Energiesparmaßnahmen Mitteldeutschland ist jetzt messbar dunkler — nur Erfurt strahlt wie eine behangene Nordmanntanne
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12. Dezember 2022, 10:57 Uhr
Die aktuelle Energiesparverordnung hat einen netten Nebeneffekt: Lichtemissionen und damit die Lichtverschmutzung werden reduziert. Den Einspareffekt kann man durchaus messen, wie uns ein Experte zeigt – auch in Mitteldeutschland. Außer in Erfurt, dort will die Stadt sogar noch einen drauflegen.
Für die einen mag das sanfte Rattern ein durchaus heimeliges Gefühl unterbreiten, das seinen Höhepunkt in einem lauten Klacken findet. Immer dann, wenn die Lichterkette jeden Tag gegen sechzehn Uhr dreißig das zu tun beginnt, wofür sie mal hergestellt wurde. Und beim nächsten Klacken ist’s Zeit, schlafen zu gehen. An Tagen, in denen die Homeoffice-Kultur noch nicht ganz vergessen ist, mag das zarte Rattern für die anderen im Umfeld der häuslichen Stille auch etwas Penetrantes haben. Oder zumindest Nervtötendes. Die Sache mit diesen mechanischen Zeitschaltuhren scheidet die Geister wahrscheinlich jedes Jahr aufs Neue – pünktlich zur Jahresausklangsbeleuchtung.
Da im Jahr 2022 die meisten Zeitschaltuhren nicht mehr rattern, sondern sogar eine Internetverbindung haben, müssen sich die Freunde der Stille nicht sorgen, dass in den aufkommenden festlichen Tagen ein nervtötendes Geräusch durch die Straßen geht. Zeitschaltuhren werden jetzt gebraucht, die Reklametafeln für den Festtagseinkauf haben dieses Jahr eine nächtliche Sendepause, so wie die Lichterkette seit Anbeginn in vielen Haushalten. Grund ist ein Wort, das prototypischer für deutsches Recht nicht sein könnte – und vor allem für die deutsche Sprache:
🎵 Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung 🎵
🎵 Kurzfristenergieversorgungs-sicherungsmaßnahmenverordnung 🎵
Diese 56 Zeichen in Nomen gegossene Gesetzgebungsfreude stehen seit 1. September für die Bestrebungen, Schwimmbäder näher an den Trend des Eisbadens zu bringen und Werbung im öffentlichen Raum dann auszuschalten, wenn sie ohnehin keine Konsuminteressierten erreicht – also mitten in der Nacht. (Weihnachtsdeko und solche für andere religiöse Feste darf an bleiben.)
Auf zur Spurensuche: Ist es jetzt wirklich dunkler?
Die Abkürzung für die Verordnung ist nicht viel einprägsamer als die Vokabel selbst – EnSikuMaV – aber was soll man machen. Diese EnSikuMaV zumindest hat möglicherweise seit Inkrafttreten einen ganz interessanten Nebeneffekt. Neben Treibhausgasen und Lärm ist Licht die dritte menschgemachte Emissionen und aus verschiedenen Gründen für unseren Planeten eher ungünstig. Möglicherweise trägt die EnSikuMaV zu einer Reduktion der Lichtverschmutzung bei. Finden wir’s raus.
Erstmal eine E-Mail an Christopher Kyba, der sich als Physiker am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam (GFZ) beruflich mit Lichtemissionen auseinandersetzt. Vielleicht kann er ja mit Blick auf seine Datenlage erkennen, ob es in Deutschland dunkler geworden ist. Die Antwort kommt prompt: "Normalerweise wäre ich bei der Interpretation der täglichen Satellitendaten sehr vorsichtig", warnt er. Bei der aktuellen Lage sei es aber anders, denn normalweise sehe man bei dieser Art von Daten in wohlhabenden Ländern nicht so oft schnelle großflächige Veränderungen wie jetzt (mit Ausnahme von Katastrophen). "Und wir sehen Veränderungen an vielen Orten, von denen wir wissen, dass die Lichter ausgegangen sind. Ich glaube also, dass die Veränderungen real sind."
