Grünes Wunder? Sanierungspflicht der EU: Werden Mieterinnen und Mieter ausreichend geschützt?
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11. September 2023, 15:12 Uhr
36 Prozent des CO2 in der EU – so groß ist der Anteil, der jedes Jahr durch Wohnen und Heizen verursacht wird. Daher steht fest: Ein klimaneutrales Europa braucht klimaneutrale Gebäude. Die EU will dieses Ziel mit einer Sanierungspflicht für Haus- und Wohnungseigentümer erreichen. Schon bis 2030 sollen Millionen Wohnungen allein in Deutschland saniert werden. Doch werden Mieterinnen und Mieter dabei ausreichend geschützt?
Carolin Pollmann* wohnt gerne in ihrer Mietwohnung aus den 1950er Jahren. Ihr Wohnzimmer hoch über der Leipziger Südvorstadt ist hell und gemütlich. Weiße Gardinen vor den dünnen Glasfenstern lassen das Sonnenlicht durch. Als sie uns dort zum Interview trifft, dringen die Geräusche einer Eisdiele von der Straße herauf. Es ist Sommer. Die antik aussehende Heizung an der Wand ist für die nächsten Monate ausgeschaltet.
Doch was in der warmen Jahreszeit romantischer Charme ist, ist im Winter ein Problem: Carolin Pollmanns Wohnung ist noch nie saniert worden. Sie hat dünne Wände, schlecht isolierte Fenster und die jahrzehntealte Heizung. Einige der Nachbarn heizen sogar noch mit Kohle. "Außer ein paar Wasserleitungen ist hier seit dem Bau nichts mehr gemacht worden", sagt Pollmann. Für sie bedeutet das hohe Gasrechnungen. Für die Allgemeinheit heißt es, dass Wohnungen wie die von Pollmann dem Klima schaden.
Mehr CO2 als durch Verkehr und Industrie zusammen
Tatsächlich gehen in der EU jedes Jahr 36 Prozent des ausgestoßenen CO2 auf Gebäude zurück – mehr als Verkehr und Industrie gemeinsam verursachen. Saniert wird jedes Jahr aber gerade einmal ein Prozent der Gebäude. Deshalb will die EU nun eine radikale Maßnahme ergreifen: eine Sanierungspflicht. Nach den aktuellen Plänen wären schon bis 2030 allein in Deutschland mindestens 2,9 Millionen Wohngebäude betroffen. Geht es nach dem Europäischen Parlament, könnten es sogar noch deutlich mehr werden.
Auch Carolin Pollmanns Wohnung soll bald saniert werden. Zwar ist der Grund für die Sanierung in diesem Fall nicht das neue EU-Gesetz, denn die kommunale Wohnungsgesellschaft LWB in Leipzig, der das Haus gehört, hat die Sanierung eigenständig beschlossen. Doch was auf Pollmann zukommt, wird durch das neue Gesetz noch sehr viel mehr Menschen betreffen. Gegen eine häufige Konsequenz von Sanierungen setzen sich Pollmann und ihre Nachbarinnen und Nachbarn schon jetzt zur Wehr: teurere Mieten.
Anna Wolff ist Referentin für Wohnungs- und Mietpolitik beim Deutschen Mieterbund. Sie steht Sanierungen grundsätzlich positiv gegenüber: "Es ist wirklich wichtig, dass im Gebäudebestand was passiert." Der Gebäudesektor verfehle seit Jahren die Klimaziele und bisherige Gesetze fokussierte sich vor allem auf Neubauten. Im geplanten Gesetz ist es genau andersherum: Es konzentriert sich auf den Bestand – und schreibt vor, dass die schlechtesten Gebäude zuerst saniert werden müssen.
