Impfstopp Astrazeneca und Thrombosen – Greifswalder Forscher finden die Ursache

16. März 2021, 15:29 Uhr

Erst gab es Entwarnung, dann doch den Stopp der Corona-Impfungen mit dem Wirkstoff Astrazeneca auch in Deutschland. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat die Thrombosefälle überprüft und hält den Impfstoff für sicher. Deutschland impft wieder mit Astrazeneca und Greifswalder Forscher haben offenbar die Ursache für die Thrombosen entdeckt.

Update 01.04.2021: Greifswalder Forscher erklären im Pressegespräch die Hintergründe - Auswirkungen auf andere Impfstoffe offen

Die Greifswalder Forscher haben in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten den aktuellen Stand des Wissens bei den Sinusvenenthrombosen erläutert. Alle Details dazu hinden Sie in unserem Beitrag hier:

Update 19.03.2021: Greifswalder Forscher finden Behandlungsmöglichkeit

Ein Team von Forschenden der Uniklinik Greifswald hat die Ursache für Hirnthrombosen nach einer Impfung mit Astrazeneca gefunden. Wie der NDR meldet, haben die Mediziner in Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut mehrere Blutproben untersucht. Sie hätten dabei herausgefunden, dass das Mittel in dem Körper der Betroffenen einen Abwehrmechanismus ausgelöst und die Blutplättchen aktiviert habe. Das normalerweise bei der Wundheilung, führte hier aber zu Blutgerinnseln im Gehirn. Den Forschern sei es außerdem gelungen, eine erfolgreiche Behandlungsmöglichkeit aufzuzeigen. Die Informationen über den Wirkstoff, der in solchen Fällen genutzt werden kann, seien bereits Kliniken in ganz Europa übermittelt worden.

Laut Unimedizin Greifswald war der Erfolg nur möglich durch die Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut und Ärzten aus Österreich – dort war eine Krankenschwester nach einer Astrazeneca-Impfung an einer Thrombose im Gehirn verstorben. Die Studienergebnisse würden noch im Wissenschaftsmagazin "The Lancet" veröffentlicht.

Update 18.03.2021 EMA: Astrazeneca-Impfstoff ist sicher

Die Europäische Arzneimittelagentur EMA stuft den Corona-Impfstoff von Astrazeneca weiter als sicher ein. Behördenchefin Cooke sagte am Donnerstag nach einer Sondersitzung, die Vorteile beim Schutz vor Covid-19 seien wesentlich größer als die Risiken. Es werde empfohlen, vor möglichen seltenen Blutgerinnseln in Hirnvenen zu warnen. Das sollte im Beipackzettel bei den Nebenwirkungen aufgenommen werden. Die EMA bekräftigte, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass die Impfungen die gemeldeten Gerinnsel verursacht hätten. Dennoch sei es nicht ausgeschlossen. Daher würden die Prüfungen auch fortgesetzt. - Der Grünen-Gesundheitsexperte Dahmen sprach bei MDR AKTUELL von einer sehr guten Nachricht. Man müsse nun dringend die Impfungen mit AstraZeneca wiederaufnehmen. Wie bei anderen Medikamenten auch gebe es seltene, kaum wahrscheinliche Nebenwirkungen. Bei der Risiko-Nutzen-Abwägung solle aber der Nutzen - der Schutz vor Covid-19 - überwiegen. Bund und Länder beraten heute darüber, wie die Impfkampagne zu beschleunigen ist. Dabei wird es auch darum gehen, ab wann Hausärzte gegen Corona impfen könnten.

Als in der vergangenen Woche die ersten Ländern Europas die Impfungen mit dem Astrazeneca-Impfstoff aussetzten, gab das in Deutschland für die Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut Entwarnung. Damals lautete die Einschätzung: Im Rahmen der Impfung treten Thrombosefälle nicht häufiger auf als normalerweise. Je 1.000 Einwohner in Deutschland gibt es jedes Jahr mindestens einen Fall von venösen Thrombosen. Die Zahl der Fälle, die im Zusammenhang mit der Impfung gemeldet wurden, lagen deutlich darunter, bei weniger als einem Fall pro 100.000 Impfungen.