Allein aus Sicht der Steuerzahlerinnen und -zahler ist dies natürlich sehr positiv, da dadurch Strom eingespart wird, welcher nach 22 Uhr ohnehin keinen Zweck gehabt hätte.
Für mehr Details verweist Christoph Kyba an die Paten der Nacht, eine gemeinnützige Organisation, die in Deutschland die Stimme für die Nacht erhebt, weil die Nacht selbst nicht sprechen kann. Und für alle Lebewesen, die auf die Dunkelheit angewiesen sind – also auch für den Menschen. Eine Anfrage später kommt prompt eine Rückmeldung vom sächsischen Zweig der Initiative. Sven Schöne ist eigentlich Elektroniker für Energie und Gebäudetechnik in Riesa – und nicht nur daran interessiert, dass Strom fließt, sondern auch, dass er mal abgeschaltet wird. Von den Städten Dresden, Chemnitz, Freiberg und Riesa hätte er bereits kurz nach Inkrafttreten der EnSikuMaV die Rückmeldung bekommen, dass die öffentliche Beleuchtung zurückgefahren werde.
Gemeint sind insbesondere Gebäudebeleuchtungen. "Allein aus Sicht der Steuerzahlerinnen und -zahler ist dies natürlich sehr positiv, da dadurch Strom eingespart wird, welcher nach 22 Uhr ohnehin keinen Zweck gehabt hätte", weil beleuchtete Gebäude nachts von zu wenig Menschen gesehen werden. Werbung eigentlich auch. "So vorbildlich wie Kommunen die Energiesparverordnung einhalten, so wenig Verbesserung sieht man bei Werbelogos, Plakattafeln, Schaufenster, Werbescreens." Aber so recht scheint die Einhaltung des Gesetzes mit dem entspannten Namen niemanden zu interessieren: "Eine Stichproben-Anfrage ergab, dass sich weder das Ordnungsamt, noch die Polizei dafür verantwortlich fühlt."
Satellitendaten zeigen nicht alles. Aber einiges.
Aber wenn zumindest bei Frauenkirche, City-Hochhaus, Hausmannstürmen und Dom in diesen Tagen in Mitteldeutschland das Licht früher ausgeht, müsste es doch immerhin einen messbaren Effekt geben. Die Expertise von René Curwy ist gefragt. Curwy, eigentlich Luft- und Raumfahrtingenieur in Berlin, ist bei den Paten der Nacht Experte für Geodaten. Seine ersten Worte dämpfen zunächst die Erwartungen: "Die Satellitendaten zeigen nur eine Aufnahme pro Nacht, so circa um zwei Uhr rum. Straßen- sowie Werbebeleuchtung sind nicht zu trennen." Klar. Licht ist Licht. Die Daten, auf die er sich bezieht, stammen vom amerikanischen Erdbeobachtungssatelliten Suomi NPP und dem dortigen VIIRS-Instrument. Das liefert Messungen der sogenannten Strahldichte auf der Erde, die praktischerweise gleich von Störquellen wie Schnee und Mondlicht befreit sind. Diese Daten kann René Curwy mit einer Auflösung von etwa einem Quadratkilometer auswerten.
Also dann: Stichprobenanalyse in der Region Dresden, dem zweitgrößten Ballungsraum in Mitteldeutschland. Auf Curwys Karte sind besonders lichtverschmutzte Gebiete in einem tiefen Rot dargestellt. Ein Vorher-Nachher-Vergleich schafft zumindest den Eindruck, dass das Rot in der Dresdner Innenstadt im Oktober 2022 etwas weniger ausgeprägt ist als im Oktober 2021. Zeigt die EnSikuMaV also schon Wirkung?
