Die Milchstraße ist am Nachthimmel zu sehen 4 min
Bildrechte: imago/ZUMA Press
4 min

MDR KULTUR - Das Radio Fr 24.01.2025 11:40Uhr 04:18 min

https://www.mdr.de/wissen/audios/eso-konflikt-lichtverschmutzung-chile-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Extremely Large Telescope Astronomie: Riesiges Industrieprojekt gefährdet größtes Teleskop der Welt

26. Januar 2025, 15:00 Uhr

An der Europäischen Südsternwarte in Chile entsteht derzeit das größte optische Teleskop der Welt. Nun will ein Konzern direkt daneben eine riesige Wasserstoffanlage errichten. Forscher fürchten irreparable Schäden.

Autorenfoto von Clemens Haug
Bildrechte: Tobias Thiergen/MDR

Wenn Eicke Guenther über das Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO) am Cerro Paranal spricht, kommt er ins Schwärmen. "Das sind paradiesische Bedingungen dort in der Atacama-Wüste, das gibt es sonst kaum noch irgendwo anders auf der Welt", sagt der Astronom von der Thüringer Landessternwarte. Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen hat Gunther die Teleskope der ESO schon für eigene Forschung genutzt. Denn anders als im Himmel über der Sternwarte im Wald nahe Jena wird es im Norden Chiles nachts vollkommen dunkel. In der Wüste leben kaum Menschen, folglich gibt es kein künstliches Licht, das in den fast immer wolkenfreien Himmel streuen könnte. Einzigartige Bedingungen für die Erforschung des Universums – die jetzt in Gefahr sind durch ein industrielles Großprojekt. Guenther und viele seiner Kollegen sind entsetzt.

Die Atacama: Auch für grünen Wasserstoff perfekte Bedingungen

Ende Dezember hat der Energiekonzern AES Andes bei den Behörden die Prüfung der Umweltverträglichkeit für eine riesige Erzeugungsanlage für grünen Wasserstoff eingereicht. Auf 3.000 Hektar sollen Windräder und Solarfelder bis zu 2,2 Gigawatt Strom erzeugen. Der würde mittels Elektrolyse zunächst in Wasserstoff umgewandelt und durch weitere Verarbeitung zu Ammoniak veredelt. Über einen neu zu bauenden Hafen sollen die beiden Kraftstoffe exportiert werden können. All diese Anlagen sollen in einem Abstand von fünf bis zehn Kilometern neben den Teleskopen der ESO aufgebaut werden. Seit Januar protestiert die Südsternwarte öffentlich gegen das Projekt.

Xavier Barcons
ESO-Direktor Xavier Barcons. Bildrechte: IMAGO / Xinhua

ESO-Direktor Xavier Barcons versteht zwar, was die Wüste für ein Großprojekt zur CO2-freien Erzeugung von Wasserstoff so attraktiv macht. Wolkenlose Himmel bedeuten nahezu ungehinderte Stromproduktion mithilfe von Photovoltaik. Auch Windräder arbeiten hier dank konstanter Winde extrem effizient. Es gibt keine Nachbarn, die gegen die Anlagen protestieren, und der nahe Ozean erlaubt schnelles Verschiffen der erzeugten Energieträger. "Aber aus Gründen, die ich nicht vollständig kenne oder verstehe, wollen sie diese Anlagen genau neben dem Territorium errichten, das wir verwalten", sagt Barcons im Gespräch mit MDR WISSEN.

ESO-Observatorium am Paranal: Teleskope von Weltrang

Seit 1999 betreibt die ESO das Observatorium, das bereits heute mit dem Very Large Telescope (VLT) eines der größten Teleskope der Welt beherbergt. Das aus vier einzelnen Teleskopen mit jeweils über acht Meter breiten Hauptspiegeln bestehende Instrument gehört zur Weltspitze der Astronomie. Wissenschaftler nennen es in einem Atemzug mit dem James-Webb-Weltraumteleskop der Nasa oder den amerikanischen Sternwarten auf dem Mauna Kea auf Hawaii.

In etwa zehn Kilometern Luftlinie zur bestehenden Einrichtung entsteht auf dem Cerro Armazones derzeit das größte optische Teleskop der Welt. Das Extremely Large Telescope (ELT) wird einen fast 40 Meter durchmessenden Hauptspiegel haben und wird das vermutlich lichtempfindlichste Teleskop der Menschheit sein. Ab 2029 wollen Wissenschaftler mit seiner Hilfe erforschen, ob es Planeten um fremde Sterne gibt, deren Atmosphären auf Leben hindeuten, oder wie Sterne und Galaxien kurz nach dem Urknall ausgesehen haben. Die Investition in das Instrument wird am Ende über zwei Milliarden Euro betragen.

