Ein Wikinger Krieger vor einer unter gehenden Sonne.
Barbarische Krieger oder frühe Kosmopoliten: Wer waren die Wikinger wirklich? Bildrechte: Colourbox

DNA-Analyse Nicht alle Wikinger stammten aus Skandinavien - und blond waren sie auch nicht

16. September 2020, 17:01 Uhr

Große, blonde Krieger, Piraten und Invasoren: So stellen wir uns bisher die Wikinger vor. Und die kommen natürlich aus Skandinavien! Oder doch nicht? Aktuelle DNA-Analysen legen nahe, dass die Geschichte doch etwas komplizierter ist: Denn nicht alle Wikinger waren Skandinavier und blondes Haar hatten wohl die wenigsten der "starken Männer".

Bisher glaubten wir, dass Wikinger brutale Räuber aus dem hohen Norden waren, die mit ihren Schiffen von Skandinavien aus die Meere bereisten, um auf ihrem Weg durch ganz Europa und darüber hinaus zu plündern, zu überfallen und zu kämpfen. Doch vielleicht vergessen Sie jetzt lieber wieder, was Sie über die Wikinger zu wissen glauben. Denn vieles davon stimmt gar nicht - die Geschichtsbücher müssen neu geschrieben werden.

Grund dafür ist die größte DNA-Analyse von Wikinger-Skeletten, die jemals gemacht wurde. Für das Forschungsprojekt sequenzierte das internationale Team das gesamte Genom von 442 Männern, Frauen, Kindern und Babys aus der Wikingerzeit anhand ihrer Zähne und Knochen. Die Wikingerskelette stammen aus archäologischen Stätten in ganz Europa und Grönland. Die Ergebnisse dieses riesigen Unterfangens sind im renommierten Fachmagazin Nature erschienen.

Tony Curtis (L) in einer Szene des Filmes - Die Wikinger (The Vikings) - mit Kirk Douglas
Filme wie "The Vikings" haben uns ein verzerrtes Bild der Wikinger vermittelt, sagen die Forschenden. Bildrechte: imago/Granata Images

Wir haben das Bild von gut vernetzten Wikingern, die sich miteinander vermischen, handeln und Überfälle machen, um gegen Könige in ganz Europa zu kämpfen, denn das sehen wir im Fernsehen und lesen es in Büchern. Aber zum ersten Mal haben wir genetisch gezeigt, dass diese Welt nicht so war.

Prof. Eske Willerslev, Universität Cambridge / Universität Kopenhagen

Die Studie offenbare jetzt erst, wer die Wikinger tatsächlich gewesen seien. Denn niemand hätte ahnen können, dass sie in ihren Genen signifikante Einflüsse von außerhalb hatten, sagt Willerslev. In ihnen stecke nämlich auch DNA aus Südeuropa und Asien, die vor und während der Wikingerzeit nach Skandinavien gekommen sein müsse.

Mehrheit war braun statt blond

Fans der blonden oder rothaarigen Kämpfer aus dem Norden dürften angesichts der Forschungsergebnisse etwas enttäuscht sein. Denn viele Wikinger sollen braune Haare gehabt haben und keinen Blondschopf. Tatsächlich habe die Forschung bis jetzt genetisch gar nicht gewusst, wie sie tatsächlich ausgesehen hätten, erklärte Willerslev.

Unsere Forschung entlarvt sogar das moderne Bild von Wikingern mit blonden Haaren. Viele von ihnen hatten braune Haare und wurden durch den genetischen Zustrom von außerhalb Skandinaviens beeinflusst.

