Eine spekakuläre Aufnahme des Carina-Nebels der europäischen Südsternwarte. Der Nebel ist ein großeses Stern-Entstehungsgebiet in rund 8000 Lichtjahren Entfernung von der Erde.
Eine spekakuläre Aufnahme des Carina-Nebels durch die europäische Südsternwarte. Der Nebel ist ein großes Stern-Entstehungsgebiet in rund 8.000 Lichtjahren Entfernung von der Erde. Bildrechte: ESO

Dunkle Energie statt Schwerkraft Deutsche Forscher greifen Standardmodell der Kosmologie an

29. April 2020, 14:00 Uhr

Wie sind Materie und Energie im Universum verteilt? Forscher haben das mit Gravitationslinseneffekten berechnet. Ihre Daten weichen deutlich vom bisherigen Stand ab. Hat Einsteins Relativitätstheorie einen Fehler?

Wie sind Materie und Energie im Universum verteilt? Einigermaßen gleich? Oder gibt es große Klumpen, die viel mehr Masse enthalten, als andere Regionen? Das ist eine der zentralen Fragen der Kosmologie. Antworten darauf würden mehr Hinweise liefern, wie der Urknall abgelaufen ist und ob Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie lückenlos stimmt – oder nicht.

Dass es möglicherweise einen Fehler in der Theorie und damit im sogenannten Standardmodell der Kosmologie gibt, darauf liefert jetzt die Arbeitsgruppe für Beobachtende Kosmologie von Hendrik Hildebrandt von der Ruhr-Universität Bochum neue Hinweise.

Schwarze Löcher und Galaxien verzerren das Licht dahinter liegender Objekte

Üblicherweise berechnen Forscher die Masseverteilung im Universum anhand des kosmischen Mikrowellenhintergrunds. Diese Strahlung gilt als Nachschwingen des Urknalls und verrät laut Theorie, wie die Masse im frühen Universum verteilt war. Sie ist überall im Universum gleichermaßen zu messen.

Hildebrandts Forschungsgruppe hat jetzt einen anderen Weg gewählt. Wie die Wissenschaftler im Journal "Astronomy and Astrophysics" berichten, haben sie systematisch Effekte von sogenannten Graviationslinsen ausgewertet.

Sehr schwere Objekte, massereiche Schwarze Löcher oder auch ganze Galaxien, verbiegen den Raum um sie herum und lenken so auch das Licht ab. Dadurch kann es passieren, dass das Licht von einer fernen Galaxie auf dem Weg zur Erde etwa an einem Schwarzen Loch vorbei muss und dabei verzerrt wird. Die beobachtete Galaxie scheint also eine andere, als ihre tatsächliche Form zu haben, in etwa als würde man sie von weitem durch eine Lupe betrachten. Auch scheint ihre Position von der tatsächlichen abzuweichen. Aber wie können Forscher auf der Erde das feststellen?

Farbe von Galaxien verrät, wie weit sie entfernt sind

Die Bochumer Forscher haben zunächst Modelle zur Hand genommen, wie durchschnittliche Galaxien je nach Typ eigentlich aussehen. Dann haben sie in einer komplexen Statistik berechnet, wie groß die Abweichungen von diesen Formen bei Millionen von Galaxien sind. So bekamen sie einen Hinweis auf die Effekte der Graviationslinsen und damit der Masse, die diese Effekte auslösen.

Ein weiteres Problem ist die Entfernung, sagt Hildebrandt. "Wir sehen aber immer nur ein zweidimensionales Bild vom Himmel, also können wir schwer abschätzen, wie weit Objekte in der Tiefe entfernt sind." Hinweise darauf erlaubt die Farbe von Objekten, da sogenannte Doppler-Effekte entstehen, wenn ein Objekt weiter weg ist von der Erde und sich entfernt. Dann erscheint eine Galaxie beispielsweise eher rot.

"Diese Messungen funktionieren besonders gut, wenn man Daten aus dem infraroten Bereich einbezieht", sagt Hendrik Hildebrandt. Diese Art der Auswertung hat seine Gruppe bereits im Projekt "Kilo-Degree Survey" erprobt und damit Aufsehen in der kosmologischen Community erregt.

Daten weichen systematisch ab – Standardmodell falsch?

Denn die Daten der Bochumer Forscher weichen systematisch von den bisherigen Studien auf Basis der Mikrowellenmessung ab. Die Masse scheint anders im Universum verteilt zu sein, als bisher angenommen. Ursache für diese Unterschiede könnte natürlich ein grundlegender Fehler bei der Datenauswertung sein, räumt Hildebrandt ein. Es könne aber auch sein, dass das Standardmodell der Kosmologie daneben liege.

"Wir haben auch alternative Modelle zur Interpretation genutzt und tatsächlich eines gefunden, dass unsere Daten und die der Mikrowellenhintergrund-Messungen in Einklang bringt", sagt der Physiker. Da wo Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie Schwerkraft als Konstante ansetzt, haben die Bochumer Forscher dunkle Energie eingefügt. Der Vorteil: Die Energie verändert ihre Zustände im zeitlichen Verlauf der Universums.

Damit wäre erklärbar, warum die mit Hilfe der Mikrowellen ermittelte Verteilung direkt nach dem Urknall abweicht von der Verteilung im viel späteren Universum, wie sie die Bochumer mit der Graviationslinsen-Methode errechnet haben.

Wissenschaftliche Revolution möglich

Laut Hendrik Hildebrandt ist es aber noch zu früh, das Standardmodell zu verwerfen. Es gebe nach wie vor eine einprozentige Chance, dass die Daten aus dem "Kilo-Degree Survey" mit den bisherigen aus dem Planck-Konsortium vereinbar seien. Das werde eine neue Datenauswertung zeigen. "Es kann aber auch sein, dass wir mit unseren neuen Daten eine Revolution auslösen werden", sagt Hildebrandt. Die Ergebnisse werden im Juni erwartet.

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