MDR KLIMA-UPDATE | 05. Januar 2024 Gestatten, Norwegen! Klimavorreiter und.. ach ja, Klimasünder!
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Ausgabe #122 vom Freitag, 05. Januar 2024
05. Januar 2024, 18:11 Uhr
In Sachen Ausstieg aus der Ölförderung zeigt die Welt gerne auf die arabischen Ölstaaten oder Indien. Aber auch Norwegen will nicht so ganz von den Fossilen lassen.
Hallo zusammen,
ich hätte nie gedacht, dass es so etwas wie „zu viel Schnee“ geben könnte, aber heute ist es soweit. Ich will, dass es aufhört! Heute Morgen habe ich mich aus dem Haus gegraben, um meinen Sohn dick eingepackt zum Kindergarten zu tragen (einer der wenigen, der noch offen hat). Der Eingang zu unserer Garage, ach was, die ganze Garage existiert nicht mehr, die Wege sind rechts und links von meterhohen Schneebergen umschlossen. Und es schneit weiter! Und Sie? Sie werden sicherlich gerade aus dem Fenster schauen und überlegen, wovon zum Teufel ich nur rede.
Ich wohne derzeit mit meiner Familie in Süd-Norwegen! Was in Deutschland an Wasser herunterkommt, ist hier Schnee. Und das klingt romantischer als es ist! Denn Norwegen ist zwar Schnee gewöhnt, aber diese Mengen in so kurzer Zeit sind auch hier extrem: Die Behörden haben den Notstand ausgerufen. Wer kann, soll zuhause bleiben. Die Räumfahrzeuge fahren Tag und Nacht Kolonne, erster Schnee wird bereits ins Meer und die Flüsse gekippt.
Es ist eines der Extremwetter, die die Aufmerksamkeit unweigerlich auf das Thema Klima lenken. Selbst König Harald – seit über 30 Jahren volksnaher und beliebter Regent in Norwegen - mahnt in seiner Neujahrsansprache den Klimaschutz an und verweist sogar auf die UN-Klimakonferenz in Dubai. Konkret darauf, dass sich die Länder verpflichtet hätten, von Öl und Gas wegzukommen (auch wenn es schwammiger formuliert war) und man nun auch handeln müsse! Ein wunder Punkt für Norwegen! Denn, obwohl nach der COP stark der Eindruck entstand, dass nur die arabischen Ölstaaten oder Indien nicht von den Fossilen lassen können, ist auch Norwegens Regierung verdächtig einsilbig, wenn die Sprache auf die Ölförderung kommt. Wie genau, das schauen wir uns gleich noch an.
Aber erstmal wie gewohnt zur...
Zahl der Woche:
74
- … Prozent des norwegischen Exports machten 2022 Gas und Öl aus. Damit verdiente der Staat umgerechnet rund 131 Milliarden Euro, schätzt das Statistikinstitut SSB - etwa das Dreifache zum Vorjahr. Dass Russland seine Gaslieferungen nach Europa reduzierte, ermöglichte Norwegen den Aufstieg zum größten Lieferanten des Kontinents und hat Folgewirkungen: Um Europas Energie zu sichern, hat die norwegische Regierung im Juni 2023 grünes Licht für 19 Öl- und Gasprojekte mit Gesamtinvestitionen von umgerechnet rund 17 Milliarden Euro gegeben. Laut Energieminister könne so ab der zweiten Hälfte der 2020er Jahre eine zusätzliche Produktion anlaufen, sodass hohe norwegische Lieferungen aufrechterhalten werden können.
Das norwegische Paradox: Klimaschutz trifft Ölförderung
Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Norwegen denken? Raue Natur, ein rotes Holzhäuschen am Fjord, Elche? Vielleicht klingelt es ja auch bei E-Autos und Ökostrom! Und Ihnen ist bestimmt bewusst, dass Norwegen reich ist, wahrscheinlich sogar, dass der Reichtum vom Öl kommt. Und trotzdem – und korrigieren Sie mich - dreckige Ölplattformen und stinkende Abgase gehören nicht wirklich in unser Norwegenbild.
Wir haben ein stark romantisiertes Bild von Norwegen. Nicht alles davon ist falsch, aber seit ich hier lebe, merke ich doch immer wieder, wie stark wir das Land idealisieren. Auch beim Klimaschutz! Wir blicken fast ehrfürchtig in den Norden – sehen die hohe Zahl der E-Autos, wie der Strom fast komplett aus Wasserkraft generiert wird (allerdings auch das nur in der Theorie, mit der Anbindung an den europäischen Strommarkt erhalten auch viele Norweger einen Mix) und verweisen auf Norwegens führende Rolle in der internationalen Klimaschutzpolitik. Dass Norwegen weltweit das siebtgrößte Exportland von Emissionen ist, wird gerne ignoriert oder kleingeredet. Auch in der norwegischen Politik!
