MDR-Klima-Update am 15. Juli 2022
Bildrechte: Imago/MDR/Maik Schuntermann

MDR KLIMA-UPDATE | 15. Juli 2022 Wann gibt's endlich Hitzefrei?

15. Juli 2022, 11:00 Uhr

"Hitzerekord" ist längst keine frohe Botschaft mehr. Mit der nächsten Hitzewelle drohen gesundheitliche Risiken – vor allem in Städten. Die unternehmen jedoch zu wenig, um ihre Bewohnerinnen und Bewohner vor Hitze zu schützen.

Bild einer jungen Frau
Bildrechte: Martin Neuhof

Hallo!

Hitze ist ein immer wiederkehrendes Thema in diesem Newsletter – sozusagen ein Dauerbrenner. Vor zwei Wochen hat mein Kollege Max Schörm eindrücklich über Frühgeburten, Schlaganfälle und Dengue-Fieber geschrieben. Sie sind nur drei der zahlreichen Folgen, die Hitze für unsere Gesundheit hat. Schon im Januar hat Marcel Roth deshalb erklärt, warum wir auch im Winter über Hitzewellen reden müssen, und gefragt, wo die Hitzeaktionspläne in Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens Städten bleiben.

Jetzt, ein halbes Jahr später, gibt es immer noch kaum Konzepte für Hitzeschutz in den Kommunen. Das ist ein Problem, denn so fehlen Maßnahmen, die Menschenleben retten könnten. Schon in der kommenden Woche erwartet uns eine neue Hitzewelle.

Klingt alles nicht erbaulich, oder? Trotzdem empfehle ich, weiterzulesen, denn es gibt auch gute Nachrichten – im nächsten Absatz allerdings noch nicht.

[#] Zahl der Woche

19.300

Das ist die geschätzte Zahl der Menschen, die in den besonders heißen Sommern 2018, 2019 und 2020 in Deutschland insgesamt aufgrund der Hitze gestorben sind. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Robert Koch-Instituts, des Deutschen Wetterdienstes und des Umweltbundesamtes.

"Hitze" wird den Forschenden zufolge jedoch selten als Todesursache angegeben. Sie haben deshalb in einem statistischen Modell den Verlauf von Temperatur und Mortalität beobachtet und, vereinfacht gesagt, abgeglichen, wann es besonders heiß war und wann mehr Menschen gestorben sind als üblich. So haben sie 8.700 hitzebedingte Sterbefälle 2018, 6.900 im Jahr 2019 und 3.700 im Jahr 2020 ermittelt.

Im Klimabericht der Fachzeitschrift "The Lancet" 2020 kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dagegen auf rund 20.200 Hitzetote in Deutschland – allein im Jahr 2018.

"Hitze ist nicht gleich Hitze"

Die Temperaturen in Mitteldeutschland könnten ab kommenden Montag, dem 18. Juli, wieder deutlich über 30 Grad steigen. Neue Rekorde jenseits der 40 °C wird es entgegen früheren Prognosen aber vermutlich nicht geben. Bislang beträgt der höchste gemessene Wert 39,3 °C, am 7. Juli 1957 in Bad Blankenburg in Thüringen.

Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes sind an Wetterstationen in Mitteldeutschland in diesem Jahr bis zum 10. Juli an 13 Tagen Temperaturen von mehr als 30 °C gemessen worden. So viele heiße Tage gab es zuletzt 2019. Statistisch ist es wahrscheinlich, dass im Laufe des Sommers noch viele weitere folgen.

Hier sehen Sie die Anzahl der Hitzetage seit 2017:

Wettermodelle sagen für die kommende Woche Temperaturen um die 40 °C voraus. Das macht Schlagzeilen – wird aber weniger dramatisch, sagt Wetterexperte Jörg Kachelmann:

"Es ist nicht jede Hitze jetzt immer gleich Klimawandel", erklärt Kachelmann im Interview mit MDR AKTUELL. Allerdings sei die Temperatur aufgrund der Klimakrise konstant überdurchschnittlich hoch. Daher sei durchaus zu erwarten, dass die Temperaturen auch in unseren Breitengraden in Zukunft deutlich über die 40 °C-Marke steigen könnten.

Die folgende Grafik zeigt, dass die vergangenen Hitzesommer keine einmaligen Ausreißer waren, sondern die durchschnittliche Anzahl der heißen Tage kontinuierlich zugenommen hat:

Wie stark uns Hitze trifft, hat die Ärztin Nathalie Nidens Anfang der Woche bei MDR um 11 erklärt. Nidens zufolge hängt Hitzebelastung von mehreren Faktoren ab:

  • Luftfeuchtigkeit: Feuchte Hitze vertragen wir schlechter.
  • Dauer: Je länger es heiß ist und je weniger es über Nacht abkühlt, desto mehr belastet die Hitze.
  • Zeitpunkt: Wenn eine Hitzewelle am Ende des Sommers auftritt, haben wir uns besser an die Temperaturen angepasst als im Mai oder Juni.
  • Wen sie trifft: Hitze bedroht vor allem Menschen, die ihre Hitzeregulierung schlechter beeinflussen können. Dazu zählen Säuglinge und Kleinkinder, vorerkrankte und alte Menschen, Schwangere sowie Personen, die Medikamente nehmen, die den Wärmehaushalt beeinträchtigen. Ebenfalls besonders gefährdet sind Menschen, die alleine leben, sozial benachteiligt oder obdachlos sind.

