MDR KLIMA-UPDATE | 22. September 2023 Sumpf und Sukkulenten: Klimaschutz von dem da oben!
Hauptinhalt
Ausgabe #107 vom Freitag, 22. September 2023
22. September 2023, 11:00 Uhr
Dachgärten und Gründächer können nicht nur ansehnlich sein, sondern auch Klimaschutz – von ganz oben sozusagen. Aber Gründach ist nicht Gründach.
Hallöchen.
Wollte zwar grad anfangen zu tippen, aber frage mich jetzt, wer eigentlich den Dachziegel erfunden hat. Moment, Wikipedia … okay, die Sache ist unklar, aber auf jeden Fall gibt es in dieser Angelegenheit Überlieferungen aus dem antiken Korinth, die hunderte Jahre vor Christi Geburt zurückreichen.
Damals waren allerdings selbst bei den alten Griechen zubetonierte und überhitzte Metropolen wahrscheinlich ebenso wenig Gesprächsthema wie Biodiversitätsverluste und Klimaanpassung. Aber Sukkulenten – also die hätten sich auch auf einer Tempelanlage hübsch gemacht. Zurück in die 38. Kalenderwoche des Jahres 2023: Es ist die Woche der Klimaanpassung, mit zahlreichen Veranstaltungen, Vorträgen und offenen Türen überall in Deutschland. Und weil wir Ihnen hier im Klima-Update immer allerlei Klima-Termine predigen, dachte ich mir mit etwas Nachhilfe vom Chef: Einfach mal zu so einen Termin hingehen.
Zum Beispiel ans UFZ. Am Dienstag hat das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig zur Dachbesteigung eingeladen. Dort wächst unter wissenschaftlicher Aufsicht ein Gründach vor sich hin. Ich fand die schon immer schön, hatte aber bisher kein sonderlich fundiertes Fachwissen, was das betrifft. Sie auch nicht? Na bitte.
#️⃣ Zahl der Woche:
75
… Prozent des Fahrpreises sollen Fahrgäste zurückbekommen, wenn sie mit dem Zug anderthalb Stunden oder später an ihr Ziel kommen. Bei einer – hüstel – leichten Verspätung von sechzig Minuten soll es fünfzig Prozent zurückgeben. So zumindest eine Forderung der Grünen in einem Entwurf zum Europawahlprogramm. Das entspräche der Partei zufolge auch einer Forderung des EU-Parlaments. Bisher bekommen Reisende nur 25 beziehungsweise fünfzig Prozent erstattet. Fahrgäste sollen zudem bei Verspätungen auch mit Transportmitteln fremder Unternehmen weiterreisen können. Das alles würde den klimafreundlichen Bahnverkehr zumindest aus Reisendensicht attraktiver machen. Interessanterweise unterstützen die Grünen aber auch eine Stärkung der Ansprüche von Flugreisenden.
Ein grünes Mützchen fürs Häuschen
Das Forschungsgründach des Hemlholtz-Zentrums für Umweltforschung erinnert ein bisschen an eine Mischung aus Hochbeet und Gemüsegarten. Nur, dass da weder Erbsen noch Sellerie stehen, dafür die eine oder andere Mess-Apparatur. Oberste Gründachgärtnerin und wissenschaftliche Koordinatorin des Forschungsprojekts ist Lucie Moeller. Sie sorgt für mein erstes Aha-Erlebnis: „Wir betreiben ein Forschungsgründach, auf welchem wir die Möglichkeit haben, drei Gründachtypen mit einem Kiesdach als Referenz zu vergleichen und deren Wirkungen auf das Mikroklima zu erforschen.“ Drei Gründachtypen – jetzt mögen mich die Bescheidwissenden unter Ihnen abschätzig beäugen, aber die Tatsache, dass Gründach nicht gleich Gründach ist, war mir absolut nicht klar. Wie naiv. Im Grunde geht es nämlich um die Frage, wie viel man sich um so ein Dach zu kümmern gedenkt und was man sich davon verspricht.
