MDR KLIMA-UPDATE | 11. August 2023 Globale Hitzewelle im Juli: War das der Klimawandel oder El Niño?
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Ausgabe #101 vom Freitag, 11. August 2023
11. August 2023, 13:01 Uhr
Der Sommer in Deutschland ist aktuell ein wenig mau. Aber global gesehen war der Juli 2023 der heißeste Monat seit Beginn der Temperaturaufzeichnung. Liegt das wirklich alles am Klimawandel?
Hallo liebe Lesende,
ich schreibe diese Zeilen mit Blick auf den Leipziger Dauerregen, mein Besuch aus Italien fragt nach einer zusätzlichen Bettdecke. Dass es jetzt um Temperaturrekorde gehen soll, erscheint mir paradox – denn aktuell würde ich mich über ein paar heiße Tage am See extrem freuen. Und spannenderweise werden unsere Klimathemen meistens dann besonders viel gelesen, wenn es sehr warm ist.
Aber, auch wenn der deutsche Sommer in diesem Jahr stark unterperformt, global gesehen war der Juli 2023 der heißeste Monat seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen.
Diese Daten hat der Klimadatendienst Copernicus veröffentlicht. Außerdem melden Forschende weltweit unerwartet warme Temperaturen in den Ozeanen und das Meereis in der Antarktis ist auch viel zu wenig gewachsen für diese Jahreszeit. Aber ist das tatsächlich alles der Klimawandel? Oder erleben wir gerade einen vorübergehenden Effekt, verursacht durch "El Niño"? Immerhin hat das Klimaphänomen im Pazifik im heißen Juli begonnen und nimmt ebenfalls Einfluss auf die globale Durchschnittstemperatur.
Inwiefern El Niño und der heiße Juli zusammenhängen, erklären Klimaforschende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz diese Woche. Hier aber zuerst unsere ...
#️⃣ Zahl der Woche:
66
… Prozent weniger Regenwaldfläche als im Jahr zuvor wurden in Brasilien im vergangenen Juli abgeholzt. Das teilte das Brasilianische Umweltministerium unter Berufung auf vorläufige Daten des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (Inpe) mit. Demnach gab es im vergangenen Monat Hinweise auf Abholzung auf einer Fläche von knapp 500 Quadratkilometern. Im Juli 2022 waren es noch rund 1490 Quadratkilometer gewesen. Der Juli ist traditionell einer der Monate mit der stärksten Abholzungsrate in der Region.
Der Amazonas-Regenwald gilt als CO2-Speicher und hat eine wichtige Funktion im internationalen Kampf gegen den Klimawandel. Während der Amtszeit des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro (2019 - 2022) nahmen Abholzungen und Brandrodungen stark zu. Der aktuelle brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte dagegen bei seinem Amtsantritt Anfang des Jahres angekündigt, den Umwelt- und Klimaschutz zu stärken. Für illegale Rodungen gebe es keine Straffreiheit mehr, kündigte er an.
El Niño ist eigentlich kein Klimawandel-Phänomen
Der spanische Name "El Niño" bezieht sich auf das Christkind – denn früher beobachteten die Fischer vor der Küste Südamerikas das Phänomen als warme Strömung zu Weihnachten, verbunden mit abnehmenden oder sogar ausbleibenden Fischereiquoten. Das hängt damit zusammen, dass El Niño das Ökosystem durcheinanderbringt und den Fischen mitunter die Nahrungsgrundlage entzieht.
El Niño tritt natürlicherweise circa alle vier bis fünf Jahre über dem südlichen Pazifik auf. Wenn sich die Oberflächentemperatur des Ozeans dort überdurchschnittlich stark erwärmt, werden die Passatwinde in der Region schwächer. Diese transportieren normalerweise aufgewärmte Wassermassen von der südamerikanischen Küste nach Asien. Bleiben die Passatwinde aus oder ändern sie sogar ihre Richtung, dann verändert sich das Klima über dem Äquatorialpazifik – mit Auswirkungen auf andere Kontinente.
Das bedeutet auch, dass große Niederschlagsmengen in Regionen fallen, für die das zu dieser Jahreszeit nicht üblich ist. Und dafür herrscht in anderen Regionen Dürre, auch Naturkatastrophen werden während eines El-Niño-Zyklus häufiger. Diese Extremwetterphänomene werden auch oft mit dem Klimawandel assoziiert.
Eine gut verständliche Erklärung des Phänomens im Video gibt es hier von der World Meteorological Organization (WMO).
Ein Grund für den Hitzesommer?
