300 Millionen Tonnen Biomasse Kennen Sie das häufigste Tier der Welt?
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16. August 2020, 08:00 Uhr
Wissen Sie, welches Tier am häufigsten auf diesem Globus vorkommt? Ne, die Mücke ist es nicht, auch wenn es sich im Sommer so anfühlt. Es ist der Fadenwurm. Ohne ihn wäre unser Globus um 300 Millionen Tonnen leichter, haben Forscher jetzt herausgefunden. Dieses winzige Würmchen hat es geschafft, diesen Rekord aufzustellen und noch mehr: Der Fadenwurm soll sogar den Klimawandel beeinflussen.
Sie sehen ganz harmlos aus. Würmchen, so dünn wie ein Faden, nicht länger als drei Millimeter und leicht zu übersehen. Sie sind viel graziler und noch kleiner als eine Made und wenn man sie genauer betrachten will, dann geht das nur unterm Mikroskop. So sieht man dann furchteinflößende Mäuler mit Stiletten, Speeren und große Zähne, je nachdem was der Fadenwurm frisst. Denn es gibt unzählige Arten, erklärt Dr. Karin Hohberg. Sie war an der neuen Studie beteiligt, die im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlicht wurde: "Also da gibt es Bakterienfresser, es gibt Pilzfresser, es gibt Algenfresser, es gibt räuberische Fadenwürmer, es gibt auch die wurzelanstechenden Fadenwürmer, die sich von Wurzelsäften ernähren. Und das kann man ganz gut an den Mundstrukturen der Fadenwürmer festmachen."
57 Millionen Fadenwürmer pro Mensch
Durch diese Vielfalt haben sie es vielleicht geschafft, so erfolgreich zu sein. Denn die Studie ergab: Auf einen Menschen kommen 57 Millionen Fadenwürmchen, oder Nematoden, so die wissenschaftliche Bezeichnung. Und das ist Weltrekord, wenn man mal Bakterien oder andere Einzeller außen vor lässt. Diese Zahl ist für Biologen ein großer Erfolg, denn sie wissen noch nicht, wie viele kleine Lebewesen auf diesem Globus tatsächlich existieren.
Maximal 2,5 Prozent der Arten beschrieben
Antworten auf solche Fragen zu finden, gehört zur täglichen Arbeit von Prof. Nico Eisenhauer vom iDiv, dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung: "Es gibt Tabellen, die können wir uns gerne im Buch anschauen ..." Nico Eisenhauer erforscht, wie Pflanzen und Tiere untereinander agieren, sich unterstützen oder schaden. Dafür muss er wissen, wie viele, wo leben: "...da haben wir es auch direkt. Da sehen wir hier, dass von den geschätzten 400.000 Pflanzenarten weltweit ungefähr 88 Prozent beschrieben sind. Wenn wir dann in den Boden schauen, sehen wir, dass bei Regenwürmern vermutlich nur 23 Prozent der Arten beschrieben sind und je kleiner die Organismen werden, desto geringer wird die Zahl. Bei Nematoden sind wir zwischen 0,2 und 2,5 Prozent."
Nematoden-Forschung in Görlitz
Da nur so wenige Arten bisher beschrieben wurden, zählten die Wissenschaftler einfach nur die Tiere und kümmerten sich nicht darum, zu welcher Nematoden-Art sie gehören. Karin Hohberg erforscht sie am Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz und erläutert, wie sie aus dem Boden gelockt werden: "Also wir entnehmen Bodenkerne, meistens mit einem Bodenstechwerkzeug, dass einen runden Ausschnitt hat, dass wir dann am Boden ansetzen und bis in fünf oder zehn Zentimeter versenken. Dann wird das Gerät ein bisschen gedreht, dann ziehen wir das raus und haben so einen zylindrischen Bodenkern, den wir entnehmen und aus dem wir die Fadenwürmer erst einmal heraus bekommen müssen."