Tipps aus der Wissenschaft: Mit diesen einfachen Tricks und etwas Weitsicht lassen sich Wohnungen auch bei starker Hitze etwas kühler halten.

Wie Städte der Hitze (nicht) begegnen

Nach Angaben des Umweltbundesamtes (PDF) sind extreme Temperaturen der stärkste Einflussfaktor, den der Klimawandel auf die Gesundheit von Menschen hat, die in Städten leben. Dort verstärke sich die Hitze, je nachdem, wie stark Flächen bebaut und versiegelt seien. Als sogenannte Wärmeinseln speichern sie der Helmholtz-Klima-Initiative zufolge besonders viel Wärme. Das liege unter anderem an Gebäuden aus Beton, Glas und Metall und könne dafür sorgen, dass es in Städten bis zu zehn Grad Celsius wärmer sei. Ein weiteres Problem sei, dass die Wärmespeicher nachts kaum abgebaut würden. Es gebe also kaum Möglichkeit zum Abkühlen.

Die Kommunen könnten darauf reagieren, indem sie die Bevölkerung, insbesondere vulnerable Gruppen, früh informieren und warnen, oder indem sie erkennen, wo Hitzebelastung besonders hoch ist und ihr mit Grünflächen, Überdachungen und Trinkwasserspendern begegnen. So lauten einige der Empfehlungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Eine Arbeitsgruppe des Bundesumweltministeriums hat bereits 2017 Handlungsempfehlungen herausgegeben, die Kommunen dabei unterstützen sollen, Hitzeaktionspläne zu entwickeln.

Eine Bestandsaufnahme im Ärzteblatt zeigt jedoch: Die wenigsten Städte und Gemeinden in Deutschland haben konkrete Konzepte, um die Bevölkerung vor Hitze zu schützen. Dass Städte in Mitteldeutschland dabei keine Ausnahmen sind, zeigen Recherchen von MDR AKTUELL.

Ein bisschen was tut sich aber doch:

  • Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung erforscht in Dresden und Erfurt, wie Städte "hitzeresilient" werden. Ende September wollen die Forschenden ihr Wissen bei einer Abschlussveranstaltung weitergeben.
  • Leipzig soll bis zum kommenden Sommer einen Hitzeaktionsplan haben. Das hat der Stadtrat im Juni beschlossen, berichtete die Leipziger Zeitung.
  • Chemnitz bekommt laut einem Bericht der Freien Presse (€) frühestens 2024 einen Hitzeaktionsplan. Über ein Hitzeportal auf ihrer Website veröffentlicht die Stadt jetzt schon Informationen und Tipps.
  • In Magdeburg gibt es zwar noch keinen Hitzeaktionsplan, aber nach Angaben des Dezernenten für Umwelt und Stadtentwicklung Pläne für die Klimaanpassung, Bebauung und Flächennutzung.

Die künftigen Sommer werden heiß und heißer. "Hitzerekorde" sind längst keine guten Nachrichten mehr. Wie schützen wir uns, unsere Wohnungen, Einrichtungen und Städte davor? Ist Hitzeschutz eine Frage des Einkommens, oder kann er gerecht gelingen? Diese Fragen haben die Gäste bei FAKT IST! am Montag diskutiert. Wenn Sie die Sendung verpasst haben, holen Sie sie doch an diesem Wochenende nach:

🗓 Klimatermine

FREITAG, 15. JULI, MAGDEBURG

Das Klimabündnis Magdeburg feiert seinen ersten Geburtstag. Eingeladen sind laut Bündnis "alle, die vorbeikommen" – von 17 bis 21 Uhr im Café Verde der Genossenschaft Vitopia.

18. BIS 31. JULI, ERFURT

In Thüringen gibt es acht sogenannte Nationale Naturlandschaften. Dazu gehören National- und Naturparks, Biosphärenreservate und Naturschutzgebiete. In einer interaktiven Ausstellung im Erfurter Klima-Pavillon können Sie die Orte kennenlernen – und Ihren nächsten (klimabewussten) Ausflug in die Natur planen.

