Klimaforschung Von Corona für das Klima lernen: Hört auf die Wissenschaft!

21. April 2020, 16:56 Uhr

Die Corona-Pandemie hat die Welt in einen Ausnahmezustand versetzt: Fast die ganze Aufmerksamkeit konzentriert sich auf ihre Eindämmung. Doch auch andere Fragen bleiben im Schatten der Pandemie dringend: Die Klimakrise macht wegen Corona keine Pause. Doch wie wirkt sich die Krise durch den Virus auf die des Klimas aus? Und wie beeinflusst das die Klimaverhandlungen?

Die Corona-Pandemie sorgt in diesem Jahr für unzählige Absagen: Fußballspiele fallen aus, Konzert oder Festivals - und politisch sehr wichtige Veranstaltungen wie die Weltklimakonferenz COP26. Die hätte eigentlich im November im schottischen Glasgow stattfinden sollen. Stattdessen soll es einen neuen Termin 2021 geben. Doch die Klimaerwärmung macht auch während der Corona-Krise keine Pause, auch wenn die globalen Treibhausgas-Emissionen momentan stark zurückgegangen sind. Doch das ist ja kein Zustand von Dauer.

Stickoxidkonzentration China Corona 1 min
Bildrechte: ESA / Copernicus

Das Jahr 2020 sollte eigentlich eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Klimakrise spielen: Fünf Jahre nach dem Pariser Abkommen sollten - wie darin festgelegt - die Nationalen Klimaschutzziele evaluiert werden, sprich nachgebessert und auf größere Ambitionen überprüft. Doch werden die Klimverhandlungen nach der Absage von Glasgow weiter im notwendigen Tempo diskutiert werden können?

Verschiebung als Chance?

Eigentlich sollte in Glasgow eine Bestandsaufnahme des Pariser Abkommens gemacht werden, betont auch Wolfgang Obergassel vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in einem virtuellen Gespräch des Science Media Centers. Umso wichtiger sei es jetzt, dass die EU am "Green Deal" festhalte und noch dieses Jahr Diskussionen darüber führe, wie genau das darin festgelegte Klimaziel erreicht werden könne: Klimaneutralität bis zum Jahr 2050. Vor allem, da fragwürdig ist, dass ärmere Länder in und nach der Pandemie noch Kapazitäten für Klimaschutzanstrengungen haben, müssten die großen Emittenten, also die Länder mit dem höchsten CO2-Ausstoß, in der Spur bleiben, so Obergassel. Er hofft auf eine Signalwirkung bei diplomatischen Verhandlungen.

Doch in der Europäischen Union regt sich schon Widerstand gegen den strikten Klimaschutz-Kurs - etwa aus Polen und Tschechien. Die EU-Kommission überprüft bereits ein Arbeitsprogramm. Das könnte wichtige europäische Vorhaben für Umwelt- und Klimaschutz verzögern, heißt es aus Brüssel. Das betreffe unter anderem die geplanten EU-Strategien für mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft und im Verkehr sowie das Recht auf Reparatur von Geräten. Die offizielle Begründung: Der Kampf gegen Corona habe Vorrang und der Apparat der Brüsseler Behörde sei ausgelastet. Allerdings will die Kommission dabei bleiben, das Klimaziel für 2030 zu prüfen und zu verschärfen. Auch am "Green Deal" soll trotz der Corona-Krise und ihren Folgen festgehalten werden.

Der Leiter und Geschäftsführer des in Köln ansässigen New Climate Institute, Prof. Niklas Höhne, kann der Verschiebung des Klimagipfels auch etwas Positives abgewinnen: Denn für die Festlegung neuer Klimaziele müssten in demokratischen Verhandlungen Ergebnisse erzielt werden, für die Europa und China als Hoffnungsträger gesehen würden - genau die also, die von der Pandemie derzeit mit am meisten betroffen sind. Findet die COP26 allerdings nächstes Jahr statt, könnten die Blätter schon wieder neu gemischt sein, merkt Höhne an: Denn in den USA ist dann gewählt worden und das Land könnte mit einem anderen Präsidenten gegebenenfalls wieder in die Klimaverhandlungen einsteigen.

Beim Leipziger Klimaökonomen Prof. Reimund Schwarze, Leiter der AG Klimawandel und Extremereignisse am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), sorgt die Verschiebung dagegen eher für Pessimismus: Da wir gar nicht wissen, wie lange die Pandemie dauert, sei abzuwarten eine schlechte Logik. Danach würden die Verhandlungen nicht einfacher.

Corona-Hilfen an Klimafreundlichkeit koppeln

Doch die Corona-Pandemie könnte auch eine Chance für den Kampf gegen die Klimaerwärmung bieten, so die Wissenschaftler. Es sei auch eine Gelegenheit unsere Welt nachhaltiger zu verändern. Die Frage ist etwa, so betont Höhne, wie die Wirtschaft nach Corona aus dem "Dornröschenschlaf" erwacht. Die große Gefahr sei, dass der Wirtschaft natürlich geholfen werde, gleichzeitig aber Klimaschutzmaßnahmen zurückgefahren würden. Dann könnten wir bei höheren Emissionen landen als vor der Pandemie. Das dürfe auf keinen Fall passieren.

Wichtig ist es jetzt, wenn es darum geht die Wirtschaft anzukurbeln, die richtigen Schritte zu tun und den Klimaschutz dabei nicht zu vergessen. Wir werden so viel Geld in die Hand nehmen bei den Konjunkturpaketen (...), da muss auch etwas für den Klimaschutz dabei sein, sonst wird es sehr schwierig.

