Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung 100 Kläranlagen, 30 Millionen Menschen: Corona-Überwachung im Abwasser läuft

12. Mai 2020, 14:27 Uhr

Leipziger Umweltforscher haben das Abwasser an insgesamt 20 Kläranlagen in Deutschland auf Sars-CoV-2 getestet. Jetzt wird das Verfahren zur Entdeckung von Corona-Infektionen auf ganz Deutschland ausgeweitet.

Update 13.11.

Praxistest in 100 Kläranlagen

Nachdem die Forscher des UFZ von Mai bis Oktober die Verfahren getestet haben, läuft jetzt die praktische Umsetzung. Bis Anfang Dezember wollen die Wissenschaftler in 100 Kläranlagen die Virus-Konzentrationen im Abwasser von circa 30 Millionen Menschen systematisch erfassen. Die Ergebnisse können sie dann anhand von Modellrechnungen mit den Covid-19- Entwicklungen der jeweiligen Regionen vergleichen.

Update 19. Juni

Abwasseruntersuchung: Coronavirus in Italien schon seit Dezember

Das Coronavirus ist in Italien offenbar schon viel länger aktiv als bislang angenommen. Der Erreger Sars-CoV-2 sei in Abwässern der beiden norditalienischen Städte Mailand und Turin vom Dezember nachgewiesen worden, hieß es in einer Stellungnahme des nationalen Gesundheitsinstituts ISS. Offiziell wurde durch die Tests infizierter Personen das Coronavirus in Italien erst Mitte Februar festgestellt.

Klärwerksbecken 5 min
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Eine der wichtigsten Fragen in der Corona-Krise ist: Wie viele Infektionen bleiben eigentlich unentdeckt? Denn dass es eine solche Dunkelziffer von Corona-Infizierten gibt, ist sicher. Bei jedem fünften bleibt eine Ansteckung ohne sichtbare Symptome, bei vielen weiteren löst Sars-CoV-2 nur eine milde Erkrankung aus, die sich mitunter kaum von einer Erkältung unterscheidet.

Forscher vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig haben einen neuen Ansatz, wie sich die Zahl der unentdeckten Corona-Fälle genauer abschätzen lässt. Sie wollen das Abwasser in 20 Kläranlagen in Deutschland auf Rückstände der Corona-Viren testen. Dazu hat das UFZ ein Team organisiert, das aus mehr als 20 Abwasserfachleuten, Mikrobiologen, Virologen und Modellierern des UFZ, der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und der TU Dresden besteht. An dem Projekt beteiligen sich unter anderem die Städte Köln, Leipzig, Dresden und der Wasserverband Eifel-Ruhr.

Vorbild Niederlande – Projekt in Deutschland soll größer werden

Ein solches Abwasserscreening wurde bereits häufiger genutzt, um etwa den Konsum verbotener Drogen abzuschätzen, oder um zu überprüfen, wie weit Impfschutzmaßnahmen gegen Polio funktionieren. In den Niederlanden hatten Wissenschaftler bereits im Februar die neuen Coronaviren anhand ihres Erbguts im Abwasser von sechs Kläranlagen nachgewiesen. Darunter war auch eine Anlage am internationalen Flughafen von Schiphol.

Große Kläranlagen enspr. Einwohnerdichte über Deutschland verteilt. Ein Abwassermonitoring könnte Infektionsherde bundesweit früh quantitativ, örtlich differenziert und in zeitlichem Verlauf erfassen
Die schwarzen Punkte zeigen die großen Kläranlagen, an denen Abwasser auf Corona getestet werden könnte. Blau eingefärbt ist die Zahl der Corona-Infizierten pro Landkreis am 29. April. Bildrechte: UFZ

Das Projekt in Deutschland soll jetzt nochmal eine Nummer größer werden, erklärt Georg Teutsch, der wissenschaftlicher Geschäftsführer des UFZ ist und das Projekt initiiert hat: "Wir werden in der zweiten Maihälfte zusammen mit zirka 20 Kläranlagen eine Testphase durchführen. Dieser Test beinhaltet die gesamte Analysekette von der Entnahme und Aufbereitung der Proben über die PCR-Analyse bis zur Modellhochrechnung."

Kontinuierliche Corona-Überwachung in Deutschland möglich

Noch eine Nummer größer gedacht wäre ein solches Verfahren dazu geeignet, etwa 80 Prozent des deutschen Abwasserstroms zu überwachen. Das würde recht präzise Daten zum Corona-Status der gesamten Bevölkerung liefern. Etwa 900 Kläranlagen müssten dazu regelmäßig überwacht werden. Eine Herausforderung ist allerdings, auch geringe Virenmengen im Abwasser zu finden. Diese Schwierigkeit ist derzeit noch größer, weil die aktuell recht kleinen Zahlen von Corona-Infizierten zu starken Schwankungen bei der Virenlast im Abwasser führen.

Die Forscher im Verbund testen daher mehrere Methoden, die jeweils spezifische Vor- und Nachteile haben. Entweder ist das Verfahren zeitaufwendig oder es benötigt viel Personal und Materialeinsatz. Käme es zu einer Anwendung in ganz Deutschland, müssten zudem große logistische Probleme gelöst werden. Dann müssten Tests so weit es geht automatisch ablaufen und die Ergebnisse kontinuierlich ausgewertet werden.

Empfindlichkeit, Testmenge und Datenweitergabe entscheidend

"Entscheidend wird die Fähigkeit sein, eine Empfindlichkeit für SARS-CoV-2 zu erreichen, die nicht erst bei hohen Zahlen von Infizierten verwertbare Ergebnisse liefert. Erste Ergebnisse stimmen uns vorsichtig optimistisch, unter den Grenzwert von 50 Infizierten je 100.000 Einwohner für das Interventionsmanagement zu kommen", sagt der Virologe René Kallies vom UFZ, der im Projekt für die Probenaufbereitung und PCR-Analytik verantwortlich ist.

Eine Gruppe vom UFZ und der TU Dresden entwickelt zudem ein Analyseverfahren, dass empfindlich genug ist für eine hohe Menge von Abwasserproben, die durchgetestet werden. Auch der Versand der Daten wird noch optimiert.

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