Baby-Mumie in Seidenmantel
Säuglingsmumie des Erbgrafen Reichard Wilhelm von Starhemberg. Das Kind wurde mit einem kostbaren Seidenmantel bestattet. Bildrechte: Nerlich et al.

Virtuelle Autopsie Baby-Mumie aus Österreich – Kind wurde vor der Sonne versteckt

28. Oktober 2022, 08:00 Uhr

Ein deutsch-österreichisches Forscherteam hat in einer virtuellen Autopsie die Geheimnisse einer einzigartigen Säuglingsmumie aus dem Österreich des 17. Jahrhunderts gelüftet. Der kleine Hochadelige aus dem mächtigen Geschlecht der Grafen von Starhemberg war extrem gut gefüttert, aber sehr schlecht versorgt. Vor allem fehlte dem Kind das Sonnenlicht, was maßgeblich auch seinen Tod beförderte.

Dem 1625 geborenen Erbgrafen Reichard Wilhelm von Starhemberg waren ein begütertes Leben, Ansehen und Macht in die Wiege gelegt. Seine Familie gehörte zu den ältesten und einflussreichsten Hochadelsgeschlechtern Österreichs, deren Wurzeln bis ins 12. Jahrhundert zurückreichten. Zahlreiche große Feldherrn und Politiker des Habsburger-Reiches wie Feldmarschall Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg (1638-1701), der Wien 1683 als Stadtkommandant gegen die Türken verteidigte, oder der Oberhofmeister und wichtige Vertraute Maria Theresias, Georg Adam von Starhemberg (1724-1807), entstammten diesem Geschlecht.

Spross aus mächtiger Grafenfamilie

Ernst Rüdiger Graf von Starhemberg
Feldmarschall Ernst Rüdiger von Starhemberg (1638-1701). Bildrechte: IMAGO/piemags

Auch Reichard Wilhelm hätte als ältestem Sohn eines Starhemberg-Grafen eine große Karriere im Dienste der Habsburger Monarchen offen gestanden. Doch dazu kam es nicht. Der Erbgraf starb 1626 wahrscheinlich mit nur zehn, spätestens aber mit 18 Monaten an einer Krankheit. Das war nicht ungewöhnlich für die Frühe Neuzeit mit ihrer hohen Säuglingssterblichkeit. Doch das Starhemberg-Kind fiel keiner der damals häufigen Seuchen zum Opfer. Und auch Nahrungsmangel war nicht die Ursache seines frühen Todes. Ganz im Gegenteil: Der Säugling war außerordentlich "gut genährt", um es vornehm auszudrücken. Seine hohe Körperfettmasse sorgte für beträchtliche Falten an den Oberschenkeln und auch sein Bauchfett war mit einem Zentimeter für ein Baby außergewöhnlich.

Extrem seltene Säuglingsmumie

Linke Hand einer Baby-Mumie, auf dem Bauch liegend
Die linke Hand der Baby-Mumie auf dem Bauch liegend: Der tiefliegende Bauchnabel weist auf eine große Fettschicht hin. Bildrechte: Nerlich et al.

Doch ausgerechnet diese Fettleibigkeit des Kindes ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass ein deutsch-österreichisches Forscherteam knapp 400 Jahre später den Gesundheitszustand, die Todesursache und die Identität des Säuglings detailliert ermitteln konnte. Denn die dicke Fettschicht wirkte wie eine Art Schutzhülle. Sie sorgte zusammen mit dem sofortigen Luftabschluss nach der Beisetzung der Babyleiche 1626 in der Familiengruft der Grafen von Starhemberg im oberösterreichischen Hellmonsödt für eine exzellente Mumifizierung. Für den Pathologen Prof. Dr. Dr. Andreas Nerlich von der München Klinik Bogenhausen ein wissenschaftlicher Glücksfall. Denn Säuglingsmumien aus Europa seien extrem selten, erklärte der Mumienforscher.

Virtuelle Autopsie und Radiokarbontest

Gesicht der Baby-Mumie Hellmonsödt
Das Gesicht der Säuglingsmumie aus Hellmonsödt. Bildrechte: Nerlich et al.

Nerlich und sein Team hatten die Gelegenheit, eine umfassende virtuelle Autopsie und einen Radiokarbontest an der Mumie durchzuführen. Ihre Studienergebnisse sind jetzt in dem Fachjournal "Frontiers of Medicine" erschienen. Mittels CT-Scan untersuchten die Wissenschaftler in 600 Schichten Knochen und Weichgewebe. Die Analyse der Weichgewebe offenbarte das starke Übergewicht des Starhemberg-Kindes, was die Wissenschaftler auf eine Ernährung mit extrem kalorienreicher Kost zurückführten. Die Knochen des Säuglings erzählten jedoch eine ganz andere Geschichte. Sie ließen eine ausgeprägte Mangelversorgung mit dem Vitamin D erkennen.

Rachitis durch Vitamin-D-Mangel

So stellten Nerlich und Kollegen an den Rippen des Säuglings das Muster eines "Rachitischen Rosenkranzes" fest. Dabei kommt es zu Aufreibungen an der Knorpel-Knochen-Grenze der Rippen und entlang des Brustbeins.

