Illustration - Gestresster Mann versteckt sich unter dem Bürotisch.
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Psychologie-Studie Uni Halle Hochstapler-Phänomen: Wann merken sie, dass ich nichts kann?

11. Juni 2022, 15:00 Uhr

Menschen, die am Hochstapler-Phänomen, oder Imposter-Syndrom, leiden, werten ihre eigene Leistung grundsätzlich extrem ab und glauben oft, dass Erfolge nur Zufall sind. Forschende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg haben das Phänomen nun unter realen Prüfungssituationen untersucht und festgestellt, dass es unabhängig von Geschlecht, Alter und tatsächlicher Intelligenz auftritt.

Tom Hanks, Michelle Obama, Lady Gaga und ich – was haben wir gemeinsam? Auf den ersten Blick, nicht die Bohne! Beim zweiten Hinsehen aber doch etwas, das unser aller Leben ziemlich beeinflusst. Wir alle haben mit dem Hochstapler-Phänomen bzw. dem Imposter-Syndrom zu kämpfen – nur, dass ich keine extreme Berühmtheit bin. Aber klammern wir diese Tatsache doch einfach mal kurz aus.

Das war doch alles nur Glück

Betroffene des Imposter-Syndroms stellen ihre eigenen Fähigkeiten permanent in Frage und hegen trotz guter Leistungen, etwa gute Noten oder positives Feedback am Arbeitsplatz, permanent Selbstzweifel. "Eigene Erfolge schreiben sie externen Umständen zu, dass sie etwa Glück hatten oder ihre Leistung von anderen massiv überschätzt wird", erklärt Kay Brauer vom Institut für Psychologie der MLU.

Diese Art über sich zu denken und damit zu leben, kostet unglaublich viel Kraft. Permanent sind wir darauf bedacht, den Schein zu wahren. Gedanken wie: "Hoffentlich fällt niemandem auf, dass ich eigentlich nichts kann und hier völlig fehl am Platz bin" oder "Bitte hört auf, dieses Ergebnis zu loben, das war doch alles nur Glück" sind tägliche Begleiter. Ich persönlich zucke innerlich zusammen, wenn jemand in der Konferenz meinen Namen erwähnt, weil ich befürchte, dass gleich jemand eine formvollendete Powerpoint-Präsentation über meine begangenen Fehler aus dem Hut zaubert. Das führt dazu, dass wir sehr viel Energie aufwenden, Fehler unter allen Umständen zu vermeiden – alles um möglichst nicht in den Fokus zu rücken und entlarvt zu werden … anstrengend.

Test unter realen Prüfungsbedingen

Bisher wurde die Ausprägung dieses Persönlichkeitsmerkmals nur in sogenannten Vignettenstudien untersucht. "Dabei wird ermittelt, wie stark die Probanden verschiedenen theoretischen Aussagen zustimmen, dass es ihnen zum Beispiel schwerfällt, Lob entgegenzunehmen, oder dass sie Angst haben, Erreichtes nicht wiederholen zu können", erklärt Brauer. Das war den Psychologen aus Halle aber nicht genug. Sie wollten wissen, wie sich das Hochstapler-Phänomen bei Probanden unter realen Prüfungssituationen zeigt und ob es einen Zusammenhang zur tatsächlichen Intelligenz der Probanden und Probandinnen gibt.

Dafür mussten die 76 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Reihe von Intelligenzaufgaben erfüllen. Gleich im Anschluss an jede Aufgabe erhielten sie über den Monitor ein positives Feedback, unabhängig von ihrer tatsächlichen Leistung. Danach wurden sie gefragt worauf ihr positives Ergebnis zurückzuführen ist. Zwei unterschiedliche Feststellung konnten die Forschenden durch die Studie machen. Zum einen: Der Grad des selbstberichteten Imposter-Syndroms steht in keinem Zusammenhang mit ihrer gemessenen Intelligenz. Zum Zweiten: Es bestätigte sich die Annahme, dass Menschen mit Neigung zum Hochstapler-Phänomen ihre objektiv gemessenen Leistungen überdurchschnittlich stark abwerten und positive Ergebnisse externen Ursachen wie Zufall oder Glück zuschreiben. Die eigene Leistung hat ihrer Ansicht nach damit nicht viel zu tun.