Mit ein bisschen Heranzoomen wird der Effekt besonders auf Höhe der Augustusbrücke sichtbar: Auf dem Verbindungsstück zwischen Altstadt und Innerer Neustadt ist es merklich dunkler geworden und das, obwohl Straßenbeleuchtung von der EnSikuMaV nicht betroffen ist. René Curwy vermutet einen Einfluss der umfangreichen Baumaßnahmen, die dort im vergangenen Jahr noch im Gange waren. "Ortskenntnis – zum Beispiel Zeiten der Abschaltung oder Dimmung – ist hilfreich oder mitunter unerlässlich", betont er, sonst läuft man Gefahr, die Karten falsch zu interpretieren. Merke: Baustellen machen Licht.
Aktualisierung für Dresden vom 2. Dezember 2022
Möglicherweise wird der Effekt für die Augustusbrücke für den Dezember nicht mehr so deutlich zu sehen sein. Wie OBM Dirk Hilbert (FDP) noch Ende November bekanntgab, habe er entschieden, dass die Augustusbrücke weihnachtlichen Lichtschmuck erhalten und auch angestrahlt werden solle. Als Grund wird ein inhaltlicher Zusammenhang mit dem Weihnachtsmarkt auf Neustädter Seite genannt. Von den Paten der Nacht wird dieses Handeln als "gesetzeswidrig" eingeordnet.
Zweite Stichprobe, jetzt dort, wo mutmaßlich in Mitteldeutschland am meisten Licht emittiert wird: im Ballungsraum Leipzig-Halle. Neben den 1,2 Millionen Menschen haben die Industrie in Leuna und die Logistik am nachtaktiven Flughafen ganz besonders viel Beleuchtungspotenzial. Ein Vergleich zwischen Oktober 2021 und 2022 zeigt einen hübschen Kontrast: Während es in den Großstädten Leipzig und Halle etwas dunkler geworden zu sein scheint, hat sich rund um Leuna und Flughafen wenig getan.
Ein paar Klicks (zwei, drei Häkchen hier, neuer Referenzrahmen da) und René Curwy präsentiert eine neue Karte. Die färbt Mitteldeutschland blau ein – und zwar dort, wo die Lichtemissionen zwischen den beiden Vergleichsmonaten abgenommen haben. Die blauen Flecken zeigen, dass hier ein gesamtmitteldeutscher Trend erkennbar ist, der einen ganz guten Eindruck vermittelt, dass es in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen tatsächlich dunkler geworden ist. Aber nicht überall: An den roten Stellen auf der Karte ist keine Abnahme, sondern eine Lichtzunahme zu verzeichnen. Möglicherweise war bei BMW in Leipzig, am benachbarten Flughafen und in den Industrien um Leuna und Bitterfeld-Wolfen pandemiebedingt vor einem Jahr weniger los.
Ein scharfer Blick offenbart noch weitere Auffälligkeiten. René Curwy vergrößert die Erfurter Altstadt auf ein komfortables Maß – und damit das Desaster, das sich für ihn dort darstellt. "In Erfurt sehen wir so gut wie keine Veränderung, der Oberbürgermeister hat angekündigt, Dom und Anger nicht abzuschalten – zuletzt hat die Beleuchtung sogar zugenommen." Das zeigt ein Blick auf die roten Flecken um die kleine Altstadt. Und auf die Kurve der Strahldichte, wie sie sich zwischen 2012 und 2022 entwickelt hat.
Für Curwy ist diese Kurve neben den bunten Farben auf der Karte ein wichtiges Instrument, weil nur so die aktuellen Werte in einem größeren Kontext interpretiert werden können. Oder anders gesagt: Würde die Strahldichte einer Berg- und Talfahrt über die Jahre gleichen, dann bringt ein Vergleich mit dem Vorjahr herzlich wenig.
