Zehn Jahre Higgs-Boson Was die Welt im Innersten zusammenhält

17. April 2024, 14:52 Uhr

Seit 1966 hat es seinen Namen – aber nachweisen konnte man es lange nicht. Umso größer war deshalb die Freude bei den Forschern am CERN in Genf, als sie 2012 ein Teilchen aufspüren konnten, das so elementar für unsere Vorstellung von der Welt ist, wie nur möglich: Das Higgs-Boson. Nun feiern Forschende das zehnjährige Jubiläum der Entdeckung.

Schon vor einem halben Jahrhundert arbeiteten Forscherinnen und Forscher an einer umfassenden Theorie, die erklären sollte, welche Elementarteilchen es gibt und wie sie miteinander reagieren. Ein Modell, dass diese Wechselwirkungen erklären sollte, wurde entwickelt: Das Standardmodell der Teilchenphysik. Dieses Modell entstand in mehreren Schritten zwischen 1961 und 1973 und beschreibt, aus welchen subatomaren Kleinstteilchen unser Universum besteht – und wie sie sich untereinander verhalten.

Die tiefste Erkenntis über Materie, die wir haben

Das klingt erst einmal unspektakulär, aber möglicherweise ist dieses Standardmodell der Teilchenphysik die wichtigste und tiefste Erkenntnis, die wir Menschen bisher hatten, wenn es darum geht, Entstehung, Aufbau und Verhalten der Materie in unserem Universum zu beschreiben. Es besteht aus 13 Elementarteilchen, darunter beispielsweise das Photon, das Lichtteilchen – oder die Quarks, die kleinsten Bestandteile, aus denen Protonen und Neutronen im Atomkern aufgebaut sind.

Das Higgs-Feld ist der Quantensirup, der unsere Welt ausfüllt

Ein existenzieller Teil des Modells ist das sogenannte Higgs-Feld. Es gibt dem Universum seine Masse. Man kann sich das vorstellen wie eine Art "Quantensirup“, der unsere Welt ausfüllt – ungefähr so, wie Wasser, das einen Swimmingpool füllt. Wenn sich Teilchen in diesem "Pool“ des Higgs-Feldes bewegen, entstehen Schwingungen und dabei entstehen wiederum Higgs-Teilchen. Lassen sich diese Teilchen nachweisen, so lässt sich damit auch ein relevanter Abschnitt des Standardmodells belegen. Deshalb haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lange fiberhaft nach dem Higgs-Teilchen gesucht.

Entdeckung am 4. Juli 2012

Am 4. Juli 2012 verkündete dann der damalige Generaldirektor des CERN, Rolf Heuer: "Wir haben eine Entdeckung: Wir haben ein Teilchen gefunden, das konsistent mit dem Higgs-Boson ist." Tausende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hatten nach mehreren Jahrzehnten Suche den Nachweis für das besondere Teilchen gefunden, das es bis dato nur als Theorie gab. Und zwar mithilfe des gigantischen Teilchenbeschleunigers Large Hadron Collider (LHC).

Higgs-Boson, Large Hadron Collider
Der Large Hadron Collider steht im Europäischen Forschungszentrum CERN. Bildrechte: imago images/CSP_Weisman

Das ist der Large Hadron Collider Der Large Hadron Collider ist ein Teilchenbeschleuniger am CERN. Er hat einen Umfang von 24 Kilometern und liegt 100 Meter unter der Erde. In der Anlage werden Protonen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und schließlich zur Kollision gebracht. Dadurch zerfallen sie in ihre Bestandteile, die noch winzigeren Elementarteilchen, aus denen das Universum aufgebaut ist.
Die Forscher am CERN in der Nähe des schweizerischen Genf wollen so das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik überprüfen und seine Schwachstellen aufdecken. Dazu simuliert der Beschleuniger Bedingungen, wie sie den Theorien zufolge im frühen Universum vor fast 14 Milliarden Jahren geherrscht haben müssen.

Arno Straessner
Prof. Dr. Arno Straessner forscht an der TU Dresden. Bildrechte: privat

Prof. Arno Straessner ist Gruppenleiter der Professur für Experimentelle Teilchenphysik am Institut für Kern- und Teilchenphysik der TU Dresden.
Er war damals mit einer Arbeitsgruppe an den Forschungen beteiligt, nachdem das Higgs-Teilchen entdeckt wurde und forscht auch heute noch zum Thema. Der Nachweis des Teilchens war für ihn "ein fantastisches Ergebnis und ein Durchbruch in der Teilchenphysik, weil in vielen früheren Experimenten danach gesucht wurde, aber man das Teilchen nicht fand".