DONNERSTAG, 21. JULI, LEIPZIG

Nachrichten rund um das Klima können auf die Psyche schlagen. Wie können wir mit unseren Emotionen umgehen und einander den Rücken stärken? Das erklären der Heilpädagoge Sebastian Funke und der Psychologe Stefan Kurth von 18:30 bis 20:30 Uhr im Haus der Demokratie bei einem interaktiven Vortrag, organisiert vom BUND Leipzig. Die Teilnehmendenzahl ist auf 15 begrenzt, Anmeldung ist per E-Mail möglich.

VORMERKEN

Städte und Gemeinden in ganz Deutschland fahren beim "Stadtradeln" drei Wochen lang um die Wette. In einigen Orten ist der Wettstreit schon vorbei, in anderen steht er noch bevor: Zum Beispiel in Magdeburg ab dem 22. August oder in Leipzig ab dem 9. September. Hier erfahren Sie, wann Ihre Kommune dabei ist – und können sie anmelden, falls sie noch nicht teilnimmt.

📰 Klimaforschung und Menschheit

UNGERECHTES GRÜN

Grünflächen können die Hitzebelastung in Städten abmildern. Nur: Dafür müssen die Bewohnerinnen und Bewohner sie überhaupt erreichen. Ein Team der Universität Jena und des Thüringer Instituts für Nachhaltigkeit und Klimaschutz hat untersucht, wie die kühlenden Oasen in Jena verteilt sind und wie die Jenaerinnern und Jenaer sie nutzen. Dafür haben sie im Juni 2018 zahlreiche Haushalte befragt. Eines der Ergebnisse: Ältere Menschen ziehen sich bei Hitze aus dem öffentlichen Raum zurück. Vor allem im Norden der Stadt sehen die Forschenden Handlungsbedarf, denn dort gebe es viele alte und sozial benachteiligte Menschen, aber nur eine Grünfläche. Die Hitze treffe dort besonders vulnerable Gruppen. Mittlerweile habe die Stadt reagiert und eine neue Grünfläche geschaffen.

MANCHE GEBIETE IN DEUTSCHLAND SIND NICHT MEHR BESIEDELBAR

Das sagte der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Ralph Tiesler, Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Es gebe keinen Ort oder Landstrich in Deutschland, bei dem man nicht genauer hinsehen müsse, ob er angesichts von Unwettern und Flutkatastrophen besiedelt werden sollte oder nicht. Dazu zählen laut Tiesler nicht nur Gebiete in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, die vergangenen Sommer von der Flutkatastrophe getroffen wurden, sondern auch Küstenregionen. In der Bevölkerung brauche es ein neues Krisenbewusstsein, erklärte Tiesler weiter: "Wir müssen lernen, dass die Krise zum Alltag gehört."

MIT KOPFSPRUNG IN DIE KLIMAKATASTROPHE

Haben Sie in den vergangenen Wochen darauf geachtet, wie Medien die bevorstehenden heißen Tage bebildern? Sicherlich sind Sie dabei auf Bilder von Menschen im Freibad, am Strand oder am Badesee gestoßen. Das erinnert an Sommer, Freizeit, Badespaß. Tatsächlich geht es bei der Berichterstattung über Hitze mittlerweile immer öfter um drastische Gefahren für die Gesundheit, Naturkatastrophen oder landwirtschaftliche Engpässe. Diese Text-Bild-Schere sei ein Problem, erklärt der Sprecher des Netzwerks Klimajournalismus, Raphael Thelen, denn sie verzerre die Realität und mache Menschen, die besonders vom Klimawandel betroffen sind, unsichtbar.

Sind Ihnen solche Bilder auf MDR.de begegnet? Welche Bebilderung finden Sie passender? Und, ganz ehrlich: Klicken Sie eher auf ein Bild von vertrocknetem Boden als auf das eines kunterbunten Sonnenschirms? Schreiben Sie uns Ihre Antwort an klima@mdr.de.

📻 Klima im MDR

👋 Zum Schluss

...wünsche ich Ihnen, dass Sie gut durch die heißen Tage kommen – und uns allen, dass Sie in den nächsten Wochen an dieser Stelle nicht immer und immer wieder von neuen Hitzewellen lesen müssen.

Klar ist allerdings, dass die Hitze uns in diesem und künftigen Sommern begleiten wird. Ich habe mir angesehen, was größere Städte dagegen tun. Nun bin ich umso interessierter: Welche Ideen und Pläne gibt es in kleineren Kommunen und auf dem Land, um Menschen vor Hitze zu schützen? Wenn Sie Initiativen oder Projekte kennen, erzählen Sie uns davon. Das geht ganz einfach per E-Mail an klima@mdr.de.

Sollten Sie nach all den schlechten Nachrichten noch eine Portion Aufmunterung und Faszination benötigen: Schauen Sie sich die beeindruckenden Bilder an, die uns diese Woche vom James Webb Weltraumteleskop erreicht haben.

Herzliche Grüße
Maren Wilczek