CT-Scan von Baby-Mumie
Der CT-Scan der Baby-Mumie zeigt unter anderem das Muster eines "Rachitischen Rosenkranzes". Bildrechte: Nerlich et al.

Die Missbildung tritt normalerweise in Verbindung mit einer schweren Rachitis auf, einer Krankheit, bei der die Mineralisation der wachsenden Knochen gestört ist. Ursache ist ein akuter Vitamin-D-Mangel. Allerdings wurde die für eine Rachitis typische Knochenverformung an Beinen oder Armen des Starhemberg-Kindes nicht festgestellt. Das könnte nach Einschätzung der Forscher daran liegen, dass der Säugling weder ging noch kroch. Er war, wie für Babys seiner Zeit üblich, fest in einem Bündel eingewickelt. Deshalb konnten sich auch seine Knochen nicht verbiegen.

Gestörter Vitamin-D-Stoffwechsel

Aufgrund des adipösen Ernährungszustandes des Starhemberg-Kindes konnten die Wissenschaftler einen Nahrungsmangel als Grund für das akute Vitamin-D-Defizit ausschließen. Also musste die Rachitis des Säuglings von einer anderen Störung des Vitamin-D-Stoffwechsels herrühren, wie Forschungsteam-Leiter Nerlich feststellte: "Die Kombination von Fettleibigkeit mit einem schweren Vitaminmangel kann nur durch einen allgemein guten Ernährungszustand zusammen mit einem fast vollständigen Mangel an Sonneneinstrahlung erklärt werden."

Mangel an Sonnenlicht

EIne Zeichnung zeigt Mütter mit eingewickelten Babys im 13. Jahrhundert.
Mütter mit eingewickelten Babys im 13. Jahrhundert, mittelalterliche Darstellung. Bildrechte: IMAGO / agefotostock

Der Pathologe verwies in dem Zusammenhang auf die "Lebensbedingungen von hochadeligen Säuglingen früherer Bevölkerungen". Unser heutiges Wissen über eine ausgewogene Ernährung und Lebensführung sei damals unbekannt gewesen, sagte Nerlich. Babys seien in einem Bündel verschnürt worden, bei dem allenfalls noch das Gesicht herausgeschaut habe. Man habe sie auch nicht mit aus dem Haus genommen, wodurch die wichtige Aufnahme von Sonnenlicht verhindert worden sei.

Nerlich und Kollegen schrieben dazu in ihrer Studie: "Es ist interessant, dass in früheren Zeiten sozial hochrangige Menschen Sonneneinstrahlung und insbesondere eine Färbung der Haut vermieden haben. Von Aristokraten wurde erwartet, dass sie weiße, blasse Haut haben, während von Arbeitern erwartet wurde, dass sie Sonnenbräune haben. Dies galt auch für kleine Säuglinge, die wie das Starhemberg-Kind aufgrund des Fehlens ultravioletter Strahlen auf ihrer Haut Gefahr liefen, Rachitis zu entwickeln."

Tod durch Lungenentzündung

Diese Rachitis könnte dem Starhemberg-Säugling letztlich auch zum Verhängnis geworden sein. Wie die virtuelle Autopsie durch Nerlich und Kollegen ergab, starb der Baby-Erbgraf 1626 an einer Lungenentzündung. Da Kinder mit Rachitis besonders anfällig für Lungenentzündungen waren, könnte dieser Ernährungsmangel somit auch zum frühen Tod des Säuglings beigetragen haben, vermuten die Wissenschaftler.

Klärung der Identität der Säuglingsmumie von Hellmonsödt Dass es sich bei der Säuglingsmumie aus der Starhemberg-Gruft in Hellmonsödt um den Erbgrafen Reichard Wilhelm von Starhemberg gehandelt haben muss, stellte das Forscherteam um Prof. Dr. Dr. Andreas Nerlich anhand eines Radiokarbontests sowie bei Untersuchungen von Familienakten und Grabbeigaben fest. Laut der Radiokarbondatierung der Haut starb das Kind zwischen 1550 und 1635. Historischen Aufzeichnungen zufolge muss die Beerdigung nach 1600 stattgefunden haben. Damit gab es nur einen möglichen Kandidaten für den kleinen Jungen, der in einem teuren Seidenmantel beigesetzt wurde: Erbgraf Reichard Wilhelm (1625-1626). Seine trauernde Familie bestattete ihn in einem kleinen Holzsarg neben seinem Großvater und Namensvetter Graf Reichard von Starhemberg.

Ausgrabungsfund in einem Erdloch 4 min
Bildrechte: Anne Sailer
4 min

Die Archäologie in Sachsen-Anhalt brütet über einem ungewöhnlichen Fund: Ein Kind, das vor knapp 4.000 Jahren mit reichen Grabbeigaben bestattet wurde. MDR-WISSEN-Reporterin Anne Sailer war vor Ort.

MDR KULTUR - Das Radio Do 26.08.2021 17:51Uhr 03:58 min

https://www.mdr.de/wissen/audios/grab-sauegling-archaeologie-bronzezeit-halle100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio
Virtuelle Rekonstruktion der Lage des Skeletts 4 min
Bildrechte: Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte Jena/Jorge González/Elena Santos
404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/feee08d6-6303-4710-9cea-04a9dae6b1a3 was not found on this server.