Coronavirus Warum hat Italien eine so hohe Todesrate?
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30. März 2020, 13:05 Uhr
Seitdem sich das Coronavirus in Europa ausbreitet, steht die Frage: Warum hat Italien nicht nur viele Infizierte, sondern auch so eine hohe Todesrate? Dafür gibt es nicht einen Grund, sondern viele Gründe. Und die zeigen vor allem: Zwischen Ländern sollte nicht verglichen werden.
Inhalt des Artikels:
- Update - 27.03.2020
- Zwei Rechnungen, keine stimmt genau
- Möglicher Grund 1: Demografie Italiens
- Möglicher Grund 2: Zeitpunkt und Ort erster Infektionen
- Möglicher Grund 3: Unterschiedliche Zählungen
- Möglicher Grund 4: Krankenhausbetten und Gesundheitssystem
- Möglicher Grund 5: Tests
- Möglichkeit 6: Form des Zusammenlebens
- Finger weg von Ländervergleichen
Update - 27.03.2020
Die hohen Todesfallzahlen in Italien können auch noch durch einen anderen Faktor befeuert werden: Tödlich verlaufende Infektionen mit multiresistenten Keimen. In italienischen Krankenhäusern sterben daran jedes Jahr mehr Menschen als sonst irgendwo in Europa, wie eine Studie aus dem Jahr 2018 gezeigt hat. Dazu wurden Infektionsdaten von 2015 aus der kompletten EU genutzt. Das bedeutet auf die derzeitige Lage bezogen, dass möglicherweise auch der Tod vieler Coronapatienten auf Infektionen mit multiresistenten Keimen zurückgehen könnte und viele Menschen also nicht an, sondern mit Corona, sterben.
Es gibt sie nicht, diese eine richtige Methode, um zu ermitteln, wie viele Menschen wirklich an der durch das Coronavirus verursachten Krankheit Covid-19 sterben. Generell wird der Anteil Verstorbener auf zwei verschiedene Arten gemessen. Das macht's nicht einfacher, wenn es darum geht, eine verlässliche Quote schon während einer Pandemie zu ermitteln. Denn erst hinterher ist man schlauer.
Zwei Rechnungen, keine stimmt genau
Methode 1: Die Zahl der gemeldeten verstorbenen Fälle durch die Zahl der gemeldeten Fälle teilen. Diese CFR-Messung (Case-Fatility-Rate, also Fall-Verstorbenen-Anteil oder Fallsterblichkeitsrate) unterschätzt aber den Anteil, weil noch nicht bei allen Krankheitsfällen bekannt ist, wie sie verlaufen.
Methode 2: Die Zahl der verstorbenen Fälle wird durch die Zahl der Fälle geteilt, bei denen man weiß, wie die Krankheit ausgegangen ist. Doch auch dieses Ergebnis hinkt: Die Zahl liegt über dem tatsächlichen Anteil. Aber: Die Zahlen beider Messmethoden nähern sich an, je höher die Zahl der Krankheiten ist, von denen der Ausgang bekannt ist.
Rechnen wir das mal durch: Die Johns-Hopkins-Universität meldete am 24. März mittags weltweit 395.647 Infizierte und 17.240 Tote. Nach Methode 1 – 17.240 von 395.647 – ist das eine Todesfallrate von 4,36 Prozent. Bei 120.557 Fällen ist bereits der Endpunkt, also der Ausgang der Erkrankung bekannt, wie schon erwähnt sind 17.240 gestorben: 17.240 von 120.557 ergibt 14,3 Prozent. Ein gewaltiger Unterschied!
Auch für Italien lassen sich zwei solche Zahlen berechnen: 9,5 Prozent nach Methode 1. Und 44,98 Prozent nach Methode 2. Die Zahlen heben sich nicht nur in sich massiv voneinander ab, sondern auch im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt. Es gibt nicht den einen Grund, warum das so ist. Es spielen viel mehr viele verschiedene Faktoren eine Rolle.
Möglicher Grund 1: Demografie Italiens
Als häufiger Grund wird angegeben, dass Italiens Bevölkerung im Vergleich zur gesamten EU überdurchschnittlich alt ist. Das würde bedeuten, dass die Bevölkerung generell anfälliger für eine schwere Erkrankung an Covid-19 ist. Fast 80 Prozent aller Infizierten seien siebzig Jahre oder älter. Aber: Auch Deutschlands Bevölkerung ist im EU-Vergleich überdurchschnittlich alt. Und Italiener werden nur 0,3 Jahre älter als Deutsche. Trotzdem betrifft es in Italien eher Ältere: "Durchschnittsalter Coronafälle Deutschland: 45 Jahre, Italien: 63 Jahre", das hat der Bevölkerungsforscher Andreas Backhaus Anfang der Woche getwittert und zeigt in einem Beitrag auf der Online-Plattform Medium bei einem Vergleich mit ähnlich viele Fällen in Südkorea und Italien: In Südkorea waren von den bestätigten Infizierten knapp 9 Prozent über 70, in Italien mehr als 40 Prozent.
