Buch "Kulturhauptstadt 2025. Sozialräumliche Erkundungen" 4 min
Thomas Laux, Juniorprofessur für Europäische Kultur und Bürgergesellschaft an der TU Chemnitz (li) und Ulf Bohmann, Vertretungsprofessor am Institut für Soziologie an der TU Chemnitz stellen das Buch "Kulturhauptstadt Chemnitz 2025. Sozialräumliche Erkundungen" vor. Bildrechte: Thomas Laux

Forschung zur Kulturhauptstadt Chemnitz Neues Buch, neue Perspektiven: "Chemnitz ist mehr als die Summe seiner Klischees“

28. Januar 2025, 11:55 Uhr

Chemnitz ist Aufbruch, Neuanfang, Industriekultur. Chemnitz ist migrantisch, postkolonial und hat mit eigens kreierten Räucherfrauen eine Vision für die Neuauflage von Traditionen. Forschende zeigen jetzt in dem Sammelband "Kulturhauptstadt Chemnitz 2025" ihre Perspektiven. Das Buch wird am Dienstag (28. Januar) um 19 Uhr im Projektbüro Chemnitz vorgestellt. Thomas Laux, Professor für Europäische Geschichte und Bürgergesellschaft erklärt, worum es geht.

Herr Laux, Chemnitz birgt großartige Industriekultur, doch immer wieder schwingt eine Art Mitleid mit der Kulturhauptstadt, ob sie es jetzt schaffe, aufzusteigen. Braucht Chemnitz überhaupt Mitleid?

Chemnitz braucht kein Mitleid, ich sehr keine Ursachen dafür. Es hat sich bei einigen eine Abstiegsgeschichte etabliert. Diese mag in einigen Punkten auch korrekt sein. Aber es ist es auch wert, zu schauen, was hat Chemnitz erreicht? Ist es wirklich so schlecht in manchen Punkten? Ist jetzt nicht auch ein richtig guter Startpunkt, um weiterzumachen? Negative Erzählungen helfen niemandem weiter. Chemnitz hat als Kulturhauptstadt eine gute Chance bekommen, das eigene Image zu korrigieren und sich selbst sichtbarer zu machen. Die Stadt darf aber nicht nur von außen, sondern auch von ihren Einwohnern selbst neu entdeckt werden. Auch sie können einen neuen Blick auf ihre Stadt bekommen.

Buch "Kulturhauptstadt 2025. Sozialräumliche Erkundungen"
Thomas Laux, Juniorprofessur für Europäische Kultur und Bürgergesellschaft an der TU Chemnitz erklärt MDR Wissen, welche Aspekte die Forschung zur Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 einbringen kann. Bildrechte: Thomas Laux

Chemnitz braucht also einen Perspektivwechsel?

Chemnitz ist eine große Stadt mit einer vielfältigen Bevölkerung. Es gibt viele kreative, engagierte Menschen, viel Kultur, Kunst und Museen. Chemnitz ist wirtschaftliches Zentrum, ökonomisch stark, hat eine tolle Bausubstanz, günstige Lebenshaltungskosten, viel Raum und eine spannende Universität. Das sind alles positive Dinge in Chemnitz, die viel zu wenig im Vordergrund stehen. Es gibt sehr viel zu entdecken.

Nazihochburg, raue Verliererstadt - Chemnitz kämpft mit vielen Klischees. Ist das auch der Grund für ihr Buch?

Indirekt. Chemnitz hat Probleme mit Rechtsextremismus, das kann und darf man nicht leugnen. Die Stadt ist Zentrum der rechtsextremen Bewegung in Sachsen. Das ist ein Aspekt. Es gibt jedoch viel mehr. Vieles ist unbeleuchtet und unentdeckt. Deswegen gibt es dieses Buch. Mit unserem Band wollen wir eine große Bandbreite von interessanten Aspekten über Chemnitz und auch über die Kulturhauptstadt beleuchten. Es geht um ein differenzierteres Bild, ohne Probleme zu verschleiern. Chemnitz ist mehr als die Summe seiner Klischees.

Sie möchten mit ihrem Buch Vielfalt zeigen, was können wir erfahren?