Very Large Telescope
Das Very Large Telescope auf dem Cerro Paranal. Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Ein aufgehellter Nachthimmel: Hindernis für wichtige Forschungsprojekte

Die ESO hat bereits im September von den Plänen erfahren und nach eigener Darstellung mehrfach das Gespräch mit dem Konzern gesucht. Die Atacama ist schließlich groß. Aus Sicht der Astronomen ist eine Verlegung der Fabrik in einen Abstand von 50 Kilometern oder mehr kein Problem. Auch weiter im Norden scheint die Sonne, weht der Wind, gibt es ausreichend Platz an der Küste für Wasserstofferzeugung und Hafenanlagen. Doch AES möchte bislang auf diese Wünsche nicht eingehen. Eine Anfrage zu den Hintergründen der Standortentscheidung ließ das Unternehmen bislang unbeantwortet.

Das Extremely Large Telescope (ELT) wird auf dem Gipfel des Cerro Armazones stehen, etwa 3046 Meter hoch in der chilenischen Atacama-Wüste, umgeben von atemberaubenden Aussichten auf die Ebenen darunter.
Wird gerade gebaut: Das ELT wird ab 2029 das größte Teleskop der Welt sein. Bildrechte: ESO

Der Bau der Anlage würde Staub aufwirbeln, der die empfindlichen Instrumente der ESO beschädigen könnte. Noch schlimmer aber wäre die Beleuchtung, die die Anlage in der Nacht in den Himmel abstrahlen würde. Die ESO hat die Effekte in einer Simulation berechnet und kommt zum Ergebnis: Viele Forschungsprojekte, die besonders leuchtschwache Bereiche betreffen, wären nicht mehr möglich. "Etwa das circumgalaktische Medium, Gas, das Galaxien umgibt, das ist so schwach: So etwas werden wir nicht mehr messen können, wenn der Lichthintergrund am Himmel zunimmt", warnt Barcons.

Industrieanlagen: Größte Quelle nächtlicher Lichtverschmutzung

Blick auf das nächtliche Leipzig aus südlicher Richtung
Nachts nicht die größte Lichtquelle: Blick auf Leipzig. Bildrechte: MDR/Docstation

Weil das ELT auf Jahrzehnte hinweg das größte Teleskop der Welt sein wird, wird es auch kein anderes Instrument geben, das diese entstehende Lücke füllen könnte. "Das bedeutet, jeder Verlust wird für die Wissenschaft unwiederbringlich sein", sagt der ESO-Direktor. Sollte die Wasserstoffanlage genehmigt werden, steht für Barcons das gesamte Engagement der ESO am Paranal auf dem Spiel. "Wenn die Bedingungen dort nicht mehr die besten der Welt für Astronomie sind, dann wird es für uns schwer, bei unseren Mitgliedstaaten für weitere Investitionen in die Anlagen zu werben."

Wie groß der Einfluss von Industrieanlagen auf den Nachthimmel ist, das hat Eicke Guenther an der Landessternwarte in Thüringen einmal selbst nachgemessen. Denn nicht nur nahe Städte wie Jena, sondern auch entferntere Quellen, wie der Raum Halle-Leipzig, erzeugen sogenannte Lichthöfe am Rand des Beobachtungsfelds der Tautenburger Teleskope. "Und da kann man dann schauen, was sind denn die größten Lichtquellen in Leipzig. Vielleicht denkt man an den Augustusplatz, dass der besonders hell ist. Aber wenn man dann genau nachschaut, dann sieht man: Es ist der Flughafen in Schkeuditz, und es ist das Industriegebiet südlich von Halle."

Wer nachts einmal am Chemiepark in Leuna vorbeigefahren ist, weiß: Heller geht kaum.

Der Chemiepark bei Leuna bei Nacht 2019: Autofahrer auf der nahen A38 sehen ihn wegen der Beleuchtung nachts schon von weitem.
Bildrechte: IMAGO / Olaf Döring

Links/Studien

  • Science: Energy megaproject in Chile threatens the world’s largest telescopes

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 25. Januar 2025 | 09:23 Uhr

404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/8024e3c6-a487-41c3-90a9-dbbf185f50e0 was not found on this server.

Mehr zum Thema

Farbige Illustration eines Planeten, ähnlich eines Gasriesen wie Jupiter; rotbraune Struktur wie langgezogene Wolken. Auf dem dunklen Hintergrund Sterne, bunte Wolke.
Home alone, und das zu Weihnachten! Diese künstlerische Darstellung zeigt ein Beispiel für einen Einzelgänger-Planeten, der von ESO-Forschenden in der Region Rho Ophiuchi entdeckt wurde. Bildrechte: ESO/M. Kornmesser