6. IPCC-Sachstandsbericht Weltklimarat: Ambitionierter Klimaschutz und Anpassung müssen sofort Hand in Hand gehen
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28. Februar 2022, 12:00 Uhr
Es gibt noch Handlungsspielraum. Aber nur, wenn wir Anpassung und Minimierung der Folgen des Klimawandels konsequenter zusammendenken. Das ist die Kernbotschaft des zweiten von drei Weltklima-Teilberichten, der jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Klar ist: Der Klimawandel betrifft auch uns in Europa – Lebensräume müssen wir künftig umdenken.
Müssen wir noch erwähnen, dass es eben nicht fünf vor Zwölf, sondern dreißig Sekunden vor Zwölf ist? Der Weltklimarat wird nicht müde, das zu betonen. Mit ihrem Beitrag ergänzt die Arbeitsgruppe II des IPCC den wissenschaftlichen Ist-Zustand, der im vergangenen Sommer in seiner bereits sechsten Ausgabe veröffentlicht wurde. Seit 1990 erscheinen die Sachstandsberichte – so eindringlich wie die aktuelle Ausgabe war freilich noch keine. Expertinnen und Experten gehen dabei nicht nur auf die mehr oder weniger bekannten, allerdings nach wie vor von Vielen deutlich unterschätzten Folgen der Erderwärmung ein und beschreiben, wie Schadensbegrenzung zu betreiben wäre. Genauso häufig fällt eine Vokabel, die als die zweite Säule im Umgang mit dem Klimawandel gesehen werden kann: Anpassung.
Das ist die Situation, in der wir uns befinden. Der Klimawandel ist nicht aufzuhalten. Allerdings gibt es in dieser Dekade noch Spielraum, die Weichen so zu stellen, dass eine globale Erwärmung um 1,5 Grad nicht überschritten wird. Gleichzeitig wird die Menschheit lernen müssen, mit der Erderwärmung umzugehen. "Ambitionierter Klimaschutz und Anpassung müssen Hand in Hand gehen", so der Ökologe und Klimaforscher Hans-Otto Pörtner, Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe II des 6. IPCC-Sachstandsberichts. Klima- und Umweltschutz würden zu oft in, wie er sagt, unabhängigen Silos gedacht. Aber auch die Biodiversitätskrise – Stichwort Artensterben – geht mit dem Klimawandel Hand in Hand. "Dieses Denken ist in der Politik noch nicht so richtig angekommen", sagte er bei einem Briefing des Science Media Centers.
Gut acht Milliarden Menschen leben derzeit auf der Erde. 3,3 bis 3,6 Milliarden gelten dem Bericht zufolge als besonders verwundbar. Dazu zählen Länder in West-, Zentral- und Ostafrika, aber auch Gebiete in Asien sowie Mittel- und Südamerika. So bestehe in Westafrika ein bedrohliches Zusammenspiel zwischen Armut, erheblicher Verstädterung und dem fehlenden Zugang zu Infrastruktur, betont Jörn Birkmann, Raumplaner an der Uni Stuttgart und Mitautor des Berichts.
Klimawandel: Kein Problem des globalen Südens
Die Folgen des Klimawandels sind aber kein Problem des globalen Südens, sondern betreffen Menschen überall auf dem Planeten, auch in Europa. Diesen inzwischen bekannten Umstand unterstreicht die Tatsache, dass sich Europa stärker als der globale Durchschnitt erwärmt. Aber: "Es gibt Möglichkeiten, sich daran anzupassen und etwas zu tun." Für Daniela Schmidt, Paläobiologin im britischen Bristol und Mitautorin des Berichts, ist das eine positive Nachricht. So könne Nord- und Mitteleuropa von Südeuropa den Umgang mit Hitze lernen. Positiv sei zuletzt auch die gegenseitige Unterstützung europäischer Regionen bei Dürre gewesen, um Preissteigerungen bei Lebensmitteln entgegen zu wirken.
Welche Räume müssen wir aufgeben?
Schmidt zufolge müssen wir uns in Zukunft auch Gedanken darüber machen, wo wir heute und morgen überhaupt leben können. Und darüber, welche Räume wir aufgeben und wo wir investieren. Ein sensibles Thema, gerade im Hinblick auf von der Erhöhung des Meeresspiegels besonders betroffene Inselstaaten. Ein Beispiel dafür ist aber auch die Strategie der Niederlande, in denen beträchtliche Landesteile bekanntermaßen unterhalb des Meeresspiegels liegen: Statt das Land vom Meer abzuschotten, verfolgt man dort zunehmend die Politik, das Wasser willkommen zu heißen. Dazu zählt auch das Konzept, auf dem Wasser zu leben. Eine solche transformative Anpassung sei zum Beispiel im Nordosten von Amsterdam zu beobachten.
Wenn wir Städte verändern, müssen wir auf die Leute hören, die dort leben.
Klar ist aber, dass es Anpassungsgrenzen gibt. Schließlich kann man nicht steigenden Temperaturen immer weiter nur mit Klimaanlagen begegnen, denn die brauchen Energie – Energie, die nicht unbegrenzt verfügbar ist und nach Möglichkeit aus erneuerbaren Quellen stammen muss. Außerdem sind die Anpassungschancen und die Möglichkeiten, den Folgen des Klimawandels zu begegnen, nicht überall auf der Welt gleich. So wurden für das Ahrtal in zwei Wochen dreißig Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, betont Raumplaner Jörn Birkmann. "Das kann man für Afghanistan nicht erwarten."
Grüne Städte, und zwar überall
Unseren Städten stehe Birkmann zufolge ein größerer Umbau bevor, da Hitze hier ein großes Thema sein werde. Viele der betroffenen urbanen Räume liegen im globalen Norden. Dennoch seien die Herausforderungen in Bangladesch größer als in Europa. Das Thema grüne Städte, die an die Bedingungen der Erderwärmung angepasst sind, ihr aber auch gleichzeitig entgegenwirken, wird künftig mehr Raum einnehmen – sollte es zumindest dringend. Paläobiologin Schmidt betont in diesen Zusammenhang aber: "Wenn wir Städte verändern, müssen wir auf die Leute hören, die dort leben." Und Maßnahmen an spezifische Bedingungen anpassen. Soll heißen: Wunderschöne grüne Stadtteile bringen nichts, wenn sich die lokale Bevölkerung die nicht mehr leisten kann.
Wenn man dem zweiten Beitrag zum 6. IPCC-Sachstandsbericht etwas Positives abgewinnen möchte, dann ist es die Nachricht, dass es noch Handlungsspielräume gibt und dass es nicht wenige sind. Dringlicher denn je steht dabei im Vordergrund: Dieser Spielraum wird kleiner und enger, je mehr Zeit wir verlieren. Für Ende März wird der dritte und finale Beitrag zum 6. Sachstandsbericht erwartet. Stichwort dann: Folgen des Klimawandels. Ende März ist es aber schon neunundzwanzig Sekunden vor Zwölf.
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