Prof. Eske Willerslev, Universität Cambridge / Universität Kopenhagen

Künstlerische Darstellung eines blonden, weißen und eines dunkelhaarigen Wikingers in Rüstung im Inneren eines Schiffs.
So könnten die Wikinger tatsächlich ausgesehen haben. Bildrechte: Jim Lyngvild

Offenbar waren also schon vor der Wikingerzeit Menschen aus dem Süden Europas und aus Asien in die Gebiete der Wikinger eingewandert und hatten sich mit ihnen vermischt. Prof. Martin Sikora von der Universität Kopenhagen erläutert, dass die Ergebnisse zeigten, dass Wikinger nicht nur Skandinavier in ihrer genetischen Herkunft gewesen seien. Dass es aber Einflüsse in ihrer DNA aus Südeuropa und Asien geben könnte, habe zuvor niemand in Betracht gezogen. "Viele Wikinger haben sowohl innerhalb als auch außerhalb Skandinaviens ein hohes Maß an nicht-skandinavischer Abstammung", erklärt Sikora weiter. Das deute auf einen anhaltenden Genfluss in ganz Europa hin.

Wer waren die Wikinger?

Der Begriff Wikinger kommt vom skandinavischen Begriff "vikingr", was am ehesten mit "Pirat" übersetzt werden kann. Die Epoche der Wikinger zieht sich über einen Zeitraum von 800 n. Chr. - einige Jahre nach dem frühesten bekannten Überfall - bis in die 1050er-Jahre. Die Wikinger hatten entscheidenden Einfluss auf Politik und Genetik in Europa und darüber hinaus: Cnut der Große wurde der König von England, Leif Eriksson soll der erste Europäer gewesen sein, der Nordamerika erreichte - 500 Jahre vor Christoph Kolumbus - und Olaf Tryggvason wird zugeschrieben, das Christentum nach Norwegen gebracht zu haben. Bei vielen Expeditionen seien Klöster und Städte entlang der Küstensiedlungen Europas von den Wikingern überfallen worden, aber ihre eigentliches Ziel sei der Handel mit Waren wie Pelzen, Stoßzähnen und Robbenfett, schreibt das Forschungsteam.

Doch den Einflüssen aus dem Süden und Osten zum Trotz gebe es genetische Unterschiede zwischen verschiedenen Wikingerpopulationen in Skandinavien. Das zeige, dass die Gruppen in der Region weitaus isolierter lebten als bisher angenommen, erläutert Willerslev.

Die Reisen der Wikinger

Doch nicht alles in den Geschichtsbüchern muss umgeschrieben werden: Mit großen Schiffen auf Reisen durch die Meere waren die Wikinger tatsächlich.

Oseberg-Schiff der Wikinger
Nicht alles war anders: Mit ihren Schiffen haben die Wikinger tatsächlich andere Regionen überfallen - aber eben nicht nur. Bildrechte: imago/robertharding

Dabei schien die damalige Welt schon fast aufgeteilt gewesen zu sein: Zwar gab es damals noch keine Definiton von Skandinavien, aber bezogen auf die Gebiete der heutigen Länder konnten die Forschenden feststellen, dass die Wikinger aus dem heutigen Norwegen nach Irland, Schottland, Island und Grönland gereist sind. Die Wikinger aus dem heutigen Dänemark reisten nach England. Und Wikinger aus dem heutigen Schweden hatten es mit ihren rein männlichen "Überfallgruppen" auf das Baltikum abgesehen. Denn ein Klischee über die frühe Wikingerzeit stimmt wohl recht sicher: Sie überfielen andere Regionen und lieferten sich Kämpfe mit den dort ansässigen Menschen.

Wir haben die bisher größte DNA-Analyse von Wikinger-Überresten durchgeführt. Die Ergebnisse waren verblüffend und einige beantworteten langjährige historische Fragen und bestätigten frühere Annahmen, für die es an Beweisen mangelte.

Dr. Ashot Margaryan, Universität Kopenhagen

Die "Überfallkommandos" waren offenbar Clan-Sache: Die Analyse der DNA von den Überresten einer Bootsbestattung in Estland hätte etwa gezeigt, dass hier vier Wikingerbrüder am selben Tag gestorben sind, erläutert Erstautor Dr. Ashot Margaryan. "Der Rest der Insassen des Bootes war genetisch ähnlich, was darauf hindeutet, dass sie alle wahrscheinlich aus einer kleinen Stadt oder einem Dorf irgendwo in Schweden stammten."