Dazu gleich, denn natürlich braucht man diese Frage nicht zu stellen, ohne die eigentliche Frage gestellt zu haben: Wozu überhaupt eine grüne Dachbepflanzung? Jetzt mal ehrlich: Selbstverständlich passt es in ein Weltbild der Klimaanpassung, sich einen Dachgarten wachsen zu lassen und geht einher mit dem Wunsch nach naturnaher, moderner Architektur. Aber was bringt’s denn wirklich?
Ich stelle mir das so vor: Jedes Gebäude, das gebaut wird, versiegelt einen (irgendwann mal vorhandenen) Naturraum mit all seinen Vorzügen. Also heben wir den Naturraum einfach in die Höhe und bauen das Haus drunter – spätestens seit Walter Gropius sind spitze Satteldächer ja ein Auslaufmodell (wobei es auch für schräge Dächer Begrünungslösungen gibt). Dachgrün ist zudem ein wichtiger Baustein der Klimaanpassung – Stichwort Schwammstadt, darum ging es im MDR Klima-Update bei Clemens Haug vor einigen Wochen. Weil es in Deutschland für wirklich alles einen Bundesverband gibt: In der Broschüre des Bundesverbands Gebäudegrün (BuGG) steht das etwas genauer.
Gründächer leisten nämlich einen Beitrag zum Hochwasserschutz, weil sie das Regenwasser zurückhalten können. Das ist besonders bei Starkregenereignissen praktisch, weil dann nicht so viel Wasser auf einmal abfließt. (Welches Grün wie viel zurückhält, wird zum Beispiel am UFZ erforscht, mit besagten Messapparaturen auf dem Dach.) Gleichzeitig wird das Mikroklima verbessert, vor allem in Städten ein Thema mit wachsender Relevanz: Beschattung und Verdunstung wirken der Hitze entgegen. Die Pflanzen können auch CO2 binden und Schadpartikel aus der Luft filtern. Ein gut gemachtes Gründach ist letztlich auch ein Beitrag zur Wiederherstellung der Biodiversität und ein gedeckter Tisch für Insekten.
Der BuGG kennt noch mehr Vorzüge: Kosteneinsparung bei integrierten Abwasserkreisläufen, Lärm- und Strahlenschutz, Energieeinsparung durch Dämmung und als Hitzeschild. Und: Wertsteigerung. Häuslebauende tun gut darin, ihr Dach zu bepflanzen, wenn sie ihre Immobile zu veräußern gedenken, aber das nur am Rande.
Kommt natürlich auch ein bisschen drauf an, wie das Gründach angelegt ist – womit wir wieder am Anfang wären. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Typen: Extensivbegrünung und Intensivbegrünung. Der ersten Variante begegnen Sie in Deutschland am häufigsten, zum Beispiel auf den Dächern von Wartehäuschen oder auf Bürogebäuden, bei denen architektonisch nicht alles falsch gemacht wurde. Dort wächst das, was Sie auch in die semi-mediterrane Ecke Ihres Gartens pflanzen würden: trockenheitsangepasste Pflanzen wie Sukkulenten, Fetthenne oder Thymian, mit einem niedrigen Pflanzenwuchs und der Gabe, sich weitestgehend um sich selbst zu kümmern. Das Ganze ist pflegeleicht und muss in der Regel nicht gegossen werden.
Hingegen auf Intensivbegrünung folgt Intensivbemühung. Ein Dach zum Pflegen eben. Da können neben Stauden und Gehölzen auch Rasenflächen und Bäume angelegt werden. Zumindest, solange sie nicht allzu empfindlich sind, was Trockenheit und Frost betrifft. Diese Form kommt dem natürlichen Freiraum, den man durch das Haus jetzt versiegelt hat, näher als die Extensivbegrünung. Solche Aufbauten sind aber aufwendiger, zum Beispiel braucht es eine Drainage-Schicht, nachträgliche Einbauten sind zudem schwierig. Und: Der Dachgarten muss bewässert werden. Am günstigen ist also eine Kombination aus Dachgarten und einer Vorrichtung, in der überschüssiges Regenwasser aufgefangen wird.