Im Wesentlichen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Chemnitz ihre Aspekte in den Band eingebracht. Wir haben ihn in fünf Schwerpunkte geteilt: Die Kulturhauptstadt als gesellschaftliches Projekt, lokale Kulturen in Chemnitz und Umgebung, Problemlagen – da geht es um Rechtsextremismus und Spaltungen. Außerdem sehen wir uns die Stadt im Wandel sowie die TU Chemnitz in der Stadtgesellschaft an. Hanne Schneider, eine Kollegin an der TU Chemnitz, hat hier einen sehr interessanten Beitrag über Migration, seine Kontinuitäten und Neuaushandlungen geschrieben.

Migration – warum?

Die Stadt der Textilindustrie war damals von Migration geprägt – und ist es heute. Der Anteil von nichtdeutschen Menschen in Chemnitz hat in den letzten zehn bis 15 Jahren sehr stark zugenommen. Das lässt sich an den von Schneider gezeigten Daten sehr schön nachverfolgen. Chemnitz hat jetzt quasi eine ganz neue Bevölkerungsgruppe. Hier geht es um Fragen der Integration, um neue Konzepte und auch große Chancen, die damit verbunden sind. Gerade vor dem Hintergrund, dass Chemnitz eine sehr überalterte Stadt ist.

Vietnamesische Gastarbeiterin in einer Baumwollspinnerei in Karl-Marx-Stadt
Schon zu DDR-Zeiten gab es viel Migration in Chemnitz. Dieses Bild zeigt eine vietnamesische Gastarbeiterin in einer Baumwollspinnerei im damaligen Karl-Marx-Stadt. Bildrechte: imago/PEMAX

Es geht auch um das koloniale Erbe von Chemnitz?

Ja, Stephan Schurig beleuchtet das koloniale Erbe von Chemnitz, was gar nicht so klein ist. Chemnitz war während der Industrialisierung eine sehr wichtige und sehr wohlhabende Stadt, natürlich auch mit vielfältigen Verbindungen zum Kolonialismus. Ein Beispiel sind Handelsbeziehungen zu den damaligen Kolonien, die es zu den Nachfolgestaaten in Teilen bis heute noch gibt.

Die Smoking Chemnitzerin skizzieren emanzipierte Räucherfrauen. Wie modern können Traditionen sein?

Die Kulturhauptstadt ermöglicht auch, unsere Traditionen und Vorstellungen dahinter genauer in den Blick zu nehmen. So kommen wir miteinander ins Gespräch. Manches erscheint zu Beginn undenkbar. Ja, es gab Widerstand, als Chemnitzer Forschende Räucherfrauen dargestellt haben und nicht mehr nur Männer. Doch es gab auch viel Zuspruch und viel Interesse – auch überregional. Wandel geht immer mit Konflikten einher, bietet aber auch großartige Chancen. Man kann ganz neu produktiv werden. Nicht nur im Kunsthandwerk, sondern auch in allen anderen Bereichen.

Wie ist Ihr Buch entstanden?

Die Idee kam uns Mitte 2023. Wir haben schnell IdeengeberInnen gesucht und sind offene Türen eingerannt. Alle wollten mitmachen und haben sich wirklich beeilt. Ein Buchprojekt dauert ja sonst ewig, wir waren nach 15 Monaten fertig, das ist sportlich. Es hat alles wunderbar geklappt. Die KollegInnen haben einen Band gemacht, der aus wissenschaftlicher Perspektive ein differenziertes und vielfältiges Bild über Chemnitz liefert – ohne Probleme zu leugnen oder zu ignorieren.

Während der Industrialisierung war Chemnitz wirtschaftliches Zentrum – was sagt uns das heute?  

Chemnitz‘ Geschichte zeigt uns, dass es immer wieder neue Anfänge geben kann. Chemnitz kann den Schwung durch die Kulturstadt mitnehmen, die gute wirtschaftliche Entwicklung weiterzutragen und neue Punkte zu setzen.

Buchvorstellung Dienstag 19 Uhr im Projektbüro Chemnitz Das Buch Kulturhauptstadt 2025. Sozialräumliche Erkundungen" wird am Dienstag im SLbP-Projektbüro Chemnitz, in der Brückenstraße 10 vorgestellt.

Links/Studien

Originalpublikation:
Thomas Laux / Ulf Bohmann (Hrsg.) (2024): Kulturhauptstadt Chemnitz 2025. Sozialräumliche Erkundungen, Bielefeld: transcript. (https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-7234-3/kulturhauptstadt-chemnitz-2025/)

(tomi)

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. Januar 2025 | 16:40 Uhr

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