Möglicher Grund 2: Zeitpunkt und Ort erster Infektionen
Italien war besonders früh von der Pandemie betroffen. Im Januar war das Ausmaß (für Europa) noch nicht abzusehen, Politik, Medizin und Bevölkerung im Umgang mit dem Virus entsprechend unerfahren. In dieser Zeit konnte also viel passieren. Zudem ist besonders der wirtschaftlich starke Norden Italiens betroffen, der auch von Berufspendlern stark frequentiert ist. Pendler haben dazu beigetragen, dass sich das Virus in andere Landesteile verbreitet.
Möglicher Grund 3: Unterschiedliche Zählungen
Anders als in Deutschland (Stand: 24. März) testet Italien inzwischen generell Todesfälle auf das Coronavirus. Das führt dazu, dass der Anteil in der italienischen Statistik stärker ansteigt als in anderen Ländern. Italien ist auch sehr konsequent, was die Zählweise der Toten betrifft: Ein Todesfall wird dem Coronavirus unabhängig von Vorerkrankungen zugeschrieben, unabhängig davon, ob Covid-19 den Tod verursacht hat oder die Erkrankung als Beschleuniger gewirkt hat. Einer Studie des italienischen Gesundheitsinstituts ISS, die die FAZ zitiert, zufolge, hatte nur ein sehr kleiner Anteil der Verstorbenen keinerlei Vorerkrankung.
Möglicher Grund 4: Krankenhausbetten und Gesundheitssystem
Auch die Zahl der Krankenhausbetten und die der Intensivbetten variiert stark von Land zu Land. Beispiel: In Italien stehen pro 100.000 Einwohner 12,5 Intensivbetten zur Verfügung. In China 3,6, in Deutschland 29,2. Zwar steht fest: Es braucht möglichst viele Betten für eine gute Versorgung. Doch die Zahlen verfügbarer Betten sind teilweise veraltet und ihre Zählweisen sind von Land zu Land unterschiedlich. Außerdem sagt die Bettenzahl alleine nicht aus, wie gut ein Patient versorgt werden kann. Hier spielt auch die Zahl des Pflegepersonals eine Rolle. In Italien haben sich inzwischen über 2.000 Krankenhausmitarbeiter mit Corona angesteckt und stehen damit nicht mehr für die Pflege zur Verfügung.
Möglicher Grund 5: Tests
Der Anteil Älterer bei den durch das Coronavirus verstorbenen Menschen ist, wie erwähnt, in Italien besonders hoch. Diese Zahlen sagen auch: Es werden vor allem auch ältere Menschen getestet – Menschen, die generell anfälliger sind, schwer an Covid-19 zu erkranken. Laut WHO hat Deutschland eine sehr aggressive Teststrategie, die auch viele mild verlaufende Fälle einschließt. Der Anteil der Verstorbenen ist dadurch geringer.
Möglichkeit 6: Form des Zusammenlebens
Was soziale Vorteile hat, kann in Corona-Zeiten ein Risiko sein: In Italien wohnen, anders als in Deutschland oder Skandinavien, jüngere und ältere Generationen häufig unter einem Dach, was das Infektionsrisiko der besonders gefährdeten Älteren erhöht. Der Ökonom Moritz Kuhn von der Uni Bonn hat die Sozialstrukturen in südeuropäischen Ländern analysiert: "Der Zusammenhang ist einem sofort in die Augen gesprungen." Ein Fakt, der besonders zu Beginn der Pandemie eine größere Rolle gespielt haben könnte.
Finger weg von Ländervergleichen
Warum Italien eine so hohe Rate an Corona-Todesfällen hat, steht nicht fest. Aber die Gründe sind nicht nur medizinisch, sondern auch politischer, soziologischer oder statistischer Natur. "Die Fallsterblichkeitsrate ist rätselhaft", sagte Richard Pebody von der WHO gegenüber der Deutschen Presseagentur und warnt aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen davor, Länder direkt gegenüberzustellen. "Das ist wie Äpfel mit Birnen vergleichen."
D. Walther, F. Zinner
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