Corona überlebt Covid-19: Genesen, aber trotzdem krank?
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25. April 2020, 05:00 Uhr
Über 100.000 Menschen in Deutschland haben Covid-19 derzeit bereits überstanden. Wie hat sich Sars-CoV-2 auf ihre Körper ausgewirkt? Und werden alle wieder richtig gesund, oder gibt es Folgeschäden, die bleiben?
Auf fast 107.000 Menschen schätzt das Robert Koch-Institut (RKI) die von Covid-19-Genesenen in Deutschland (Stand 24.04.2020). Doch was macht das Virus mit unserem Körper und welche Folgeschäden bleiben? Mehr als die Hälfte der Erkrankten in Deutschland leiden an Husten, 42 Prozent der Covid-19-Infizierten erkranken außerdem an Fieber. In jedem fünften Fall ist auch Schnupfen ein Symptom, fand das RKI heraus. Einer belgischen Studie zufolge leiden 88 Prozent der untersuchten Patienten an einer Geschmacksstörung, 86 Prozent sind von einer Geruchsstörung betroffen. Erkenntnisse, die auf eine Fehlfunktion des Gehirns hindeuten. Weltweit mehren sich Berichte von Wissenschaftlern, die Folgeschäden insbesondere an der Lunge, aber auch an anderen Organen befürchten.
Was macht Covid-19 mit der Lunge?
Prof. Dr. med. Clemens Wendtner, Chefarzt am Klinikum Schwabing in München, beschreibt in einem Interview mit Zeit online, dass bei vielen Erkrankten riesige Flächen in der Lunge infiziert sind. Sars-Cov-2 zerstört die Lungenzellen regelrecht, wodurch weniger funktionelles Lungengewebe für die Atmung zur Verfügung stehe. Die Folge: Das Atmen fällt schwer. Dies sei zu erkennen an den sogenannten Milchglastrübungen, die Röntgenaufnahmen weißlich einfärben. Hier ist das Lungengewebe dichter als anderswo, was Wendtner zufolge "ein Zeichen für eine Entzündung" ist. Bei anderen bakteriellen Lungenentzündungen seien zwar auch einzelne Lungensegmente betroffen, aber Sars-CoV-2 sei eben "ein sehr wuchtiges Geschehen."
In vielen Fällen kommt es außerdem zu einem Zytokinsturm, also einer Überreaktion des Immunsystems. "Vereinfacht gesagt schießen dabei Entzündungszellen in die Lunge ein. Dadurch werden die Lungenbläschen in ihrer Funktion stark eingeschränkt und der Gasaustausch kann nicht funktionieren", erklärt der Mediziner. Bei einem Großteil der Patienten auf Intensivstationen trete diese Reaktion ein. Dann beginne der Wettlauf mit der Zeit, denn je früher das erkannt wird, desto höher sind die Überlebenschancen.
Langzeitschäden an der Lunge
Doch auch nach der Genesung vom Virus seien Folgeschäden möglich. Prof. Dr. Harald Schäfer, Chefarzt an der SHG-Klinik in Völklingen, erklärt seine Erwartungen in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung: "Ich gehe davon aus, dass bestimmte Veränderungen durch die Entzündung der Lunge wahrscheinlich mit einer Defektheilung oder einer Narbenheilung einhergehen, vor allem, wenn die Lunge schon vorgeschädigt war." Eine Lungenfibrose bezeichnet verschiedene chronische Erkrankungen am Lungengewebe. Hierbei verändert sich das Lungengewebe, indem sich Bindegewebe zwischen Lungenbläschen und den sie umgebenden Blutgefäßen bildet. Die Lunge vernarbt, also fibrosiert, und verhärtet.
In der Folge sinkt das Lungenvolumen und die Atmung fällt dauerhaft schwerer. Bestehende Vernarbungen lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Teils kann die Fibrose mittels Medikamenteneinsatz verzögert oder aufgehalten werden. Hierbei treten starke Nebenwirkungen, wie Magen-Darm-Probleme und extreme Sonnenlichtempfindlichkeit, auf. In Fällen, in denen das nicht möglich ist, kann der Fibrose nur mit dauerhafter Sauerstofftherapie oder sogar einer Lungentransplantation begegnet werden.