El-Niño-Jahre sind tatsächlich global fast immer wärmer als Nicht-El-Niño-Jahre, betont Daniela Domeisen. Sie ist Professorin für Atmosphärische Prozesse und Vorhersagbarkeit an der Universität Lausanne und der ETH Zürich. Die höhere Durchschnittstemperatur hänge damit zusammen, dass im tropischen Pazifik eine große Oberfläche erwärmt werde. Aus Sicht von Karsten Haunstein (Institut für Meteorologie an der Universität Leipzig) ist durchaus ein Teil des Temperaturrekords im Juli auf El Niño zurückzuführen, gerade in der zweiten Jahreshälfte führe das Klimaphänomen zu deutlich höheren Globaltemperaturen.
Sind die Effekte also nur vorübergehend? Jakob Zscheischler vom Department für Hydrosystemmodellierung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig sagt: nein. Man könne nun nicht davon ausgehen, dass die folgenden Jahre wesentlich kühler werden: "Ganz im Gegenteil. Die volle Wucht des jetzigen El Niños werden wir wahrscheinlich erst in ein bis zwei Jahren spüren. Es ist auch so, dass die vergangenen Jahre durch La Niña (Anmerkung der Redaktion: das ist quasi das Gegenstück zu El Niño und tritt meist im Wechsel auf) leicht kühler waren als sie sonst gewesen wären. Solange die Treibhausgasemissionen nicht sinken, werden die Temperaturen auch in Zukunft weiter ansteigen." Auch Daniela Domeisen findet, die Forschung zeige, dass die Extreme in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer weiter zunehmen werden. "Auch falls nun nochmals einige wenige Jahre mit leicht tieferer globaler Mitteltemperatur folgen sollten, geht der langfristige globale Temperaturtrend aktuell steil nach oben."
Die Situation in Europa
Der springende Punkt ist dabei auch: Mit der Hitzewelle in Südeuropa hat El Niño wenig zu tun, denn das Klimaphänomen betrifft hauptsächlich die Pazifikregion rund um den Äquator. Daniela Domeisen stellt klar, gerade im Sommer habe El Niño auf Europa wenig Auswirkungen. Douglas Maraun vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität in Graz sagt dazu: "Die globalen Folgen von El Niño treten meist erst im Winter, wenn El Niño am stärksten ist, und im Folgejahr auf." Auch er ist der Ansicht, dass die Hitzewelle in Europa aktuell mit dem Phänomen nichts zu tun hat.
Die Wechselwirkungen
zwischen dem Klimawandel und El Niño sollten wir möglicherweise stärker berücksichtigen. Daniela Domeisen sagt, global gesehen könne El Niño die Auswirkungen des Klimawandels entweder abschwächen oder verstärken: "Das Problem besteht hier hauptsächlich für Regionen, in denen sowohl der Klimawandel als auch El Niño ähnliche Auswirkungen haben und die beiden zusammen einen verstärkenden Effekt haben." Ein Beispiel sei aus ihrer Sicht das Absterben von Korallen durch die erhöhten Wassertemperaturen um Australien. Hier hätten sich beide Phänomene gegenseitig begünstigt.
Sebastian Sippel vom Institut für Metorologie an der Universität Leipzig erklärt, aus seiner Sicht erleben wir aktuell eine Kombination aus "natürlicher Variabilität im Klimasystem" (darunter fällt beispielsweise El Niño) und dem Klimawandel. Ihm sei es wichtig, darauf hinzuweisen, dass "die hohen globalen Temperaturen aus dem Zusammenspiel von Variabilität und Klimawandel resultieren – und nicht durch ein Phänomen alleine." In einer Studie im Journal nature konnten Sippel und seine Mitforschenden 2020 nachweisen, dass der Klimawandel trotz täglicher Wettervariabilität seit über zehn Jahren beeinflusst, welche Temperaturen wir an einem bestimmten Tag bekommen. Das bedeutet nicht, dass es nicht trotzdem noch kalte Tage geben kann – oder kalte, regnerische Sommerwochen. So wie aktuell. Aber der Klimawandel spielt quasi eine Rolle als Hintergrundvariable, die mit dynamischen Phänomenen wie El Niño zusammenspielt.
Mit Material des Science Media Center.
🗓 Klima-Termine
Seit Dienstag, 8. August – Sebnitz
Im Sebnitzer Rathaus ist noch bis Anfang September die Wanderaustellung Fairpachten zu sehen. Thema ist die Bedeutung einer abwechslungsreichen Kulturlandschaft sowie das Schwinden der Artenvielfalt. Infos hier.
Samstag, 12. August – Wernigerode
Von 20:30 Uhr bis 22 Uhr gibt es eine Fledermausexkursion für Kinder und Erwachsene. Voranmeldung ist erforderlich. Infos hier.
Sonntag, 13. August – Magdeburg
Im BUND-Ökogarten gibt es gleichermaßen zu lernen und zu tun: gießen, Ernte von Früchten und deren Nutzung, Verarbeitung und Lagerung, allgemeine Gartenpflege. Und Lagerfeuerromantik obendrein. Infos
Dienstag & Mittwoch, 15. & 16. August – Halle
Die Umweltbildungsstation des Peißnitzhaus e. V. bietet das so genannte Wald-Baden (japanisch shinrin yoku) an. Das ist ein gemeinsamer, bewusster, stiller Aufenthalt in einer Waldumgebung mit Achtsamkeitsübungen. Infos hier.