Verstehen Sie mich nicht falsch: Norwegen betreibt hier kein reines Greenwashing, die hohen Klimaansprüche gibt es. Laut der norwegischen Umweltbehörde sind Norwegens Emissionen in den letzten Jahrzehnten tatsächlich gesunken. Und das, obwohl die Emissionen durch die Ölförderung sich fast verdoppelt haben. Genaue Zahlen finden Sie in der Grafik.
Abseits der Öl- und Gasförderung betreibt Norwegen also eine durchaus erfolgreiche Klimapolitik. Nur hängt der größte Dreckklumpen mit einem Viertel der Gesamt-Emissionen Norwegens eben doch an den Fossilen und die werden teilweise noch ausgebaut. Eine Entwicklung, die laut einem von der Solberg-Regierung eingesetztem Klimaausschuss gegen Norwegens Klimaverpflichtungen verstößt. Konsequenzen hat das bisher keine, denn Norwegen ist abhängig: Öl ist die größte Exportware und Einnahmequelle des Landes. Von den Arbeitsplätzen ganz zu schweigen! Der politische Wille, mit der Ölförderung zu brechen, fehlt, schreibt auch NRK – der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Norwegen – nach der Klimakonferenz in Dubai.
Wie also kombiniert man eine fortlaufende Ölförderung mit den durchaus existenten hohen Klimazielen? Über die Jahre hat man sich in Norwegens Politik viele Strategien überlegt. Vier davon möchte ich Ihnen gerne näherbringen. Die Bewertung, was davon wirklich Hand und Fuß hat, möchte ich Ihnen überlassen.
1. Klima und Öl trennen
Traditionell wird in Norwegen die Klimapolitik von der Ölpolitik getrennt. Nicht nur in der öffentlichen Debatte, sondern tatsächlich auch in den Zuständigkeiten. Es gibt das Klima- und Umweltministerium auf der einen Seite, das Öl- und Energieministerium auf der anderen. Die politischen Trennlinien haben es Norwegen lange Zeit erleichtert, die Rolle als großer Öl- und Gasproduzent mit einer ehrgeizigen Klimapolitik und einer internationalen Führungsrolle in der Klimaarbeit zu kombinieren, meint auch der Umweltaktivist- und Forscher Bård Lahn von der Universität Oslo. Laut ihm gibt es erst in den letzten Jahren so langsam ein Verständnis dafür, dass das Klima in die Ölpolitik einfließen sollte.
Das mag banal klingen, aber tatsächlich scheint das in Norwegen nicht selbstverständlich zu sein. Im erst Ende 2023 erschienenen Abschlussbericht des norwegischen Klimaausschusses ist das sogar extra aufgelistet: Dort heißt es, man schlage vor, Klimaaspekte in die staatliche Bewirtschaftung der Öl- und Gasressourcen einzubeziehen. Die klare Trennung jedenfalls führt oft zu dem seltsamen Eindruck, man habe mit Norwegen eine Art gespaltene Persönlichkeit vor sich. Das Umweltministerium kann sich darüber aufregen, dass man im kongolesischen Regenwald – dort wo Norwegen mit aufgeforstet hat – nach Öl bohren will, während sich gleichzeitig der Ölminister hinstellt und davon redet, neue Gebiete für die Ölförderung erschließen zu wollen.
Für die Außenwirkung ist es aber praktisch, denn während die Ölpolitik die Produktion fürs Ausland betreut, richtet sich die Klimapolitik nur nach dem Verbrauch im Inland und damit der Frage, was getan werden muss, damit die Norweger weniger Öl, Kohle und Gas verbrauchen. Mit Erfolg wie die Elektroautopolitik oder die Stromgewinnung aus Wasserkraft zeigen. Es ist eine Art Ausgleich zur Ölpolitik.
2. Einen Ausgleich schaffen
Das Prinzip Ausgleich wenden die Norweger dann auch gerne an anderer Stelle an. Dass Norwegen beispielsweise in den Regenwäldern Kongos aktiv ist, ist nicht ungewöhnlich. International ist das Land treibende Kraft in vielen Klimaschutzprojekten. Ob da das schlechte Gewissen sich regt, sei mal dahingestellt.
