Diskussion Mal ehrlich: Brauchen wir noch Klimakonferenzen?
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02. Dezember 2022, 13:10 Uhr
Weltklimakonferenzen sind jährliche Großereignisse, die mit viel Aufwand und viel Geld betrieben werden. Und bisher mit wenig Ergebnissen. Die Debatte läuft: Was bringen diese Zusammentreffen überhaupt noch? Sollte man sie abschaffen? Und welche Alternativen haben wir? Ein Überblick.
Fraglich ist, was in großen Teilen der Gesellschaft jetzt eigentlich hängen geblieben ist. Die Ergebnisse der 27. Weltklimakonferenz in Ägypten. Oder deren Begleiterscheinungen, namentlich: zu wenig Verhandlungsgeschick, Coca-Cola als Sponsor, zu schlechte Versorgung der Teilnehmenden, dafür ein immenser Infrastrukturaufwand in der Wüste. (In Zeiten, in denen Großevents in der Wüste sowieso nicht so sonderlich populär sind.) Es gab also genug zu berichten, wenn auch ein wenig der Fokus verrutscht sein mag.
Dass die Verhandlungen bei solchen globalen Zusammenkünften einem launigen Spaziergang auf halbflüssigem Karamell gleichen, ist kein Phänomen des Jahres 2022. "Bis jetzt waren diese Verhandlungen nicht gerade von Erfolg gekrönt", resümierte der deutsche Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif bereits 2015 im Klimaschutz-Magazin Neue Energien. 2015 war das so: Die Probleme und düsteren Aussichten zum Zustand des Planeten waren ähnlich und führten zum Pariser Klimaabkommen (1,5-Grad-Ziel). Aber sie waren noch nicht ganz so zu spüren wie jetzt – und damit eher ein Thema für die Kaffeehäuser in großstädtischen Gründerzeitvierteln als von der Gesellschaft mehrheitlich als existenzielles Problem anerkannt.
Auch 2017 lag die große Dürre der letzten Jahre noch vor uns und das prototypische 2021er Extremwetter mit den Verheerungen im Ahrtal in weiter Ferne. Die Evangelische Kirche, die im Magazin Unsere Kirche eigentlich die guten Nachrichten verbreiten will, stellt fest: "Die Kosten für die Veranstaltung, für Logistik und die Versorgung der Teilnehmer gehen in die Millionen. Die Ergebnisse nach zwei Wochen und teilweise nächtelangen Debatten scheinen hingegen für die Außenwelt oft dürftig."
Keine Alternative?
Da klingelt's. Und bringt uns klingelnderweise in die Gegenwart, in der alles ähnlich, aber noch ein bisschen komplizierter ist, weil die Menschheit merkt, dass ihr die Zeit davonläuft. Und wenn es gerade sehr kompliziert ist, hilft ein Blick in die Kindernachrichten. Auch die Kolleginnen und Kollegen von Logo haben sich mit Argumenten für oder gegen Klimakonferenzen auseinander gesetzt und merken an: "Es gibt keine Alternative! Der von Menschen verursachte Klimawandel findet statt und die schnelle Erwärmung der Erde muss aufgehalten werden – dazu müssen aber möglichst viele Länder zusammenarbeiten. An den UN-Klimakonferenzen nehmen fast 200 Staaten teil."
Bei Logo wird argumentiert: "Vor allem haben hier auch kleinere oder nicht so reiche Länder die Chance, dass ihnen zugehört wird." Und es stimme nicht, dass es keine Ergebnisse gebe. Auch das 1,5-Grad-Ziel war das Ergebnis einer Klimakonferenz, nämlich der in Paris.
Die Haupthindernisse sind oft politische Beharrungskräfte und kurzfristige ökonomische Interessen.
Fakt ist aber, dass die Resultate zu spärlich sind. Zu spärlich, um die Kritik an der Konferenz abebben zu lassen, aber vor allem auch zu spärlich, um die Welt zu retten. Der Klimaforscher Hans-Otto Pörtner ist im Interview mit tagesschau24 einfach nur enttäuscht – auch, weil er die Leistung der Wissenschaft diskreditiert sieht: "Sinnvoller wäre es gewesen, die Erkenntnisse aus der Wissenschaft eins zu eins umzusetzen und nicht vage Formulierungen und gute Absichten aufzuschreiben. Das ist leider manchmal eine Konsequenz der Kompromissfindung in den Verhandlungen." Bereits seit 2020 hätte die Menschheit jedes Jahr sieben Prozent der Emissionsreduktion umsetzen müssen, davon sei man weit entfernt. Welchen Wert haben also Konferenzen, wenn die Wissenschaft nicht zählt?
200 Staaten, ein Strang
Eingeständnisse kommen aus der deutschen Politik: "Keine Frage, bislang ist zu wenig passiert und es klafft eine riesige Lücke zwischen dem 1,5-Grad-Ziel und dem, wo wir aktuell stehen", so Jennifer Morgan, Ex-Greenpeace-Chefin und klimapolitische Sonderbeauftragte im Auswärtigen Amt. In einem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau mahnte sie in Richtung Kurzsichtigkeit der Akteurinnen und Akteure: "Die Haupthindernisse sind oft politische Beharrungskräfte und kurzfristige ökonomische Interessen." Sie schlägt vor: "Wir brauchen einen konkreten und verbindlichen Arbeitsplan, der die Halbierung der globalen Emissionen bis 2030 ermöglicht."
