MDR KLIMA-UPDATE | 9. Dezember 2022 Wir brauchen Artenschutz und synthetische Pflanzen
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Ausgabe #68 vom Freitag, 9. Dezember 2022
23. Dezember 2022, 16:21 Uhr
Hallo zusammen,
als Menschheit müssen wir den Verlust der natürlichen Artenvielfalt stoppen - um selbst zu überleben und um uns ein gewaltiges Lern-Potenzial zu erhalten. Während sich gerade die Welt in Montreal trifft, um über einen größeren Schutz von Natur und Biodiversität zu sprechen, informieren wir Sie in dieser Woche über neue bionische Forschungen, also Technik-Entwicklungen, die von der Natur inspiriert sind.
In München zum Beispiel hat sich ein Netzwerk von Fraunhofer- und Max-Planck-Forschenden die chemisch-physikalischen Prozesse in Pflanzenzellen vorgenommen, mit denen Algen, Gräser, Bäume und Co. das CO2 in der Atmosphäre binden und aufspalten. Die Forschenden identifizierten zahlreiche Moleküle, die einzelne Spezies für diese Aufgabe bilden, beispielsweise Enzyme, die katalytische Funktionen haben.
Um den natürlichen Ablauf der Fotosynthese im Labor zu beschleunigen, simulierten die Wissenschaftler mit großer Rechenpower den Einsatz hunderter solcher Moleküle, immer auf der Suche nach technisch optimaleren Lösungen. Ein solcher Ansatz ist nur möglich, wenn es in der Natur immer noch eine große Bandbreite an Arten und damit auch an Strategien gibt, bestimmte Herausforderungen zu bewältigen. Unter anderem deshalb ist es wichtig, dass sich die Politiker am Ende der Konferenz auf die wichtigste Forderung einigen können.
Zahl der Woche:
30
… mal 30 lautet die wichtigste Formel der gerade laufenden UN-Artenschutzkonferenz in Montreal. Das beschreibt die Forderung von Naturschützerinnen und Wissenschaftlerinnen, weltweit bis 2030 jeweils 30 Prozent der Meere und Landflächen unter Naturschutz zu stellen. In der "Frankfurter Erklärung" rufen Institute und Forscherinnen aus Deutschland die hiesige Politik und Wirtschaft dazu auf, sich auf verbindliche Regeln zu einigen, mit denen der Raubbau an Wäldern, Landflächen und Ozeanen und ihre Verschmutzung gestoppt werden kann. Zu den Unterzeichnenden zählt auch die Biodiversitätsforscherin Katrin Böning-Gaese, die im Sommer ihre Verzweiflung im MDR WISSEN-Gespräch zum Ausdruck brachte. Die ungebremste Übernutzung der natürlichen Ressourcen habe einen die Menschheit bedrohenden Verlust von Biodiversität in Gang gesetzt, der mindestens so gefährlich sei wie der Klimawandel, heißt es in dem Papier. Die Erklärung kann noch mit gezeichnet werden.
Künstliche Pflanzen könnten Energie und chemische Grundstoffe liefern
Die natürliche Evolution hat oft zu erstaunlich eleganten Lösungen für komplizierteste Aufgaben geführt. Die von Menschen eingesetzte Elektrolyse beispielsweise kann Wasserstoff bislang nur unter hohen Energieverlusten herstellen. Auch der Abbau des Treibhausgases CO2 gelingt nur mit massivem Energieeinsatz. Pflanzen dagegen benötigen nur Luft, Wasser, Licht und etwas Zeit dafür.
Deshalb werden bionische Ansätze immer populärer, bei denen Forschende analysieren, wie Tiere oder Pflanzen bestimmte Herausforderungen bewältigen und dieses Wissen dann in ihrer eigenen Entwicklungsarbeit einsetzen. Die pflanzliche Fähigkeit zur Fotosynthese ist aktuell eines der Felder, auf denen sehr viel geforscht wird.
Thomas Hannappel und seine Mitarbeiter an der TU Ilmenau beispielsweise entwickeln sogenannte künstliche Blätter. Das sind Halbleiter, ähnlich den bereits weit verbreiteten Photovoltaik-Zellen. Die Blätter haben aber wie Pflanzen auch mehrere Schichten, die nacheinander verschiedene Teile des Sonnenlichts aufnehmen. Eine erste Schicht absorbiert das hochenergetische blaue Licht und eine zweite das langwellige rote Licht. So entsteht in der sogenannten Tandemzelle eine höhere Spannung als in der gewöhnlichen Solarzelle.
