Corona-Schulden Geht der Welt das Geld aus?
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02. Juni 2020, 12:16 Uhr
SARS-CoV-2 hat derzeit nicht nur uns Menschen fest im Griff, sondern auch die Staatskassen. Viele Länder tragen das Doppelte an Schulden - verglichen mit ihren Einnahmen. Und sie werden weiterhin sehr schnell sehr viel Geld brauchen, um auf die Krise zu reagieren. Allein Deutschland braucht 156 Milliarden Euro Kredit für den Bund und weitere Milliarden für Länder und Kommunen. Ist das überhaupt noch zu stemmen?
Wenn die ganze Welt leiht, hat jeder bei jedem Schulden. Am Ende landet man bei null, weil man das Soll gegenseitig aufrechnen kann. Was so einfach erscheint, würde nur funktionieren, wenn sich die Staaten gegenseitig Kredite geben würden. Doch das Geld für Staatsschulden, sogenannte Staatsanleihen, kommt aus anderen Quellen. Banken, Versicherungen und andere Akteure an den Finanzmärkten bringen es ein. Oft arbeiten sie dabei international.
Auch Rentenfonds aus den USA kaufen Staatsanleihen in Europa, zum Beispiel in Deutschland.
Staatsanleihen für Anleger attraktiv
Solche Institutionen müssen die Gelder, die sie verwalten, sicher anlegen. Alles auf einem Bankkonto zu deponieren, wäre zu riskant, denn mit der möglichen Pleite einer Bank wäre das Geld weg. Staatsanleihen sind da deutlich sicherer. Denn dass ein ganzes Land pleitegeht, ist zwar möglich, aber unwahrscheinlich.
Deswegen bleibt die Kreditwürdigkeit und damit die Attraktivität von Staatsanleihen für Anleger hoch, selbst wenn im Moment alle Staaten Schulden machen. Die Bonität bemisst sich in dem Fall daran, wie sicher die Anleger sind, ihr Geld wiederzubekommen, so Boysen-Hogrefe:
Es reicht den Anlegern zu wissen, dass der Staat auch woanders borgen kann.
Kritisch wird es in dem Moment, in dem die Anleger nicht mehr sicher sind, ob die Staaten das Geld auch auf Dauer wieder erwirtschaften, um es zurückzahlen zu können. Corona macht solche Szenarien plötzlich denkbar. Geschlossene Geschäfte und Theater, Stillstand in den Fabriken, eingeschränkter Flug- und Bahnverkehr, der massive Rückgang der Wirtschaftsleistung wirken sich auch auf die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen aus.
Der deutschen Wirtschaft zum Beispiel wird wegen der Coronakrise eine schwere Rezession prophezeit. Das Bruttoinlandsprodukt ist bereits im ersten Quartal 2020 geschrumpft, für das zweite Quartal erwartet die Wirtschaftsexperten durch den flächendeckenden Lockdown einen regelrechten Absturz.
Geht der Welt das Geld aus?
Dabei ist die ganze Welt vom Wirtschaftseinbruch betroffen. Das könnte einen Teufelskreis auslösen: Die Anleger verlieren das Vertrauen und kaufen keine Staatsanleihen mehr. Den Regierungen fehlt damit das gerade in der Krise dringend benötigte Geld für Rettungsmaßnahmen. Ein dauerhafter Lockdown könnte zu solchen Situationen führen - aber ebenso eine unkontrollierte Ausbreitung der Pandemie.
Finanzexperte Boysen-Hogrefe - der auch zum Steuerschätzerkreis der Bundesregierung gehört - erwartet durch den aktuellen Corona-Einbruch noch keine weltweite Geldknappheit. Es sei denn, es würde eine tiefergehende Wirtschaftskrise folgen, bei der viele Unternehmen pleitegehen und dauerhaft vom Markt verschwinden, ohne durch andere ersetzt zu werden. Wenn dadurch zum Beispiel die Langzeitarbeitslosigkeit anwächst, werden die Anleger skeptisch. Denn dann nimmt der Staat weniger Steuern ein, braucht aber mehr Geld, um die Krise abzufedern. Und wer dauerhaft mehr ausgibt, als er einnimmt, dem leiht man nicht.
Viele Anleger würden dann dem Staat den Rücken kehren aus Sorge, er kann seine Verbindlichkeiten nicht bedienen. Und genau dadurch wird genau das wahrscheinlicher.
Deutschland braucht weltweite wirtschaftliche Zusammenarbeit
Deshalb dürften die Staaten das Spiel mit den Schulden nicht überreizen, so Jens Boysen-Hogrefe. Die Verschuldung müsse immer an eine tragfähige Wirtschaftspolitik gekoppelt sein. Dazu gehöre auch, die weltweite Wirtschaftszusammenarbeit nicht wegen der Corona-Krise in Frage zu stellen. Gerade für die wirtschaftliche Erholung in Deutschland sei das wichtig.
Deutschland ist stark vom Export abhängig. Eine weltweite Investitionszurückhaltung oder Unterbrechung der Lieferketten würde dauerhafte Probleme mit sich bringen.
Schuldenberg im Alltag noch nicht spürbar
Die gute Nachricht von Finanzexperte Boysen-Hogrefe: Momentan hat der schnell wachsende Schuldenberg kaum Auswirkungen auf unser tägliches Leben. Solange die Zinsen niedrig bleiben, sind die Belastungen für die öffentlichen Haushalte gering. Zum Teil nimmt der Bund durch die Ausgabe von Anleihen sogar Geld ein - vorausgesetzt, die Anleger vertrauen dem Staat dauerhaft. Boysen-Hogrefe führt all die Unternehmen und Privatpersonen ins Feld, die verschuldet sind und damit gut zurechtkommen:
Schulden haben ist nicht das Problem, man muss sich Schulden nur leisten können.
In dem Punkt ist Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit Blick auf die Corona-Schulden sicher: Wir können uns das leisten. Und zwar auch, weil wir in den letzten Jahren sehr solide gewirtschaftet, vorausschauend gearbeitet und einen niedrigen Schuldenstand erreicht haben. Zusätzliche Schulden tun zwar weh, aber sie sind überschaubar, solange Deutschland weiter ausreichend Einkommen erwirtschaftet, bestätigt Finanzexperte Boysen-Hogrefe.
Deutschland geht das Geld nicht aus
Und wenn doch jemand fordern würde, die gesamten Schulden von heute auf morgen zurückzuzahlen? Es ist ein völlig undenkbares Szenario, aber es wäre für Deutschland theoretisch machbar:
Die Bürgerinnen und Bürger haben sehr viel Vermögen. Es ist höher als die Staatsverschuldung, prinzipiell wäre das möglich. In der Realität würde Deutschland das Geld aber einfach woanders borgen.
Weder Deutschland noch der Welt geht also derzeit das Geld aus.