In der Vergangenheit wurden Klimaschutz und Sozialverträglichkeit häufig gegeneinander ausgespielt
Praktisch daran ist, dass sich auf diese Weise schnell viel CO2 sparen lässt. Doch Anna Wolff vom Deutschen Mieterbund weist auch auf ein Risiko hin: "Man weiß, dass Haushalte mit unterem Einkommen häufiger in energetisch schlechten Gebäuden wohnen", sagt sie. Möglichen negativen Folgen durch die Sanierungen – etwa steigenden Mieten – sind diese Menschen dann tendenziell schneller ausgesetzt als Wohlhabendere. Es sei daher besonders wichtig, dass das Gesetz mit sozialen Maßnahmen einhergehe.
"Wir haben in der Vergangenheit häufig erlebt, dass Klimaschutz und Sozialverträglichkeit gegeneinander ausgespielt wurden", sagt Wolff. "Aus unserer Sicht ist es aber zentral, dass das zusammengedacht wird."
Vermieterinnen und Vermieter können Kosten durchgeben
Carolin Pollmann sieht das genauso. "Grundsätzlich habe ich Verständnis dafür, dass saniert werden soll", sagt sie. "Ich sehe die Mängel." Gleichzeitig machten sie und ihre Nachbarn sich aber Sorgen um die finanziellen Folgen der Sanierung.
Was die EU an sozialen Maßnahmen in ihrem Gesetz plant, ist derzeit noch nicht klar. Zum einen wird die finale Version des Gesetzes derzeit noch in Brüssel verhandelt. Zum anderen kann die EU den Mitgliedsstaaten aber auch nur gewisse Vorschriften machen. Über die genaue Umsetzung entscheidet jedes Land selbst.
In Deutschland ist es derzeit die Modernisierungsumlage, die regelt, was Mieterinnen und Mieter nach einer Sanierung zahlen müssen. Danach können Vermieterinnen und Vermieter jedes Jahr bis zu acht Prozent der Sanierungskosten auf die Mieterinnen und Mieter umlegen, maximal zwischen zwei und drei Euro pro Quadratmeter. Das wird auch für Carolin Pollmann und ihre Nachbarn gelten.
Wir fordern schon lange eine Abschaffung der Modernisierungsumlage.
Im neuen Heizungsgesetz, das die Bundesregierung im September verabschieden will, soll die Modernisierungsumlage um eine weitere, leicht abgewandelte Umlage speziell für einen Heizungstausch ergänzt werden. Die beinhaltet zum Beispiel einen zusätzlichen Anreiz, Förderungen zu beantragen. Die alte Modernisierungsumlage wird aber wie bisher bestehen bleiben. Ob sie im Zuge des neuen EU-Gesetzes erneut reformiert werden soll, ist aktuell nicht bekannt.
Anna Wolff und der Deutsche Mieterbund kritisieren die Modernisierungsumlage. "Wir fordern schon lange eine Abschaffung oder zumindest eine deutliche Absenkung der Modernisierungsumlage", sagt Wolff. "Wenn jetzt eine Sanierungspflicht kommt und die Modernisierungsumlage so bleibt, wie sie ist, wäre das sicher nicht im Sinne des Ziels, soziale und ökologische Belange zusammen zu denken. Denn dann käme es wahrscheinlich zu Mieterhöhungen."
Verantwortung gegenüber Mieterinnen und Mietern
So wird es auch bei Carolin Pollmann und ihren Nachbarn sein. Demnächst heißt es für sie erst einmal: Umzugskisten packen. Damit das Haus saniert werden kann, soll sie diesen Herbst in eine Ersatzwohnung ziehen, die ihr die LWB zugesichert hat. Ist die Sanierung irgendwann abgeschlossen, könne sie wieder zurückziehen. Ihre Miete wird dann um zwei Euro pro Quadratmeter steigen, wie es die Modernisierungsumlage in diesem Fall vorsieht. Für sie wäre das kein Problem, sagt Pollmann. Sie sagt aber auch: "Einige meiner Nachbarn sind auf jeden Euro angewiesen."