Eine besondere Form der Intensivdachbegrünung ist noch kein Mainstream, wird aber gerade am UFZ gründlich erforscht und gilt sozusagen als der neuste heiße Scheiß: Ein Sumpfpflanzendach. Das Vorurteil mit den trockenheitstoleranten Pflanzen beiseite geworfen, sind Wasserminze, Sumpfampfer und Konsorten eine ästhetische Bereicherung für jedes Flachdach – vor allem, weil die Begrünung einige Zentimeter in die Höhe reicht. Die Pflanzen wachsen nicht im Substrat, sondern auf einer Matte, habe ich mir von Lucie Moeller sagen lassen: „Die Wirkung auf das Mikroklima hinsichtlich Kühlung ist bei einem Sumpfpflanzendach durch die ständige Verfügbarkeit von Wasser im Vergleich zu den anderen genannten Gründachtypen deutlich höher. Ebenso ist die Biodiversität auf so einem Gründach sehr hoch, da viele Sumpfpflanzenarten den Standort akzeptieren.“
Solange der schön feucht ist, zumindest. Das gelingt zum Beispiel durch einen cleveren Kreislauf mit dem Grauwasser des Hauses. (Grauwasser: Jegliches Abwasser, das nicht aus dem Klo kommt.) Das Grauwasser bringt den Pflanzen Nährstoffe mit und die wiederum belohnen die Lieferung mit der Leistung einer natürlichen Kläranlage. Ob nun das Auffangen von Regenwasser oder ein Grauwasser-Kreislauf, aus Lucie Moellers Sicht sollten Gründächer möglichst nicht mehr ohne Bewässerung geplant werden: „Ein multifunktionales Gründach mit einer Kombination von Regenwasserzurückhaltung, einer optimalen Substrathöhe, regionaler Vegetation, Biodiversitätselementen und möglicherweise auch Photovoltaikmodulen zur Stromproduktion wäre ein richtiger Allrounder.“
Wer jetzt plant, sollte also am besten gleich einen Allrounder planen und sich nicht mit schnöden Sukkulenten begnügen – Gründach für Dummies? Ich bitte Sie! In einem Punkt hat die pflegeleichte Extensivbegrünung nämlich sogar gegenüber einem Kiesdach das Nachsehen: „Überrascht waren wir über die sehr schlechte Kühlperformance von einem nicht bewässerten Extensivdach, welches im Vergleich mit einem Kiesdach sogar noch schlechter abgeschnitten hat“, so Moeller. Bauherren und -damen sollten auf keinen Fall vorschnelle Entschlüsse fassen, sondern sich umfassend mit der Thematik beschäftigen – besagter Bundesverband hält da eine Fülle von Material bereit.
Und, Stadtplanende? Die sollten wissen: Ein Gründach macht noch keine Schwammstadt. Lucie Moeller: „Es müssen mehrere Technologien, sogenannte blau-grüne Infrastrukturen, auf verschiedenen Ebenen – Dach, Fassade, Straße – zusammenwirken. Es ist wichtig, das kostbare Gut Regenwasser gut zu managen und möglichst dorthin zu leiten, wo es gebraucht wird.“ Zum Sumpfampfer auf dem Dach zum Beispiel.