Künstliche Beatmung ein Risikofaktor
Auch die künstliche Beatmung ist alles andere als trivial. Steigt die Atemnot, wird Patienten zunächst eine Maske aufgesetzt, die ihnen zusätzlichen Sauerstoff zuführt. Ist die Entzündung zu stark, bleibt die Möglichkeit einer Intubation. Hierzu wird ein Schlauch über die Luftröhre eingeführt. Weil das entzündete Lungengewebe angeschwollen ist, muss der Druck aber hoch sein, um überhaupt ausreichend Luft in die Lungen zu bekommen. Der hohe Druck wiederum kann aber zu Langzeitschäden führen, weil das Lungengewebe steif wird. "Manche sind vielleicht sogar im Alltag auf Sauerstoff angewiesen. Und ja, das kann auch jungen Menschen passieren", warnt Wendtner vom Klinikum Schwabing.
Sars-Cov-2 als Auslöser für schwere Nervenschäden?
Die angesprochene Überreaktion des Immunsystems kann allerdings auch im Gehirn zu schwerwiegenden Folgeschäden führen. Während in den allermeisten Fällen Geruchs- und Geschmackssinn wiederkehren, können durch Stoffe, die im Gehirn landen, bleibende Schäden angerichtet werden. Auch die Myelinschicht, eine Schutzschicht am Ende der Nervenzellen, kann geschädigt werden, sodass die Nervenfasern keine Reize mehr übertragen können. Dadurch kann bei Patienten das Guillain-Barré-Syndrom auftreten - ein schweres neurologisches Krankheitsbild, das zu Lähmungen in beiden Beinen, Armen und sogar im Gesicht führen kann. Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie kann auch die Atemmuskulatur betroffen sein, sodass künstliche Beatmung nötig ist. Normalerweise beträgt die Inkubationszeit mindestens zehn Tage. Handelt es sich bei Sars-Cov-2 um den Auslöser, ist das schon deutlich schneller, nämlich nach fünf bis zehn Tagen, der Fall.
Auch eine weitere Studie stellt die These auf, dass Sars-Cov-2 neuroinvasiv ist. Das heißt, dass zwar an einer Stelle des Körpers die Infektion stattfindet, sie aber von dort bis ins Gehirn und Rückenmark gelangt. Dabei schädigt das Virus das zentrale Nervensystem und kann darüber ein Lungenversagen auslösen. In Fallstudien fanden chinesische Wissenschaftler außerdem heraus, dass gleichwohl schwere und weniger schwere Verläufe neurologische Folgeschäden auslösen können. In den USA wurde bei einer Patientin akute nekrotisierende hämorrhagische Enzephalopathie, eine schwere Entzündung des Gehirns, entdeckt. Der Ausbruch wird dabei mit Covid-19 in Verbindung gebracht. Ebenso verhält es sich mit einer Hirnhautentzündung, die bei einem 24-jährigen Japaner entdeckt wurde.
Corona-Biobank soll Folgeschäden erfassen
Um die direkten Folgeschäden von Covid-19 besser im Blick zu haben, will das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) eine Corona-Biobank aufbauen. Zehn Jahre lang sollen dafür alle genesenen Schleswig-Holsteiner untersucht werden und regelmäßig Blutproben abgeben. Prof. Joachim Thiery, Vorstand für Forschung und Lehre, begründet das mit möglichen Folgeschäden: "Wir vermuten, dass Covid-19 nicht nur zu fürchterlichen Akutschäden, sondern auch zu Folgeerkrankungen führt. Die überschießende Entzündung verursacht bei manchen Covid-19-Patienten schwere Schädigungen der inneren Aderhaut, die Mikrogerinnsel auslösen könnten, auch Blutdruckregulation und Leber sind betroffen." Damit die eventuellen Spätfolgen frühzeitig erkannt werden und möglichst adäquat behandelt werden, braucht es vor allem eines: mehr Wissen.
Links und Quellen
Hier finden Sie den Artikel zur Neuroinvasivität des Virus, also der Fähigkeit, Nervenzellen anzugreifen.
Den wissenschaftlichen Artikel zu den neurologischen Folgen aus China lesen Sie im Magazin JAMA Neurology. Die beiden Artikel zu Hirnhautentzündungen bzw. Hirnveränderungen finden sie hier und hier jeweils als pdf.
Und hier steht die Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Hier lesen Sie die Interviews in der Saarbrücker Zeitung, bei Zeit Online und dem Spiegel.