Sonnabend, 26. August – Leipzig
Ab zehn Uhr findet auf dem Leipziger Marktplatz die KlimaFAIR-Messe statt. Auf der Bühne geht es um Aspekte wie Klimaängste, Gesundheitsthemen oder die Wärmewende. Infos hier.
📰 Klimaforschung und Menschheit
Deutsche sind veganer Milch gegenüber vergleichsweise aufgeschlossen
Die Akzeptanz von Milchersatzprodukten hängt in europäischen Ländern von unterschiedlichen Faktoren ab. Das ergab eine Studie der Universität Hohenheim. Unter den untersuchten Ländern zeigte sich vor allem eine einzigartige Sichtweise aus Deutschland. Hier seien Tierwohl, Gesundheit und Umwelt ausschlaggebend, was das Land zu dem mit der höchsten Akzeptanz für Milchersatzprodukte macht. Soziale Normen und kulturelle Traditionen würden Deutsche hingegen weniger stark beeinflussen. Vor dem Hintergrund der französischen Käsereitradition stünden in Frankreich sensorische Eigenschaften und der Geschmack des Originals im Vordergrund. Ein ähnliches Bild zeige sich in Italien und Spanien. Mit steigender Vielfalt, besserem Geschmack und besserem Mundgefühl, steige auch das Kaufinteresse bei bisher nicht vollständig überzeugten Verbraucherinnen und Verbrauchern. So seien variantenreiche Produkte insbesondere in Frankreich und Italien entscheidend.
Der arktische Dorsch ist bedroht
Die Bestände des Polardorsches im arktischen Ozean sind laut Meeresforschern durch den von Menschen verursachten Klimawandel bedroht. Zu diesem Ergebnis ist ein internationales Studienteam gekommen, zu dem auch Forschende des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts gehören, teilte die Einrichtung mit. Der Polardorsch ist den Angaben zufolge der am häufigsten vorkommende Fisch im arktischen Ozean. Er sei die wichtige Nahrungsgrundlage für Meeressäuger und spiele auch bei der Selbstversorgung der einheimischen Inuit eine wichtige Rolle. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass dringend gehandelt werden muss, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die arktischen Polardorschbestände abzuschwächen", sagte der kanadische Studienerstautor Maxime Geoffroy. Die Veränderungen störten das empfindliche Gleichgewicht des gesamten arktischen Ökosystems.
Das Wissen indigener Völker könnte im Klimawandel helfen
Forschende der Autonomen Universität Barcelona fordern, im Umgang mit dem Klimawandel indigene Völker stärker einzubeziehen. Indigene Gruppen würden überall auf der Welt über ein reiches und umfassendes Allgemeinwissen zu den Auswirkungen des Klimawandels und mögliche Anpassungsmaßnahmen verfügen, so das Ergebnis eines Forschungsprojekts, bei dem 52 Fallstudien in indigenen und lokalen Gemeinschaften analysiert wurden. Die Ergebnisse zeigten, dass indigene Völker und lokale Gemeinschaften unverhältnismäßig stark vom Klimawandel betroffen seien, da sie oft in klimatischen Brennpunkten lebten und auf naturbasierte Lebensgrundlagen angewiesen sind. Der Klimawandel ist nur eine von mehreren Herausforderungen, mit denen sie im Rahmen der Umweltzerstörung konfrontiert seien, da sie aufgrund historischer und bestehender Ungleichheiten häufig an den Rand gedrängt würden.
📻 Klima in MDR und ARD
👋 Zum Schluss
Ob nach dem Hitze-Juli nun ein Hitze-August folgt? Es fällt mir zugegebenermaßen schwer, hier zu erklären, warum wir den Klimawandel ernst nehmen müssen, während das Wetter draußen eher durchwachsen ist. Mein erwähnter Besuch aus Italien berichtet allerdings von unvorstellbarer Hitze in Rom. Und vielleicht ist das ja der Punkt: Bis wir hier in Deutschland den Klimawandel so richtig spüren, wird es länger dauern als woanders. Wir können in diesem Punkt also nicht nur unserer eigenen Wahrnehmung vertrauen, sondern müssen uns auf die Aussagen von Forschenden und Menschen aus anderen Regionen der Erde verlassen. Und eigentlich haben wir auch guten Grund dazu, immerhin waren die meisten Prognosen zur Entwicklung des Klimawandels bislang ziemlich korrekt. Daniela Domeisen sagt, aus ihrer Sicht sollte das Warnung genug sein, den Klimawandel aktuell so stark wie möglich zu beschränken.
Haben Sie ein schönes Wochenende!
Inka Zimmermann
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