Was aber sicher ist, ist, dass Norwegen zur Klimaschutzkonferenz in Kyoto ein großer Fürsprecher des Emissionshandels war. Zur Erinnerung: Der Emissionshandel ermöglicht es Industrieländern, untereinander mit Rechten für den Ausstoß bestimmter Mengen an klimaschädlichen Gasen zu handeln. Staaten, die also ihre Klimaziele im eigenen Land nicht erfüllen, können Zertifikate kaufen und auf ihre Emissionsziele gutschreiben. Und genau das hat Norwegen getan, sagt der Forscher Bård Lahn. Norwegen hätte sich ihm zufolge damit immer mehr von seinen Verpflichtungen befreit. Auch damit sei das Klima weitestgehend von der Ölpolitik ferngehalten worden. Mit zunehmenden Fokus auf das Thema Öl- und Gasproduktion, wie kürzlich in Dubai, wird aber auch für Norwegen der Spagat immer schwieriger.
3. Das Öl grüner machen
Schwierig heißt aber nicht unmöglich! Schließich geht es ja bei den Klimaschutzzielen nicht per se um den Stopp der Ölförderung, sondern vor allen Dingen um die Begrenzung der daraus entstehenden Emissionen – so zumindest die Argumentation im hohen Norden. Warum also nicht klimafreundliches Öl?
Schon seit Jahren verweisen norwegische Politiker gerne darauf, wie viele sauberer die eigene Ölförderung abläuft im Vergleich zu anderen Ölländern: Der Arbeitsschutz wird eingehalten, es gibt gute Löhne, der verwendete Strom kommt aus der inländischen Wasserkraft! Frei nach dem Motto „Wenn wir es nicht machen, dann macht es ein anderer – nur schlechter!“ „Vor 15 Jahren wäre darüber vielleicht nicht so viel diskutiert worden, aber heute denke ich, dass viele darüber lachen würden", so Bård Lahn! Mittlerweile hätten viele andere Länder, in ihren Bemühungen die Emissionen zu reduzieren, Norwegen weit überholt.
Die Grafik zeigt den Vergleich Norwegens mit Ländern, die alle zu den 10 größten Emissionsnationen der Welt gehören. Negativerweise kann Norwegen bei den Pro-Kopf-Emissionen gut mithalten. Ein Viertel dieser Emissionen kommen laut Umweltministerium von der Öl- und Gasgewinnung – Export und Verbrauch im Ausland nicht mit eingerechnet!
Um trotzdem nicht auf das Öl zu verzichten, setzt Norwegen deshalb auf technische Lösungen für den Klimaschutz. Etwa auf die Carbon Capture and Storage-Technik, kurz CCS! Dabei wird CO2 aus den Abgasen mittels einer Chemikalie abgespalten und anschließend unterirdisch eingelagert – erst Ende 2023 ist eine neue Anlage unter dem Meeresboden eingeweiht worden. Im ARD-Interview zeigt sich der norwegische Ministerpräsident optimistisch, dass Norwegen damit ganz Europa helfen kann, die Klimaziele zu erreichen und die eigene Ölförderung dadurch klimafreundlicher wird. Nur, war nicht die Absprache in Dubai, weniger auf fossile Brennstoffe zu setzen?
4. Den Markt machen lassen
Ja, und? Der norwegische Öl- und Energieminister Terje Aasland sieht darin keinen Widerspruch. Norwegen, so heißt es, hätte sich sogar dafür eingesetzt, klar von einem Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen zu sprechen. Aber deshalb die norwegische Ölpolitik ändern? Darin sieht der Minister keinen Bedarf! In einem Interview kurz nach der Klimakonferenz erklärt er, der Ausstieg geschehe von alleine.
Die Logik dahinter: Wenn alle Länder klimafreundlicher leben, wird die Nachfrage nach fossiler Energie automatisch sinken und Norwegen entsprechend die Produktion reduzieren. Der Markt wird es richten! Eine Rechnung, die ohne den Wirt gemacht wurde. Denn mit der Ukraine-Krise hat die Nachfrage wieder stark zugenommen. Und was sagt Aasland darauf? Na, das, was ein norwegischer Ölminister qua seines Amtes zu sagen hat: "Dann haben wir gesagt, dass wir dem starken Rückgang entgegenwirken werden, indem wir die norwegische Öl- und Gasförderung vorantreiben. Europa wird in Zukunft viel Energie brauchen.“
Vielleicht sollte man das nächste Mal doch besser den Klimaminister fragen.
🗓 Klima-Termine
Samstag, 6. Januar – Plauen
Im Aboretum Plauen lädt der Ornithologe Frank Müller zur Vogelzählung „Stunde der Wintervögel“. Infos und Anmeldung hier!
Donnerstag, 11. Januar – Online
Im Rahmen des Projekts VielFalterGarten, das sich für den Schutz von Schmetterlingen in der Stadt Leipzig einsetzt, lädt der Biologe und Schmetterlingsexperte Dr. Guy Pe´er zum „digitalen Schmetterlingsabend: Schmetterlinge im Winter“. Infos und Anmeldung hier!