Wikingergräber ohne Wikinger

Manch ein Geheimnis, das die Wikinger-DNA dem Forschungsteam verraten hat, ist wirklich überraschend: So konnten offenbar auch andere Menschen die Wikinger-Identiät annehmen.

Ein Grabfeld mit zahlreichen Skelettteilen, Knochen und Schädeln.
Ein Massengrab mit den Überresten von rund 50 Wikingern bei Dorset, Großbritannien. Einige dieser Überreste wurden für die DNA-Analyse verwendet. Bildrechte: Dorset County Council/Oxford Archaeology

Die Skelette in berühmten Wikinger-Grabstätten in Schottland etwa seien tatsächlich Einheimische gewesen, die aber als Wikinger begraben wurden - gemeinsam mit Schwertern und anderen Wikinger-Erinnerungsstücken. Die Analyse habe ergeben, dass genetisch piktische Menschen Wikinger waren, ohne sich jedoch auch genetisch mit ihnen zu vemischen. Die Pikten waren keltischsprachige Menschen, die während der späten britischen Eisenzeit und des frühen Mittelalters im heutigen Ost- und Nordschottland lebten.

In Orkney und Norwegen wurden Personen mit zwei genetisch britischen Eltern gefunden, die Wikinger bestattet hatten. Dies ist eine andere Seite der kulturellen Beziehung als das Überfallen und Plündern.

Dr. Daniel Lawson, Universität Bristol

Diese friedliche Seite der Wikinger ist tatsächlich bisher weniger stak beachtet worden. Doch Archäologie-Professor Søren Sindbæk vom Moesgaard Museum in Dänemark, der ebenfalls an der Studie beteiligt war, erklärte: "Die skandinavische Diaspora etablierte Handel und Siedlung vom amerikanischen Kontinent bis zur asiatischen Steppe."

Sie exportierten Ideen, Technologien, Sprache, Überzeugungen sowie Praktiken und entwickelten wichtige neue gesellschaftspolitische Strukturen.

Prof. Søren Sindbæk, Moesgaard Museum

Ein Stück im europäischen Gen-Puzzle

Das Skelett einer Frau liegt in einem offenen Erdgrab umrandet von Steinen.
Auch die DNA von einem weiblichen Skelett namens Kata, das an einer Wikinger-Grabstätte in Varnhem, Schweden, gefunden wurde, wurde im Rahmen der Studie sequenziert. Bildrechte: Västergötlands Museum

So spannend all die Erkenntnisse über das Leben und Wirken der Wikinger auch sein mögen, weist Fernando Racimo von der Universität Kopenhagen auch darauf hin, dass die DNA-Analyse auch eine große Bedeutung für die europäische Genforschung habe. Der Datensatz sei wertvoll für die Untersuchung der komplexen Merkmale und der natürlichen Selektion in der Vergangenheit. Es sei das erste Mal, dass man die Entwicklung von Gen-Varianten bei natürlicher Selektion in den letzten 2.000 Jahren der europäischen Geschichte detailliert betrachten könne.

Die Wikinger-Genome ermöglichen es uns, die Selektion vor, während und nach der Wikinger-Zeit in ganz Europa zu entwirren, was einen Einfluss auf Gene hat, die für wichtige Eigenschaften wie Immunität, Pigmentierung oder Stoffwechsel zuständig sind.

Dr. Fernando Racimo, Universität Kopenhagen

Und Racimo ergänzt: "Wir können jetzt auch anfangen, auf die physische Erscheinung der alten Wikinger zu schließen und sie mit den heutigen Skandinaviern zu vergleichen." Denn in ihnen steckt heute noch das genetische Erbe der Wikingerzeit: Zehn Prozent der Schweden soll noch Wikinger-DNA in ihren Genen haben. Doch auch die Briten haben den Einfluss bis heute im Genom. In Großbritannien betrifft das dem Forschungsteam zufolge schätzungsweise sechs Prozent der Bevölkerung.

(kie)

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