Die Rolle der Attributionsstile

Wie Menschen die Ursachen von Ergebnissen individuell bewerten, lässt sich an sogenannten Attributionsstilen ablesen. Dabei gibt es drei Dimensionen: Internalität, Stabilität und Globalität. Die Internalität beschreibt, wer oder was für ein Ergebnis verantwortlich ist. Das reicht von externen Zuschreibungen wie etwa Glück und Zufall bis hin zu internen Zuschreibungen wie zum Beispiel Fähigkeiten. Die Stabilität zeigt an, ob jemand diese Ursache über andere Situationen hinweg als stabil betrachtet. Das heißt, glaubt ein Mensch, dass ein erneutes positives Ergebnis in einer anderen Situation auch wieder nur Zufall war, oder könnten dieses Mal vielleicht die eigenen Fähigkeiten dazu beigetragen haben. Die Globalität zeigt an, ob sich eine Ursache auf eine bestimmte Situation auswirkt oder über Bereiche hinweg verallgemeinert. Diese Attributionsstile hängen davon ab, ob ein Ergebnis positiv (also ein Erfolg) oder negativ (ein Misserfolg) ist.

Bei Menschen mit negativem Attributionsstil zeigt sich das wie folgt:  Passiert ihnen etwas Gutes, haben sie Erfolg, dann hängt das nicht mit der eigenen Person, sondern mit Zufall und Glück zusammen. Passiert ihnen aber etwas Schlechtes, oder haben sie Misserfolge zu verzeichnen, beziehen sie dieses Ergebnis auf sich selbst und ihre Leistungen.

Willkommen in meinem Kopf! Die gute Note in der Arbeit – ach, gute Aufgabenstellung, leichter Stoff, der Stift hat quasi auch wie von selbst geschrieben und die Klimaanlage war wirklich gut eingestellt. Die Tatsache, dass die Nähte der Outdoor-Jacke schon beim ersten Regen aufgeben haben -–was kann der Hersteller dafür, wäre ich bei Sauwetter halt drinnen geblieben.

Natürlich ist das jetzt etwas überspitzt dargestellt, aber so in etwa läuft die Bewertung aller möglichen Ereignisse in meinem Leben ab. Bei psychisch angepassten Menschen ist übrigens das gegenteilige Muster zu beobachten.

Sind Sie eine Hochstapler-Persönlichkeit?

Hier ist der Schnell-Check der IKK classic. Je mehr Aussagen Sie zustimmen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, vom Hochstapler-Phänomen betroffen zu sein:

- Ich bin nicht gut genug.
- Ich freue mich nur kurz über Erfolg – wenn überhaupt.
- Ich habe ständig Angst, dass jemand meine Unfähigkeit aufdeckt.
- Ich bitte selten oder nie um Hilfe
- Ich mag keine Komplimente.
- Ich denke mein Umfeld überschätzt mich.
- Ich lege großen Wert darauf, was andere Leute denken.

Na, können Sie auch die meisten Aussagen für sich unterschreiben? Damit sind sie nicht allein. Die Psychologen Jaruwan Sakulku und James Alexander analysierten 2011 den aktuellen Forschungsstand in Bezug auf das Hochstapler-Phänomen und kamen zu dem Schluss, dass 70 Prozent aller Menschen mindestens einmal in ihrem Leben Bekanntschaft mit diesem Phänomen machen.

Selbstzweifel nicht als Krankheit anerkannt

Und obwohl sich so viele Menschen mit dem Hochstapler-Phänomen identifizieren können, ist diese Form der extremen Selbstzweifel nicht im weltweit anerkannten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen (ICD) als Krankheit gelistet. Deshalb sprechen die meisten Forschenden auch ungern vom Hochstapler-Syndrom, sondern eher vom Phänomen oder dem Hochstapler-Selbstkonzept. Und das, obwohl es durchaus schwere gesundheitliche Folgen haben kann: Dauerstress, Schlafstörungen, Bluthochdruck. Aber auch Depressionen und Burnout können die Folge sein. Hier können Coachings und Psychotherapie hilfreich sein.

Mit ihren Studien-Ergebnissen wollten die Forschenden der Martin-Luther-Universiät Halle-Wittenberg deshalb auch zukünftige Forschungen ermutigen, die sich damit beschäftigen, ob und wie bestimmte Therapien bzw. Interventionen, die auf die Veränderung der Attributionsstile abzielen, das Hochstapler-Phänomen der Menschen beeinflussen können.

Und falls sich jetzt noch jemand fragt, wie es sich anfühlt, diesen Text zu schreiben und an meinen Redakteur zu schicken: Ich möchte mich unter meinem Schreibtisch verstecken und ausharren bis Gras über die Sache gewachsen ist.

PS des verantwortlichen Redakteurs: Guter Artikel, Glück gehabt!
gp

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