Schlafforschung Träumen wir mehr seit Corona?
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20. April 2020, 14:38 Uhr
Viele Menschen haben das Gefühl, seit Beginn der Corona-Pandemie und den Ausgangsbeschränkungen mehr als sonst zu träumen. Das Phänomen hat einen realen Hintergrund, erklärt ein Schlafforscher.
"Also ich hab das Gefühl, dass ich seit der Quarantäne sehr viel mehr träume", erzählt die Leipziger Studentin Carolin Büscher. Sie ist nicht die einzige, der es gerade so geht. Auch ihre Freunde berichten davon, dass sie seit Corona mehr träumen. Und nicht nur das: Auch inhaltlich haben sich ihre Träume verändert. "Ich träum auf jeden Fall inhaltlich komplexer, hab irgendwie mehrere Erzählebenen. All so was. Und ich kann mich praktisch jeden Morgen an meine Träume erinnern, an verschiedene Sequenzen und habe diese Bilder klarer als sonst im Kopf."
Mehr Schlaf führt zu mehr träumen
Dass wir uns häufiger an Träume erinnern, muss aber nicht unbedingt heißen, dass wir mehr träumen. Schließlich haben wir jede Nacht Träume, nur erinnern wir uns meistens nicht daran. Träumen wir also gerade wirklich mehr oder kommt uns das nur so vor? Auf diese Frage weiß Michael Schredl eine Antwort. Er leitet das Schlaflabor am Zentrum für Seelische Gesundheit in Mannheim.
Mehr Träumen würde exakt bedeuten: Mehr Schlaf. Wenn man mehr Zeit hat und mehr schläft, dann hat man natürlich auch mehr Träume und je länger man schläft, desto größer ist die Chance, dass man sich beim Aufwachen erinnert. Das heißt: Man hat da einen Zusammenhang zwischen der Schlafdauer und dem Eindruck mehr zu träumen.
Dass wir mehr träumen, könnte also daran liegen, dass wir länger schlafen. Und das tun viele von uns gerade: Seit das Coronavirus unseren Alltag auf den Kopf gestellt hat, haben wir viel mehr Zeit zum Schlafen.
Träume spiegeln echte Herausforderungen wieder
Carolin Büscher zum Beispiel muss morgens nicht mehr in die Uni. "Dadurch, dass ich nicht mehr so früh aufstehen muss, kann ich es mir fast jeden Tag leisten, auszuschlafen. Also ich schlafe bestimmt acht Stunden."
Doch nicht, dass wir länger schlafen, beeinflusst unsere Träume, sondern auch Stress. Egal ob im Beruf oder in der Kinderbetreuung: Viele von uns stehen gerade vor ganz neuen Herausforderungen oder sogar Ängsten. Und die verarbeiten wir in unseren Träumen.
Auch Schlafforscher Michael Schredl hat schon von der Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen geträumt: "Zum Beispiel konnte eine Professur nicht besetzt werden, oder man ist vorsichtiger, was den Umgang angeht. Aber es gibt auch die Möglichkeit, dass die Ängste, die im Wachzustand auftreten, mehr in metaphorischer Form dargestellt werden, das heißt es können dann auch Monster sein, die einen verfolgen, um dieses Angstgefühl in uns zu erzeugen. Es gibt also verschiedene Varianten, wie sich Stress auf die Trauminhalte auswirken kann."
#lockdowndreams
Einen typischen Corona-Traum gibt es nicht. Jeder Mensch träumt anders. Das kann man gerade auch ganz gut auf der Internetplattform Twitter sehen. Unter dem Hashtag #lockdowndreams erzählen Menschen von den unterschiedlichsten Träumen.
Letzte Nacht habe ich geträumt, dass ich auf der Oxford Street einkaufen war. Das war's.
Ich habe von Harry und Meghan geträumt. Harry hat sich übergeben und die Medien wollten, dass ich eine Story darüber mache. Komisch, denn ich bin noch nicht mal ein Fan von den Royals!
Ich war ein Superheld und konnte fliegen, aber ich hatte Höhenangst.
Alte Informationen werden mit neuen Informationen verknüpft
Studentin Carolin Büscher wiederum träumt zurzeit immer öfter von Menschen, die eigentlich gar keine Rolle mehr in ihrem Leben spielen. "Zum Beispiel habe ich letztens von meinem Mathelehrer geträumt, der auf mein Jetzt-Ich gestoßen ist - und der war ganz irritiert davon, dass ich rauche."
Auch dafür hat Michael Schredl eine Erklärung: Wenn wir schlafen, verarbeiten wir Informationen und speichern diese ab. Und zwar indem wir die neue Information mit einer alten Information verknüpfen. Genau das passiert auch in unseren Träumen, erklärt Schredl: "Auch da werden die neuen Erlebnisse, gerade wenn sie stressig sind, mit alten stressigen Erlebnissen verknüpft, und dann nochmal abgespeichert. Das heißt also in solchen Zeiten kommt es immer vor, dass eben auch alte Inhalte nochmal aktiviert werden, weil sie emotionalen Bezug haben zu dem, was aktuell passiert."
Traumdeutung: wiederkehrende Muster, Emotionen, Personen
Egal ob der Superheld mit Höhenangst oder die Begegnung mit dem ehemaligen Lehrer - unsere Träume können uns etwas über unseren Alltag verraten. Doch wie lernen wir, sie richtig zu deuten? Der Klassiker ist da natürlich das Traumtagebuch. "Also ich schreib schon seit 1984 viele meiner Träume auf. Wenn man sich mit seinen Träumen intensiver beschäftigt, sieht man, dass die Träume oft die gleiche Spur verfolgen wie im Wachzustand und interessante Ideen und Anregungen geben können."
Carolin Büscher sagt: "Ich hab hier so ein tolles Tagebuch stehen, was eigentlich mal dafür vorgesehen war, und find das auf jeden Fall spannend nachzuverfolgen, vor allem um dann eben Motive herauszufinden: Von welchen Menschen träume ich, was sind die vorwiegenden Emotionen, denk ich jetzt besonders viel an Fernreisen..."
Genau darauf sollte man sich bei der Traumdeutung konzentrieren, sagt Michael Schredl: auf wiederkehrende Muster, Emotionen, Personen. Denn Träume spiegeln das wider, was uns im Alltag umtreibt. Sie können uns auf Gefühle stoßen, derer wir uns vielleicht gar nicht so bewusst sind. Man sollte es bei der Interpretation seiner Träume aber auch nicht übertreiben.
Welche Gefühle und Gedanken lassen wir nicht zu?
Von Traum-Lexika, die einem zum Beispiel erklären wollen, was eine schwarze Katze im Traum zu bedeuten hat, hält Schredl nichts. "Meistens haben diese Symboldeutungen nichts mit dem zu tun, was aktuell im Leben der Person vorkommt. Die einfachste Idee ist einfach zu schauen: Welche Emotion erlebe ich im Traum und wie reagiere ich darauf." Denn dadurch werden uns Gedanken und Gefühle bewusst, die wir im Alltag vielleicht nicht zulassen. Und so können wir selbst in Pandemie-Zeiten aus den wildesten Träumen etwas lernen.
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