Für Higgs gab's einen Nobelpreis

Dass man das Higgs-Boson tatsächlich fand, war ein wichtiger Grundstein für unser Verständnis von Masse und Materie. Im Folgejahr, 2013, ging deshalb auch der Nobelpreis für Physik an Fancois Englert und Peter Higgs, die das Teilchen schon in den 1960ern vorausgesagt hatten. Und heute? Ist das Higgs-Boson immer noch interessant. Arno Straessner sagt: "Wir haben schon viele Eigenschaften des Higgs-Teilchens gemessen, die mit dem Standardmodell der Teilchenphysik übereinstimmen. Aber vieles ist auch noch offen!"

Feiern zum 10 Jahre-Higgs-Jubiläum

An der TU Dresden gibt es am Montag, den 4. Juli Vorträge zur Geschichte und Zukunft des Higgs-Bosons. Ab 17 Uhr in der Zentralbibliothek der SLUB, Zellescher Weg 18, 01069 Dresden (Klemperer Saal, 1.OG). Bundesweit nehmen viele Institute und Universitäten das Jubiläum zum Anlass für Vorträge und Themenschwerpunkte. Infos dazu gibt's unter higgs10.de.

Forschen auf dreifacher Stufe

Und die Zukunft der Forschung am Higgs-Teilchen hält tatsächlich noch einiges bereit: Ab 2029 soll der LHC mit dreifacher Intensität laufen, das bedeutet mehr Protonen, die stärker fokussiert werden. Das erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, neue Wechselwirkungen des Higgs-Bosons beobachten zu können. Denn hier gibt es noch ein paar spannende Theorien, die fortwährend getestet werden: 2018 beispielsweise gelang es, den Zerfall eines Higgs-Bosons in zwei Bottom-Quarks nachzuweisen – ebenfalls ein neuer Beweis für die Validität des Standardmodells der Teilchenphysik.

Eine Abweichung wäre auch mal schön gewesen

Bis 2039 soll das LHC voraussichtlich auf dreifacher Intensität laufen – der Teilchendetektor der Anlage wird übrigens fortwährend an der TU Dresden verbessert. Was in diesen zehn Jahren herauskommt, könnte unser Verständnis von der Materie verstetigen – oder grundlegend in Frage stellen: Arno Straessner sagt: "Eigentlich hätte ich mir gewünscht, dass man auch mal eine Abweichung findet, statt das Standardmodell nur immer wieder neu zu bestätigen.“

Denn es gibt immer noch ein paar Fragen der Teilchenphysik, auf die das Standardmodell keine Antworten gibt. Beispielsweise, wenn es um dunkle Materie geht – hier könnte etwa die Entdeckung von supersymmetrischen Teilchen für einen Durchbruch sorgen. Supersymmetrie besagt, dass alle Teilchen eine Art Kopie haben – Teilchen, die ebenfalls mit dem LHC gefunden werden könnten.

Arno Straessner gibt zu: "Ich hätte 50 Euro, vielleicht sogar 100 gewettet, dass wie die supersymmetrischen Teilchen entdecken, weil es dafür große Anzeichen gab. Aber seit fast 15 Jahren wurde keines dieser Teilchen entdeckt – das bringt auch die Theorie ins Schwitzen, denn wenn diese Teilchen bislang noch nicht mit dem LHC gefunden wurden, bedeutet das, dass sie erst bei sehr hohen Energien entstehen. Und damit sind auch die einfachen Erweiterungen des Standardmodells der Teilchenphysik nicht mehr möglich."

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Es bleibt spannend

Was die Welt also wirklich "im Innersten zusammenhält“ ist nach wie vor noch nicht abschließend geklärt. Und auch das Standardmodell der Teilchenphysik lässt noch immer Fragen offen. Fragen, an denen in den kommenden Jahren immer weitergeforscht wird. Sollten die Forschenden dabei beispielsweise auf supersymmetrische Teilchen stoßen, wäre das ein genauso sensationeller Fund wie einst das Higgs-Boson. Genau zehn Jahre nach der Entdeckung erscheinen am 4. Juli übrigens wieder zwei neue Studien zum Higgs-Teilchen im Magazin Nature.

Links/Studien

Auf den Seiten des CERN gibt es immer wieder interessante Updates zum Higgs-Boson.

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