🗓 Klima-Termine
Dienstag, 26. September – Dresden (Pappritz)
Der Nabu lädt zu einem kostenlosen Vortrag über Amphibien und Reptilien am Elbhang und dem Schönfelder Hochland. Erklärt wird unter anderem, welche Arten es gibt, wie sie unterschieden werden können und welche Auswirkungen der Klimawandel auf sie hat. Infos
27. bis 29. September – Hamburg
Beim ExtremWetterKongress informieren renommierte Fachleute um die künftige Entwicklung von Extremwetterereignissen und die Anpassungsmöglichkeiten, darunter Michaela Koschak (MDR), Sven Plöger (u.a. Das Erste) und Özden Terli (ZDF). Infos
27. September – Berlin und online
Der 2. Deutschen Klimatag der Klima-Allianz Deutschland bringt Fachleute aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen. In verschiedenen Formaten geht es um die Frage: Wie setzen wir Klimagerechtigkeit gemeinsam als Gesellschaft um? Programm und Livestream
📰 Klimaforschung und Menschheit
Amnesty International: Erstmals eingeschränkte Versammlungsfreiheit in Deutschland
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat erstmals Unterdrückung von Protesten und Versammlungen in Deutschland dokumentiert, zum Beispiel durch Präventivhaft, Schmerzgriffe, repressive Gesetzgebung und Versammlungsverbote. So seien insbesondere Klimaaktivistinnen und -aktivisten den Repressionen ausgesetzt. Ein Beispiel sei die bayerische Polizei, die seit Oktober 2022 Dutzende Aktivistinnen und Aktivisten für bis zu einen Monat in Präventivhaft genommen hat. Diese diene eigentlich zur Verhinderung schwerer Gewaltdelikte, wurde aber zur Abschreckung eingesetzt. Zudem seien Fälle übermäßiger Polizeigewalt, insbesondere bei Straßenblockaden gemeldet worden. Hintergründe bei der tageszeitung
Kalifornien verklagt fünf der weltgrößten Ölkonzerne
Grund seien Umweltschäden in Milliardenhöhe und bewusste Irreführung. So hätten Exxon Mobil, Shell, BP und andere bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert gewusst, welche Schäden fossile Energieträger anrichten und in welche Abhängigkeit sie führen würden, diese Informationen jedoch verschleiert. Durch die Täuschung hätte die Gesellschaft erst verspätet auf die Erderwärmung reagiert. Der Industrieverband API wies die Klage als wertlos und politisch aufgeladen zurück. Hintergründe hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung notiert.
Pläne für einen Windpark nähe Tschernobyl
… hat das deutsche Energieunternehmen Notus und zusammen mit dem staatlichen ukrainischen Stromnetzbertreiber Ukrenergo Mitte September eine Absichtserklärung unterschrieben. Das geschah am Rande des Besuchs von Außenministerin Annalena Baerbock (B’90/Grüne). Die Fläche böte Notus zufolge genug Potenzial, 800.000 Haushalte rund um die ukrainische Hauptstadt Kiew zu versorgen. Der kontaminierten Fläche um das 1968 explodierte Kernkraftwerk Tschernobyl könnte somit wieder ein Nutzen zugeführt werden. Mehr beim Spiegel
📻 Klima in MDR und ARD
👋 Zum Schluss
Dresden gab vor einem Jahr bekannt, einen Gründachzwang für Neubauten einzuführen, was natürlich heiß diskutiert wird, weil sich einige Häuslebauende drangsaliert fühlen. Gibt aber ein faszinierendes Beispiel aus der Stadt, die Kita in der Hauptstraße, Innere Neustadt. Auf einem Satellitenbild wird die glatt zur Hobbithöhle, von oben kaum zu erkennen.
Nehmen Sie einfach mal einen Kartendienst Ihrer Wahl – Mapy, Apple Maps, Bing, Google – überall gibt es Satellitenfotos von oben, mitunter auch zeitgenössische 3D-Ansichten. Es ist wirklich erstaunlich. Also, wie wenig grüne Dächer man in mitteldeutschen Städten so findet – vor allem, wenn man nach Intensivbegrünung sucht. Vielleicht lassen Sie sich einfach mal eben ablenken und begeben sich auf die meditative Suche durch die Satellitenbilder.
Schicken Sie uns gern die Koordinaten zu den schönsten Dachbegrünungen, die sie finden konnten. Ach ja, das UFZ zählt nicht.
Und passen Sie auf sich und die Welt auf.
Herzlich
Florian Zinner
Sie haben eine Frage oder Feedback?
Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.