Wasserstoffproduktion ohne Umwege
Diese hohe Spannung nutzen die Ingenieure, um Wasser in seine Bestandteile Wasser- und Sauerstoff zu spalten. Das künstliche Blatt ist dabei so konstruiert, dass das eine Gas auf der einen und das andere auf der andere austritt. Der Vorteil dieser Lösung gegenüber der Elektrolyse: Das Licht muss nicht erst in Strom umgewandelt werden, mit dessen Hilfe dann das Wasser gespalten wird, sondern die Wasserstoffproduktion läuft direkt ab.
Fast 20 Prozent Effizienz erreichen die Forscher so aktuell im Labor. Das bedeutet, der hergestellte Wasserstoff liefert bei der Verbrennung 20 Prozent der Energie, die zuvor im Sonnenlicht enthalten war. Bei der Elektrolyse erreichen manche handelsüblichen Anlagen zwar bereits 60 bis 70 Prozent Effizienz. Doch dieser Wert muss nach unten korrigiert werden, wenn man die Erzeugung des benötigten Stroms mit PV-Anlagen einrechnet und Verluste bei der Umwandlung der Energie berücksichtigt.
Zehn bis fünfzehn Jahre könnte es dauern, bis das künstliche Blatt marktreif ist, schätzt Hannappel vorsichtig. Voraussetzung dafür ist, dass die Forschung weiter eine hohe Priorität genießt und mit den nötigen Geldern ausgestattet wird. Ein zusätzlicher Vorteil: Viele der benötigten technischen Lösungen für das künstliche Blatt würden auch auf anderen Feldern weiterhelfen, der solaren Stromerzeugung etwa oder der Speicherung in Batterien.
Synthetische Fotosynthese
Auch Tobias Erb und Michael Richter haben sich Pflanzen zum Vorbild genommen, wie Erb in einer Hörsaal-Sendung von Deutschlandfunk Nova berichtet. Der Biologe und der Chemiker haben mit vielen weiteren Kollegen den Prozess der Fotosynthese mit Molekülen nachgebaut, die verschiedenen Organismen entstammten. Dafür hatten die Forschenden am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie und dem Fraunhofer Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik zunächst nach den richtigen Molekülen gesucht und später den Prozess mit künstlicher Intelligenz optimiert. Nun können sie zumindest im Reagenzglas einen Teil der Fotosynthese nachstellen. Eines Tages könnten diese Erkenntnisse die Grundlage bilden für völlig neue Produktionsansätze in der Chemie. Doch der Weg dahin ist noch weit.
Beiden Ansätzen ist gemein: Das Vorbild Natur hat die Inspiration zu vielversprechenden Forschungsansätzen geliefert, die den Weg in die Zukunft weisen.
🗓 Klima-Termine
Freitag, 9. Dezember – Salzwedel (Brietz)
Schnellentschlossene können Artenvielfalt in der Altmark erleben: Der BUND Sachsen-Anhalt lädt ab 14 Uhr zur Wanderung zum ehemaligen Tonabbaugebiet Brietzer Teiche und dem dortigen Feuchtlebensraum. In der Dämmerung gibt's mit etwas Glück auch Kraniche, Singschwäne oder Gänse zu beobachten. Infos und Anmeldung hier.
Sonntag, 11. Dezember – Halle
Das Forschungsboot "Make Science Halle" fährt zum letzten Mal in diesem Jahr auf Expedition und schippert nach Brachwitz. An Bord soll genascht werden mit "Zutaten der Zukunft", Spirulina, Buchweizen, Hanf und Insekten, und es werden Experimente durchgeführt. Auch für die Bootstour sollten sich Gäste anmelden.
Montag, 12. Dezember – Bitterfeld-Wolfen (Holzweissig)
Ab 18 Uhr gibt's im Rathaus Holzweißig die "Goitzsche-Wildnis" im Jahresrückblick durch eine Fotopräsentation zu erleben. Auf dem Programm steht ein Blick auf Erlebnisse, Veranstaltungen und Naturbeobachtungen im Jahr 2022. Schon ab 17 Uhr startet vor dem Rathaus ein Flohmarkt für den guten Zweck. Infos hier.