Doch gerade das konkrete Handeln gestaltet sich offenbar nicht ganz so leicht, wenn 200 Staaten an einem Strang ziehen müssen (und neben dem gemeinsamen Interesse, die Menschheit nicht untergehen zu lassen, wohl auch zweihundert unterschiedliche Interessen verfolgen). Dabei bleibt sogar das Offensichtliche auf der Strecke: "Man hat noch nicht mal geschafft, eine Erklärung abzugeben, dass man von den fossilen Brennstoffen Abschied nehmen will", so der eingangs erwähnte Mojib Latif gegenüber SWR Wissen nach den Verhandlungen in Scharm El-Scheich. "Ich schlage vor, dass es eine kleinere Gruppe geben muss. Man kann sich verschiedene Formate überlegen. Also entweder, dass sich die G20 zusammensetzen, also die zwanzig größten Industrienationen. Auf die entfallen ja schon achtzig Prozent der Treibhausgasemissionen."
Wenn die auf einen Nenner kommen, wäre ein Großteil der Arbeit gemacht. Oder, als zweite Variante, eine Allianz der Willigen, wie sie Latif nennt. "Das heißt also, dass die Länder vorangehen, die wirklich etwas tun sollen, wie Deutschland, und einen eigenen Wirtschaftsraum aufmachen und dann versuchen, dass möglichst viele Länder diesem Club beitreten." Hinter der Idee eines Klimaklubs steht etwa Bundeskanzler Olaf Scholz – Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit seien auf diese Weise vereinbar.
Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, sieht das ganz ähnlich wie sein Kollege Latif – und entsprechende Chancen in einer Allianz der größten Verursacher. "Ich denke, dass wir den ganzen Prozess der Klimakonferenzen reformieren müssten, um gehaltvollere Ergebnisse in den Verhandlungen zu bekommen."
Auch Klimaschutz-Experte Niklas Höhne verortet in der Frankfurter Rundschau das Fragezeichen viel mehr hinter dem Wie als hinter dem Ob: "Dieser Prozess ist viel zu langsam, keine Frage. Wir müssen ihn beschleunigen und ergänzen, aber wir dürfen ihn nicht aufgeben. Der Paris-Vertrag ist ein Meilenstein, zumindest von den Zielen her."
Ökodiktatur vs. Ökokapitalismus
Neben einer Reform unseres Umgangs mit dem Planeten steht also auch eine Reform derjenigen Veranstaltungen an, auf denen wir über das Reformieren sprechen. So zumindest der einschlägige Tenor. Beides scheint zusammenzuhängen, denn die Art und Weise, wie wir der Klimakrise entgegentreten wird auch den Schnack prägen, der auf den Konferenzen der Zukunft herrscht. In der Berliner Zeitung stellt sich der Journalist Jens Blankennagel die Frage, ob Demokratien und Verhandlungen nicht zu langsam für den Ernst der Lage sind. Schon vor Ende der Konferenz prophezeite er ein allgegenwärtiges "Nicht genug!". Könnte da ein bisschen weniger Diplomatie helfen? "Derzeit lebt die Hälfte der Menschheit in Autokratien, und keines dieser Länder hat bislang eine Ökodiktatur ausgerufen."
Naheliegend sei der in letzter Zeit vielzitierte Wunsch, dass Geld uns aus dem Schlamassel holen soll, weil es uns den auch eingebracht habe. Blankennagel: "Wir brauchen endlich echten Ökokapitalismus, einen knallharten Wettbewerb für die besten technischen Klimalösungen und einen weltweiten Markt, auf dem Kohlendioxid so teuer zu bezahlen ist, dass niemand den Stoff mehr gedankenlos produziert.“
💭 Das sagt MDR WISSEN Die Abschaffung der COP-Weltklimakonferenzen könnte das zarte Pflänzchen Klimabewusstsein nicht im Keim, aber im Spross ersticken. Wenn sich auf einmal Delegierte aus 200 Staaten nicht mehr mit einem Riesenbohei treffen würden, stünde nur allzu schnell der Ernst der Lage in Frage. Vielleicht sollten die Konferenzen aber weniger an sportliche Großereignisse erinnern und einen Hauch weltpolitische Nüchternheit zurückerlangen – statt vom Thema abzulenken und sich mit Fauxpas wie Versorgungsengpässen (Kein Wasser in der Wüste) und hanebüchenen Hauptsponsoren als Lachnummer in die Kommentarspalten zu manövrieren (Coca-Cola darf ruhig weiterbezahlen, aber vielleicht ohne Werbeplätzchen). Ihr Takt könnte dem Ticken der Zeitbombe entsprechend erhöht werden. Mit Konferenzen, die als Podium zu verstehen sind, auf dem vor allem die stillen Leidtragenden eine Stimme bekommen. Die Allianzen der Verursacher und Willigen könnten, statt die COPs abzulösen, zusätzlich tagen – und Fakten schaffen. Viel Zeit, sich das alles in Ruhe zu überlegen, bleibt freilich nicht.
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