Prof. Dr. Niklas Höhne

Höhne regt deshalb an, aus der Not eine Tugend zu machen und das Klima direkt mitzudenken. Das sieht auch Obergassel so: "Wenn die Politik jetzt ohnehin eine Menge Geld in die Hand nimmt, dann muss das gleich in die richtige Richtung gehen." So sehe es das Pariser Abkommen ohnehin vor. Darin ist ohnehin festgelegt, dass alle Finanzströme immer im Einklang mit den Klimazielen erfolgen müssen, so Obergassel. Die Empfehlung der Experten: Die Wirtschaftsförderung im Zuge der Pandemie an die Bedingungen von Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit knüpfen.

Klimafreundliche Wirtschaftsförderung

Die Entscheider über eine klimafreundliche Wirtschaftshilfe in der Corona-Rezession stzen natürlich in den Regierungen. Doch die Wissenschaftler haben einige konkrete Ideen, wie das aussehen könnte.

Klimaforscher Höhne zufolge könnten etwa zwei Erfolgsmodelle aus der Zeit nach der Finanzkrise wieder aufleben: die Förderung der energetischen Gebäudesanierung, bei der es noch einen großen Rückstand gebe, sowie Kauf- und Abwrackprämien für klimafreundlichere Heizungen. Außerdem wäre es sinnvoll Pholtovoltaik auf Dächern zu fördern, denn das sichert zusätzlich vergleichsweise viele Arbeitsplätze, so Höhne. Außerdem fordert er eine Reform der Strom- und Brennstoffbesteuerung. Wollen wir weg von Öl und Gas bräuchten wir mehr Strom, doch der ist dank EEG-Umlage teuer. Deshalb müsste Strom weniger und die Brennstoffe mehr belastet werden.

Der Wuppertaler Obergassel sieht dagegen einen umfassenderen Ansatz: Man müsse in allen Bereichen ran. So sollten etwa Autoflotten auf Strom umgerüstet werden und auch die Infrastruktur entsprechend ausgebaut werden. Schon eine Elektrifizierung zentraler Autobahn-Routen kann effizient sein, erläutert Obergassel. Doch auch die Städte müssten für alternativen Verkehr umgebaut werden, etwa wie in Oslo, wo Straßen für Autos zugunsten von Fahrradwegen reduziert würden. Und dann sieht Obergassel da noch ein längerfristiges Projekt: Die Reformierung der Industrie. So könnte die Politik etwa den Umstieg auf grün produzierten Stahl unterstützen, denn das funktioniere nur, wenn der Staat etwa dabei helfe, dass auch ein Markt dafür vorhanden ist. Doch ein Umbau auf komplett grüne Industrie könne schon noch bis zu drei Jahrzehnte dauern.

Klimapolitik = Gesundheitspolitik?

Das Thema Klimaschutz dürfte allerdings auch nach Abklingen der Pandemie politisch kaum im Vordergrund stehen, vermuten die Experten. UFZ-Forscher Schwarze etwa glaubt, dass der Ausbau der Gesundheitsinfrastruktur die erste - und richtige - Antwort auf die Corona-Pandemie sei. Da gebe es erkennbar Schwächen, auf die reagiert werden müsse. Die Gesundheitspolitik werde aber nicht nur in den Industrieländern, sondern weltweit Vorrang genießen.

Gesundheitspolitik und Klimapolitik schließen sich dagegen für Obergassel ganz und gar nicht aus. Tatsächlich seien auch Maßnahmen denkbar, die dahingehend gleich einen mehrfachen Nutzen hätten: Schaue man sich etwa die Regionen an, in denen die Luft sauberer ist, dann gehe es den Menschen dort auch gesundheitlich besser. Auch das zeige die Pandemie. Und Klimapolitik umfasse ja auch nicht nur die Verringerung der Emissionen, sondern auch eine Anpassung an die Folgen der Klimaveränderung - und da werde ohnehin noch einiges auf Deutschland zukommen, so Obergassel.

Und vielleicht ist der Schub für die Gesundheitspolitik auch gut für eine positive Dynamik, die eine Art "Co-Benefit" liefert, ergänzt ihn UFZ-Forscher Schwarze. Denn die Frage, welche Gesundheitsfolgen der Klimawandel für uns und die Welt hat, könne als zentrales, bewegendes Thema eine neue Dynamik erzeugen. Deshalb müssten Forscher jetzt klar herausarbeiten, von welchen gesundheitlichen Folgen da die Rede sei.

Insgesamt hoffen die Wissenschaftler, dass der aktuelle Trend in der Politik, der Wissenschaft zuzuhören und ihre Ratschläge zu befolgen, auch in Sachen Klimaschutz anhält - auch wenn die Bedrohung hier eher langfristig und nicht so akut und nah sei. Aber Höhne hat Hoffnung, dass es auf Basis aktueller Erfahrungen in Zukunft besser laufen könnte, sagt er. Und Obergassel wünscht sich sogar eine Art Institutionalisierung der wissenschaftlichen Ratschläge wie etwa in Großbritannien. Dort sei aufgrund von erheblichem öffentlichen Druck ein Wissenschafts-Rat eingerichtet worden, mit dessen Einschätzungen die Politik sich verbindlich auseinandersetzen müsse.

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