Dienstag, 13. Dezember – Borna-Gnandorf
Der Nabu-Zukunftsgarten ist nicht nur ein Ort, das naturnahe Gärtnern zu lernen – sondern auch ein Begegnungsort und Platz für Austausch zu Umwelt- und Naturthemen. Der Zukunftsgarten lädt ab 14 Uhr zum Adventscafé. Infos hier.
Donnerstag, 15. Dezember – Online
Shampoo, Flugreise & Co.: Was bringt das Label "klimaneutral"? Darum und um die Strategien und Denkmuster im Klimamanagement geht's im Online-Seminar von KLIMAlogics. Infos und Anmeldung hier.
📰 Klimaforschung und Menschheit
EU billigt Ultrakurzstrecken-Flugverbot in Frankreich
Dieser Vorschlag eines Bürgerklimarats wurde zuletzt von französischen und europäischen Flughäfen kritisiert, da er zu einer Wettbewerbsverzerrung führen würde. Betroffen sind Verbindungen, die in zweieinhalb Stunden mit dem Zug zu erreichen sind. Durch das schnelle TGV-Angebot in Frankreich können so Flüge von Paris nach Bordeaux oder Lyon vermieden werden. Die Europäische Kommission hat auch die bisher ausgenommene Ausdehnung auf Anschlussflüge gebilligt. Greenpeace geht das Verbot nicht weit genug, weil zu wenige Strecken betroffen seien. Hintergründe beim Kurier.
Beispielloser Boom erneuerbarer Energien Erwartet
Diese Prognose hat die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris veröffentlicht und begründet ihre Einschätzung mit den Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. In den kommenden Jahren werden so viele Kapazitäten geschaffen wie in den vergangenen zwanzig Jahren, sagte IEA-Generaldirektor Fatih Birol der FAZ. Der Anstieg der Kohleverstromung sei nur ein vorübergehendes Phänomen.
Einigung beim 49-Euro-Ticket
Der ursprünglich für den Jahresbeginn geplante "Nachfolger" des Neun-Euro-Tickets soll nun im April kommen, darauf haben sich Bund und Länder jetzt verständigt. Mit dem monatlich kündbaren Abo ist es dann möglich, alle Nahverkehrsangebote in Deutschland zum Pauschalpreis zu nutzen. Die 49 Euro gelten dabei als Einführungspreis, der Preisanpassungen nach oben und unten offenhält. Eine Zusammenfassung hat der Deutschlandfunk.
Sehr Warmer Herbst in Europa
Der November 2022 war der fünftwärmste in Europa. Das meldet der europäische Erdbeobachtungsdienst Copernicus und verweist auf besonders warme Temperaturen im Westen, Südosten und Nordosten des Kontinents. Die Durchschnittstemperatur lag dabei 1,2 Grad über dem Mittel. Weltweit waren es 0,2 Grad. Höhere Temperaturen entfielen nur auf die vergangenen Jahre: 2012 sowie 2015 bis 2021. Mit einem Grad über dem Durchschnitt war es Copernicus zufolge der drittwärmste Herbst in Europa. Klimamodelle sagen für den kommenden Winter ebenfalls einen milden Verlauf voraus.
📻 Klima in MDR und ARD
👋 Zum Schluss
Heute habe ich noch einen Energiespartipp für Sie: Duschen Sie kalt! Ich mache das seit einigen Wochen auch im Winter und gebe zu: Zu Beginn hat es mich etwas Überwindung gekostet, aber dann hatte ich mich schnell daran gewöhnt. Kalt duschen hat viele Vorteile:
- Die Energieeinsparung ist tatsächlich nennenswert. Durch einen sparsamen Duschkopf fließen 10 Liter Wasser pro Minute. Bei einer fünfminütigen Dusche kommt man rasch auf 50 Liter Wasser. 50 Liter Wasser auf 50 bis 60 Grad zu erwärmen kostet viel Energie.
- Haut und Haare profitieren, denn sie trocknen bei kaltem Wasser weniger aus.
- Auch das Immunsystem wird durch die Kälte angeregt.
Einen längeren Erfahrungsbericht zum Verzicht auf heiße Duschen gibt es hier. Und was es bringt, gar nicht mehr zu duschen, erfahren Sie in unserem Podcast Meine Challenge hier:
Einen schönen dritten Advent wünscht
Clemens Haug
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Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.