Fraunhofer-Forschung Im Handumdrehen: Jenaer Forscher machen 3D-Scanner mobil
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17. April 2023, 15:56 Uhr
Mit dem neuen tragbaren Scanner goSCOUT3D kann man Objekte im "Handumdrehen" in ein digitales 3D-Modell umwandeln. Entwickelt hat den Scanner das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik in Jena.
3D-Scanner an sich sind nicht neu. Aber normalerweise muss das zu vermessende Objekt kleiner als der Scanner sein, man muss es zum Scanner bringen, in ihn hineinstellen oder -legen, und die Scan-Einheit fährt dann um das Objekt herum. Bei so einer Methode sind der Größe des gescannten Objekts enge Grenzen gesetzt. Ein großes Flugzeugtriebwerk beispielsweise wird man so nur schwer zu einem 3D-Scan "überreden" können.
Schöner wäre doch, wenn ein kleiner, handlicher 3D-Scanner zum Objekt kommen könnte, dachte man sich bei der MTU Maintenance in Hannover, dem weltweit führenden Anbieter von Instandhaltungsleistungen für Luftfahrtantriebe. Um Eingangs- und Ausgangszustand von Triebwerken dokumentieren zu können, wünschte man sich dort eine unkomplizierte und anwenderfreundliche Lösung zur vollständigen dreidimensionalen Digitalisierung. Bislang gab es da nur Vorher-nachher-Fotos, exakte 3D-Modelle der Zustände wären natürlich viel genauer.
Mit diesem Wunsch wandten sich die Triebwerk-Instandhalter an das Fraunhofer IOF in Jena, jenes Institut, das schon am James-Webb-Weltraumteleskop beteiligt war und jüngst ein Spiegelteleskop auf die Juice-Mission zum Jupiter schickte. Die Forscherinnen und Forscher aus Jena legten los und haben ihn nun fertiggestellt, ihren tragbaren 3D-Scanner, den sie "goSCOUT3D" tauften.
Auf den ersten Blick wirkt der Scanner wie eine futuristische große Taschenlampe, was am visuell auffälligsten Merkmal liegt, dem weißen Ringlicht. Dieses dient der stetigen guten Ausleuchtung der Messszene, um die für den Handbetrieb erforderlichen kurzen Belichtungszeiten zu ermöglichen. "Bei einer standardmäßigen Messentfernung von einem Meter und einem Bildfeld von etwa einem Quadratmeter erreichen wir somit eine außerordentlich hohe Aufnahmegeschwindigkeit von bis zu 6 m² Objektoberfläche pro Minute", sagt Marc Preißler, Mitentwickler von goSCOUT3D.
Fotogrammetrie
Der neue Jenaer Sensor nutzt das Prinzip der sogenannten Fotogrammetrie. "Bei diesem Messverfahren werden hochauflösende zweidimensionale Farbbilder von der zu messenden Szene aus vielen verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen", erklärt Entwickler Dr. Stefan Heist. Man geht also, den Scanner in der Hand haltend, mit etwa einem Meter Abstand um ein nahezu beliebiges Objekt herum und macht dabei Bilder aus möglichst jedem Winkel. Die integrierte 20-Megapixel-Farbkamera ermöglicht eine räumliche Auflösung von weniger als einem Viertelmillimeter.
Damit hat man dann erst mal "nur" viele Bilder des Objekts, bis hierhin wäre alles auch mit einer guten normalen Kamera möglich. Um aus den Bildern ein 3D-Modell zu errechnen, das hochaufgelöste Informationen zu Form, Farbe und Oberflächentextur enthält, bedarf es eines weiteren Schrittes. "Anschließend werden in der Fotostrecke markante Objektpunkte identifiziert", erläutert Stefan Heist. "Tauchen diese in mehreren Bildern auf, können wir über das Prinzip der Triangulation die zugehörigen 3D-Punkte und schlussendlich die 3D-Daten der gesamten Szene berechnen." Und das macht der Scanner selbst, man braucht also kein weiteres Computerprogramm dafür.
In wenigen Minuten zum komplexen 3D-Modell
Der Scanner kommt, um keine Einschränkungen bei der Mobilität zu machen, ohne Stromkabel aus. Aber die Sensor-Einheit allein wiegt 1,3 Kilogramm, dazu kommt das Akku-Gewicht. Deshalb ist es für den Nutzer, der den Scan-Vorgang ausführt, natürlich umso weniger anstrengend, je schneller es geht. Die Frage war also, ob man die typischerweise sehr zeitintensive Verarbeitung der vielen Einzelbilder irgendwie abkürzen könnte.
Die Antwort lautet: ja. Denn den Forscherinnen und Forschern aus Jena ist es gelungen, das Prinzip der Fotogrammetrie um die Positions- und Orientierungsdaten der Messeinheit zu ergänzen. Sprich: Auch Lage und Bewegungsrichtung des Sensors fließen in die Berechnung ein. "Steckt man dieses Vorwissen in die fotogrammetrische Auswertung, kann die Rechenzeit speziell bei komplexen Messobjekten um mehr als die Hälfte reduziert werden", sagt Marc Preißler. Innerhalb weniger Minuten könne auf diese Weise ein komplexes 3D-Modell erstellt werden.
Der "Auftraggeber" ist mit dem Scanner hochzufrieden, "goSCOUT3D ermöglicht uns eine ganzheitliche und detailgetreue Ansicht unserer Triebwerke in 3D und 2D inklusive Navigationsmöglichkeiten", sagt Dr. Frank Seidel von der MTU in Hannover, das Gerät werde zu einer deutlichen Effizienzsteigerung führen.
Viele Einsatzgebiete möglich
Aber natürlich können mit goSCOUT3D nicht nur Triebwerke zum digitalen 3D-Modell gemacht werden. Der Scanner könnte sich laut den Entwicklern ebenso für den Einsatz in der Medizin, in Forschung und Wissenschaft oder für die Bereitstellung von Daten für Augmented-Reality-Anwendungen anbieten. Auch bei Architekten habe das Gerät schon für Interesse gesorgt.
"Wir geben Nutzerinnen und Nutzern mit goSCOUT3D – im wahrsten Sinne des Wortes – ein flexibles 3D-Sensorsystem an die Hand, das neue Möglichkeiten in der Digitalisierung und Dokumentation von Objekten bietet", sagt Entwickler Stefan Heist vom Fraunhofer IOF.
Noch kann man den Scanner nicht kaufen, aber er wird in Kürze auf zwei Fachmessen der Öffentlichkeit vorgestellt, erst auf der OPIE'23 im japanischen Yokohama vom 19. bis 21. April und dann auch in Deutschland auf der CONTROL, einer internationalen Fachmesse für Technologien zur Qualitätssicherung, die vom 9. bis 12. Mai in Stuttgart stattfindet.
Wenn goSCOUT3D dort auf starkes Interesse stößt, dann könnten Produktion und Vertrieb schon relativ zeitnah beginnen, sagt Mitentwickler Marc Preißler, darauf sei man mit Hilfe von Partnern schon vorbereitet.
Für private 3D-Enthusiasten sei das Gerät allerdings vermutlich noch nicht erschwinglich, fügt Preißler hinzu, die Kosten lägen derzeit noch deutlich im fünfstelligen Bereich. Dass nach Weiterentwicklungen und einer möglichen Serienproduktion irgendwann auch vierstellige Preise möglich sind, will er aber nicht ausschließen.
(rr)