In Erfurt zeigt aber nicht nur die Kurve stabile Lichtemissionswerte mit Trend nach oben, sondern auch ein Vorortbesuch. Bei einem Stadtrundgang sei das Ausmaß auch im realen Leben sichtbar. René Curwy öffnet ein Fotoalbum mit Eindrücken, die er erst kürzlich von einem Freund in der thüringischen Landeshauptstadt zugeschickt bekommen hat. Besonders für die Fülle an Bodenstrahlern habe er kein Verständnis. Ihr Licht falle senkrecht in den Himmel: "Als Fußgänger schaue ich vielleicht direkt in so einen Bodenstrahler, bin dadurch eine Zeit lang geblendet und in Folge dessen kommt mir dann die Straßenbeleuchtung zu dunkel vor."
Außer die Strahler sind von Bodenplatten überdeckt – auch solche Orte lassen sich finden. Energieverschwendung mal dahingestellt, wird so immerhin der Beitrag zur Lichtglocke reduziert. So nennen Lichtemissionsexpertinnen und -experten – analog zur Smog-Glocke – das, was nachts über einer Stadt aus Wolken und Beleuchtung entsteht. Vor allem durch ungenutztes Licht, das durch ineffiziente Beleuchtung direkt in den Himmel geht. In Erfurt ist sogar zu beobachten, wie Gebäude Schatten in den Nachthimmel werfen.
Für Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) sei das Festhalten an der Gebäudebeleuchtung "durchaus auch ein Zeichen dafür, dass wir uns nicht unterkriegen lassen". In Erfurt wird Stärke also mit Licht demonstriert, dann sind die Bodenstrahler vielleicht sowas wie thüringische Lichtschwerter. Für René Curwy und die Paten der Nacht läuten da weniger die Weihnachts- als die Alarmglocken: "Solche Aussagen sind vermutlich dann auch für Privat- und Geschäftsleute eher wenig motivierend, die eigene Beleuchtung nachts zu reduzieren, wenn es an entsprechender Vorbildwirkung seitens der Stadt Erfurt mangelt."
Erstmal den Augen eine Chance geben?
Die Stadt legt sogar noch einen drauf: Für 6.000 Euro jährlich soll die Anger-Beleuchtung statt bis Mitternacht fortan die ganze Nacht leuchten. Das sei gut angelegtes Geld, so der Sicherheits- und Umweltbeauftragte der Stadt, Andreas Horn, weil es das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger erhöhen würde. Die Lampen sollen zudem noch heller werden. Ob der Sicherheitsbeauftragte da seine Hausaufgaben gemacht hat? Eine kriminologische Studie aus dem März legt nahe, dass es keinen Zusammenhang zwischen Beleuchtung und erhöhter Kriminalität gibt. Zwar sagt das nichts über die gefühlte Sicherheit aus. Die müsse aber auch Raum haben, erstmal zu entstehen, betont Curwy. "Unsere Augen sind zu viel mehr in der Lage als wir glauben."
Permanente Beleuchtung und harte Beleuchtungskontraste würden unser Sehvermögen im Dunkeln aber erheblich schmälern. Abgesehen davon, steht im Gegensatz zur Effektbeleuchtung bei den aktuellen Energiesparmaßnahmen die Straßenbeleuchtung auch gar nicht an erster Stelle – obwohl es auch hier umweltverträglichere Konzepte gibt. Zum Beispiel Lampen, die das Licht nach oben hin abschirmen oder solche, die nur bei Bedarf aktiviert werden.
Den Wert der Dunkelheit haben Menschen spätestens dann erkannt, als sie neben der Zeitschaltuhr auch die Schlafmaske erfanden. Ein willkommenes Werkzeug für alle, die mal nachts versucht haben, in einem InterCity ein Auge zuzudrücken. Schade, dass die Wasserorganismen unter der Erfurter Krämerbrücke keine Schlafmasken haben. Vielleicht stellt ihnen die Stadt Erfurt (oder ihr Umweltbeauftragter) bald welche zur Verfügung, um der Investition in Zeitschaltuhren zu entgehen und ruhigen Gewissens an der nächtlichen Beleuchtung dieser Sehenswürdigkeit festzuhalten. Also eigentlich an der Beleuchtung des durchfließenden Wassers.
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