschließung klimaschädlicher und sowieso nur kaum vorhandener Erdgasquellen zu stecken, wäre eine radikale Abkehr, zum Beispiel hin zur Wasserstofferzeugung aus Erneuerbaren.

Klimageld: Entlastung für die Haushalte, die es wirklich nötig haben

Auch ansonsten hat der durch den Preisanstieg offenbar nervös gewordene Finanzminister nicht unbedingt gute Ideen beigesteuert. Braucht es wirklich einen Rabatt bei den Steuern auf Benzin? Natürlich, viele Pendler werden durch die aktuellen Preise gerade extrem belastet und ein Umstieg auf andere, günstigere Verkehrsmittel ist nicht für jeden von ihnen von jetzt auf gleich möglich. Trotzdem setzen die hohen Preise den richtigen Anreiz. Zug- und Fahrradfahrer können entspannt bleiben. Und Reboundeffekte beim Spritverbrauch, wo deutlich größere Autokarossen (Stichwort SUV) den Spareffekt durch die gestiegene Effizienz der Motoren wieder zunichtemachen, rächen sich nun endlich.

Wissenschaftler sind sich allerdings einig, dass es einen sozialen Ausgleichsmechanismus geben muss, dass Personen und Familien, die besonders niedrige Einkommen haben und meist auch einen geringen CO2-Fußabdruck, bei den Energiekosten entlastet werden müssen. Der Wirtschaftsforscher Matthias Kalkuhl erklärt im Deutschlandfunk, inwiefern das Klimageld ein solcher Mechanismus sein könnte. Dabei erhalten alle Haushalte eine einheitliche Rückerstattung aus der vereinnahmten CO2-Steuer. Der Effekt: Wer wenig CO2 verbraucht, zahlt wenig und bekommt deshalb mehr zurück.

Die hohen Kosten für ein solches Klimageld müsse die Gesellschaft aktuell sowieso stemmen, wenn sich die Preise für Erdgas noch einmal verdreifachen, sollten die Erdgaslieferungen aus Russland gestoppt werden.

Klima- und Umweltforschung kompakt

Eine am Donnerstag im Fachjournal Science erschienene Studie hat untersucht, inwiefern die großen Wald- und Buschbrände im australischen Sommer 2019/2020 Schäden an der globalen Ozonschicht verursacht haben. Demnach sollen durch die Feuer chemische Verbindungen in die oberen Schichten der Atmosphäre über weiten Teilen der Südhalbkugel gelangt sein. Dort führen sie laut den Forschern jetzt zu einem verstärkten Abbau von Ozon. Ozon bildet eine Art Schutzschicht, die die Erdoberfläche vor zu viel UV-Licht schützt. Nicht an der Studie beteiligte Wissenschaftler kritisieren die Aussagen allerdings teilweise. So sei die Qualität der zugrundeliegenden Daten unklar. Unstrittig sei zwar, dass große Feuer einen Einfluss auf die Ozonschicht haben könnten, jedoch sei der wahrscheinlich geringer, als der durch andere Emissionen, etwa durch die menschliche Industrie, schreiben sie in einem Statement für das Sciencemediacenter (SMC).

Die gefrorenen Eisflächen rund um den antarktischen Kontinent am Südpol sind am 25. Februar auf die kleinste, jemals gemessene Ausdehnung zusammengeschmolzen. Wie das Magazin Nature berichtet, waren zu diesem Zeitpunkt nur noch 1,92 Millionen Quadratkilometer überfroren, etwa 190.000 Quadratkilometer weniger, als beim bisherigen Rekordminimum 2017. Forscher glauben, dass hier ein Prozess begonnen hat, in dessen Verlauf die Antarktis in einiger Zeit ihr Eis komplett verlieren wird.

Die Klimasünde der Woche

In der Wirtschaft entscheiden unter anderem finanzielle Investitionen darüber, welche Entwicklung vorangetrieben wird: Wird Kapital in den Ausbau erneuerbarer Energien gesteckt oder werden die alten Ölkonzerne und Kohleunternehmen finanziert? Dass auch die Bundesrepublik zu den Kapitalanlegern am Energiemarkt gehört, dürften nur wenige Menschen wissen. Doch das Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) hat Rücklagen aus den Pensionsfonds für seine Beamten investiert, um mit den Renditen eines Tages die Ruhestandsbezüge seiner Staatsbediensteten zu finanzieren.

Ein Bericht der Süddeutschen deckt nun auf: Ein Teil dieser finanziellen Mittel steckt in Kohle- und Ölaktien, unter anderem im US-Konzern Exxon Mobil. Wo Investitionen in "geächtete Waffen, Menschenrechtsverletzungen, Tabak und Atomkraft" ausdrücklich tabu sind und nicht als nachhaltige Investitionen gelten, sieht die Sache bei Öl- und Kohle anders aus. Bei ihnen handele es sich um "Brückentechnologien" teilt das Ministerium der Zeitung auf Anfrage mit.

Kohle baut meiner Meinung nach aber keine Brücke in eine klimaneutrale Zukunft, sondern ist eine störende Blockade auf dem Weg dahin. Jedes neue Kohlekraftwerk, jede neue Ölförderung schafft nur wieder neue Anreize, wieder ein bisschen länger fossile Energieträger zu verbrennen und dem Klima weiter zu schaden. Entziehen sie diesen Vorhaben Ihr Kapital, liebe Frau Innenministerin!

Hörtipps zu Umwelthemen

In der Rubrik Hörtipps diesmal der Hinweis auf zwei Podcast-Episoden anderer Wissenschaftsredaktionen der ARD. Die Kollegen vom Bayrischen Rundfunk widmen sich in ihrem Feature "Wohlstand oder Wachstum? Auf der Suche nach dem rechten Maß" der Frage, wie eine Post-Wachstums-Ökonomie aussehen könnte. (Wir hatten uns letztens in diesem Beitrag eine ähnliche Frage gestellt.

Und die Kollegen der WDR Redaktion Quarks und Co. untersuchen in ihrem "Daily Spezial", warum es meistens keinen Unterschied für die Umweltverträglichkeit macht, ob Plastik aus Erdöl oder aus pflanzlichen Ausgangsstoffen hergestellt wird. Wenn es nicht auf natürliche Weise in kurzer Zeit zersetzt werden kann, bleibt es so oder so ein Umweltproblem.

Zum Schluss: Mitmachen

Zum Schluss habe ich für Sie noch einen Hinweis auf eine Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Die Kollegen vom SWR wollen gemeinsam mit Forschern der Universität Konstanz herausfinden, wie es um das Grundwasser in Deutschland steht. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass überall im Land die im Boden gespeicherten Wassermengen weniger werden. 

Die SWR Kollegen haben dazu einen Spielfilm und eine Dokumentation produziert und ein Portal aufgesetzt. Dort, liebe Lesende, können Sie eintragen, wenn Ihnen Gewässer, also Bäche, Flüsse und Seen, in Ihrer Umgebung aufgefallen sind die heute weniger Wasser führen als vor einigen Jahren, oder komplett ausgetrocknet sind. Die Meldungen finden Sie anschließend auf einer Karte wieder.

An dieser Stelle begrüßen Sie kommende Woche wieder Kollegen der Redaktion von MDR-Sachsen-Anhalt. Haben Sie bis dahin ein erholsames Wochenende und eine gute Woche! 

Clemens Haug

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