Und ein noch größeres Problem gibt es aus Pollmanns Sicht: Die Wohnungen im Haus, die aktuell leer stehen und dann neue Mieterinnen und Mieter bekommen, werden nach der Sanierung noch deutlich mehr kosten. Pollmann sagt, die LWB habe von einem "zweistelligen Quadratmeterpreis" für die Kaltmiete in diesen Wohnungen gesprochen. Andere Wohnungen in der Südvorstadt, die durch die LWB saniert wurden, kosten jetzt 11,50 und zwölf Euro pro Quadratmeter kalt. Wie viel das ist, zeigt der regionale Vergleich: Laut einer Bürgerbefragung durch die Stadt Leipzig von 2022 zahlen die Leipziger durchschnittlich eine Kaltmiete von 6,60 pro Quadratmeter. In Dresden zahlt man durchschnittlich 7,06 Euro.
Wenn wir mehr Experten an den Tisch holen, die sonst nicht miteinander sprechen, gibt es vielleicht neue Lösungen.
Pollmann sagt: "Das sehe ich absolut nicht im Einklang mit der Verantwortung, die die LWB gegenüber Mietern und dem Viertel hat." Sie verstünde, dass die städtische Gesellschaft Geld verdienen müsse, auch um die Kosten zu decken. So hohe Preise würden jedoch dazu führen, dass sich nur noch wenige Menschen die Wohnungen leisten können. Gerade weil die LWB eine kommunale Wohnungsgesellschaft ist – die nach ihrer Idee eigentlich Wohnraum für alle Schichten bereitstellen soll – findet Carolin das falsch.
Anna Wolff vom Deutschen Mieterbund sagt, ideal wäre es, wenn nach einer Sanierung für Mietende eine sogenannte Warmmietenneutralität erreicht werde. Die Miete steigt dabei nach einer Sanierung nur um etwa den Betrag an, den die Mieterin oder der Mieter durch sinkende Energiekosten spart. Die Modernisierungsumlage sei dafür in der jetzigen Form jedoch nicht geeignet. Das hat auch eine Studie im Auftrag des Deutschen Mieterbundes ergeben. Um Warmmietenneutralität zu erreichen, bräuchte es künftig also andere Regelungen oder mehr staatliche Förderung.
Forderungen an die Stadt
Carolin Pollmann und die Hausgemeinschaft ergreifen zunächst selbst die Initiative: Unter dem Motto "Südvorstadt für alle" haben sie eine Petition zu ihrer Sanierung gestartet. Ihre Forderung an die Stadt Leipzig, der die Wohnungsgesellschaft LWB gehört: Auch nach der Sanierung soll die Kaltmiete in den betroffenen Häusern nicht höher als 6,50 Euro pro Quadratmeter liegen. Unterschrieben haben bisher gut 2.000 Menschen. Die LWB äußerte sich trotz mehrmaliger MDR-Anfrage nicht zur Petition oder den geplanten Mietpreisen.
Ein günstiger Preis von 6,50 Euro in einer neu sanierten Wohnung ist keine geringe Forderung. Das weiß auch Carolin Pollmann. Wie es funktionieren soll? Es soll ein Versuch sein, sagt Pollmann. Die Petition will, dass die Sanierung ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt wird, in dem ausprobiert wird, wie Sanierungen kostengünstiger und trotzdem nachhaltig geschehen können. "Wir hoffen einfach, wenn wir mehr Experten an den Tisch holen, die sonst nicht miteinander sprechen, dass es dann neue Lösungen gibt."
*Name von der Redaktion geändert
Korrektur-Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die LWB sei eine kommunale Wohungsgenossenschaft. Sie hat allerdings die Rechtsform einer GmbH, ist daher eine kommunale Wohnungsgesellschaft. Das haben wir korrigiert.
Crossborder Journalism Campus Dieser Beitrag entstand im Rahmen von "Crossborder Journalism Campus", einem Erasmus+-Projekt der Universität Leipzig, der Universität Göteborg und des Centre de Formation des Journalistes in Paris.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 05. September 2023 | 14:00 Uhr