15. - 20. Januar – Berlin
Die Heinrich-Böll-Stiftung lädt zur Veranstaltungsreihe „Landwirtschaft anders – unsere Grüne Woche“, in der es in diesem Jahr verstärkt um den Zusammenhang zwischen der Agrarproduktion und der Klimakrise gehen soll. Mehr dazu hier!
📰 Klimaforschung und Menschheit
2023 WAR IN DEUTSCHLAND WÄRMSTES JAHR SEIT BEGINN DER DATENERFASSUNG
2023 WAR IN DEUTSCHLAND WÄRMSTES JAHR SEIT BEGINN DER DATENERFASSUNG Subjektiv kam es dem einen oder der anderen wahrscheinlich gar nicht so vor. Da gab es den extrem kühlen April, verregnete und ebenfalls kühle Sommerferienwochen, und T-Shirt-Wetter wie ein Jahr zuvor war am Silvesterabend auch nicht. 2023 hat im Gegensatz zum Vorjahr mit punktuellen Hitze- und Dürrerekorden gegeizt. 40 Grad im Schatten gab es diesmal bei weitem nicht. 37,3 °C sind mitteldeutscher Hitzerekord für 2023, aufgestellt am 15. Juli in Dresden. Es war also nicht so sehr die Sommerhitze, die 2023 so warm machte, sondern die fehlende Kälte in anderen Jahreszeiten. Und so steht im Ergebnis mit 10,63 Grad Celsius Durchschnittstemperatur ein Wärmerekord. Der nächste nach 2014, 2018 und 2022.
ARTENREICHE WÄLDER STOSSEN WENIGER DUFTSTOFFE AUS
Zu diesem Ergebnis kam ein interdisziplinäres Team der Universität Leipzig, des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv). Dies sei eine wichtige Erkenntnis, denn die Stoffe riechen leider nicht nur angenehm, sondern spielen auch eine Rolle bei der Regulation des Klimas, der Luftqualität und der Atmosphärenchemie, erklären die Forschenden. Je weniger der Pflanzenduftstoffe ausgestoßen werden, desto weniger Veränderungen in der Atmosphäre gebe es demnach auch. Mehr Artenvielfalt könne entsprechend auch die Risiken des Klimawandels verringern. Die Studie ist im Journal Communications Earth & Environment erschienen.
DER IGEL IST TIER DES JAHRES 2024
Und braucht unsere Hilfe. Das teilte die Deutsche Wildstierstiftung mit. Demnach sei der Igel für dieses Jahr gewählt worden, um auf den für das Tier immer weniger passenden Lebensraum hinzuweisen. Laut Wildtierbiologe und Stiftungsvorstand Klaus Hackländer hätten auf dem Land aufgeräumte Agrarlandschaften die früher üblichen Hecken, Gehölze und artenreichen Magerwiesen verdrängt. Die Igel würden deshalb in die Gärten und Grünanlagen in Siedlungsgebieten ausweichen. Dort gebe es Schätzungen zufolge mittlerweile bis zu neunmal so viele Igel wie auf dem Land. Schottergärten, versiegelte Flächen, Autos und Mähroboter würden den Stacheltieren aber auch hier das Leben schwer machen. Der Igel wird den Angaben zufolge auf der Roten Liste der Säugetiere Deutschlands in der Kategorie "Vorwarnliste" geführt, sein Bestand nimmt schleichend ab. So können Sie zum Schutz des Igels beitragen.
📻 Klima in MDR und ARD
👋 Zum Schluss
Im norwegischen Alltag ist das Klima nicht ganz so präsent wie bei uns. Dafür müssten Sie nur einmal in einen norwegischen Supermarkt spazieren und sich die Regale voller Obst und Gemüse angucken, die alle fein säuberlich und einzeln (etwa eine Paprika) in Plastik eingeschweißt sind. Und die Bevölkerung profitiert direkt vom Öl – nicht nur, weil das Geld in den Ölfond wandert, sondern, weil die Regierung auch etwas an die Bevölkerung zurückgibt. Die hohen Strompreise (und ja, die gab es auch in Norwegen) hat der Staat mit bis zu 90 Prozent gestützt. Der Protest im Inland ist entsprechend, ausgenommen Umwelt- und Klimaorganisationen und insgesamt die sehr international geprägte Hauptstadt Oslo, vergleichsweise gering. Solange sich aus dem Extremwetter noch Schneemänner bauen lassen, ändert sich das wohl auch nicht so schnell. Außer die Regierung reagiert und schafft Anreize, wie etwa bei den E-Autos. Zu wünschen wäre es Ihnen!
Liebe Grüße
Katja Evers
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