Würmchenzählen aus 7.000 Bodenproben
Die Würmchen brauchen Feuchtigkeit und das machen sich die Forscher zunutze. Sie lassen die Bodenproben im Labor über einem Wasserbecken austrocknen, die Fadenwürmer kriechen heraus und lassen sich ins Wasser fallen, wo sie dann gezählt werden. So wurden aus beinahe 7.000 Bodenproben aus allen Kontinenten die kleinen Würmchen herausgelockt und gezählt. Doch wozu diese Zählerei? Wen interessiert die relative Zahl der Nematoden, verglichen mit allen anderen Lebewesen?
Dazu hat nochmal Nico Eisenhauer etwas zu sagen: "Über den Boden ist noch sehr wenig bekannt. Der wird in der Literatur als Black Box bezeichnet, als irgendetwas, wovon wir nicht viel wissen. Das heißt, wir wissen noch nicht, wie viele Arten wir im Boden haben. Und was wir überhaupt nicht wissen, ist, wie diese Arten miteinander interagieren. Und diese Wechselwirkungen sind die wichtigen Prozesse, die dann Funktionen antreiben wie Kohlenstoffspeicherung, Nährstoffrückführung usw.."
Verantwortlich für Humusbildung
"Und in dem Projekt ging es vor allem um die Biomassen im Boden, die ja dann wiederum Nahrungsgrundlage für größere Tiere, und Berechnungsgrundlage für Nährstoffkreisläufe und Kohlestoffflüsse, darstellen", bestätigt Nematoden-Expertin Hohberg die Aussage. Denn diese winzigen Tierchen sind an der Humusbildung beteiligt. Ohne Humus wachsen keine Pflanzen und wir haben nichts zu essen. Es ist also wichtig zu versehen, wie sie leben und wie viele es von ihnen gibt. Auch wenn es sein kann, das in einem Jahr eine andere Art entdeckt wird, die noch häufiger vorkommt, da ja die Datenlage noch so lückenhaft ist.
Einfluss auf CO2-Austausch
In der Studie wurde noch ein zweiter Aspekt beleuchtet: der CO2-Austausch vom Boden in die Atmosphäre. Auch da haben die kleinen Tierchen, laut Studie, ein Wörtchen mitzureden, erklärt Hohberg: "Das war überraschend, weil anders als die oberirdisch lebenden Tiergemeinschaften sind tatsächlich die Zahlen am höchsten, nicht etwa am Äquator, wie das bei den oberirdischen Tieren der Fall ist, sondern in subarktischen Gebieten, wie den borealen Wäldern und Tundren Nordamerikas, Skandinaviens und Russlands."
Die meisten leben in der Subarktis
Das heißt, Nematoden halten richtig viel Kälte aus. Die Forscher vermuten, dass sie da in einer Art Starre warten, bis es wärmer wird. Mit steigenden Temperaturen legen sie wieder los, fressen Pflanzenteile, verstoffwechseln sie und setzten so CO2 frei. "Und das hat dann wiederum die Konsequenz, dass, wenn jetzt im Klimawandels die subarktischen Böden länger im Jahr nicht gefroren sind, also warm sind, dass dann auch tatsächlich die Abbauraten in diesen Böden steigen und damit auch der CO2-Ausstoß in diesem Boden steigt", erklärt Hohberg.
Wie viel mehr CO2 Nematoden dann freisetzen, wissen die Forscher nicht. Aber sie zeigen mit ihrer Studie: Auch die kleinsten Tierchen haben bei den großen Geschicken unseres Planeten ein Wörtchen mitzureden. Ihre globale Verbreitung sollte deshalb in Klimamodelle mit einbezogen werden, um besser vorherzusehen, welche klimatischen Veränderungen auf uns zukommen.
Internationale Studie - hier nachlesen
An der Studie arbeitete ein internationales Team aus Forscherinnen und Forschern u.a. des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), der Universität Leipzig (UL), der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). Sie ist unter dem Titel "Blind spots in global soil biodiversity and ecosystem function research" im Fachjournal "Nature Communications" erschienen. Hier können Sie sie nachlesen.
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