"Diese Anzahl ist nicht höher als die Zahl der thromboembolischen Ereignisse, die statistisch zufällig in der exponierten Bevölkerung auch ohne Impfung vorkommen würden", schrieb das Paul-Ehrlich-Institut am 11.3.2021.

Neue Daten, andere Entscheidung

Jetzt gibt es neue Daten. Laut den Expertinnen und Experten des Paul-Ehrlich-Instituts gibt es "eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen (Sinusvenenthrombosen) in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit dem COVID-19-Impfstoff AstraZeneca", so das Institut in einer Mitteilung. Es seien sieben Fälle aufgetreten, in drei der Fälle sei die Krankheit tödlich verlaufen. Betroffen waren sechs Frauen und ein Mann, im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. "Ich glaube, hier ist es gerechtfertigt, zu pausieren", so PEI-Chef Klaus Cichutek zur Begründung des Impfstopps. Diese neuen Daten müssten nun mit den europäischen Partnern untersucht und abgeglichen werden.

Sinusvenenthrombosen sind sehr schwere Erkrankungen, so Cichutek. Die Blutgerinnsel im Gehirn können schwere Schlaganfälle verursachen, treten aber viel seltener auf als gewöhnliche Thrombosen. Wer in den letzten vier bis 16 Tagen geimpft wurde und immer noch Nebenwirkungen wie starke Kopfschmerzen oder Einblutungen in der Haut hat, sollte zum Arzt gehen, so Cichutek. Bei wem die Impfung 16 Tage oder länger her ist, für diejenige oder denjenigen gibt es Entwarnung.

Wie oft treten Sinusvenenthrombosen auf?

Diese Art der Thrombose tritt in der allgemeinen Bevölkerung circa zwei bis fünf mal pro einer Millionen Personen pro Jahr auf. Es gibt allerdings auch Studien, die bis zu 15 Fälle pro Million angeben. Laut Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), treten sie in Deutschland einmal pro 100.000 Einwohner und Jahr auf.

Frauen sind häufiger als Männer betroffen und wahrscheinlich spielen Hormone eine Rolle. In der späten Schwangerschaft, im Wochenbett und bei Frauen, die die Antibabypille einnehmen, sehen wir die Sinusvenenthrombosen am häufigsten.

Prof. Dr. Peter Berlit, Gesellschaft für Neurologie

Zum Vergleich: Bei 1,6 Millionen Geimpften in Deutschland entsprächen sieben Fälle insgesamt circa vier Fällen pro einer Million Geimpfter seit Start der Impfungen Anfang Februar. 

"Dies dürfte der Anlass sein, die Impfung nunmehr auch in Deutschland auszusetzen, bis alle Fälle inklusive Verdachtsfälle in Deutschland und Europa restlos aufgeklärt sind", so Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin der München Klinik Schwabing.

Keine Hinweise aus Großbritannien

Um das Risiko einschätzen zu können, muss jetzt jeder Einzelfall geprüft werden. Und auch die Daten aus Europa insbesondere aus Großbritannien werden dann ausgewertet. Denn "in England wurde der Astrazeneca-Impfstoff schon viel häufiger verabreicht als in Deutschland – ich schätze circa zehnmal mehr. Dort wurden diese Symptome bisher nicht beobachtet", erklärte Prof. Dr. Stephan Becker, Leiter des Instituts für Virologie, Philipps-Universität Marburg.

Und bei der Bewertung wird auch eine Rolle spielen, dass Thrombosen ebenfalls bei Covid-19 bekannt sind, wenn das Immunsystem durch die Erkrankung massiv hochreguliert wurde. "Und im Rahmen dessen kann eine erhöhte Gerinnungsneigung des Blutes und damit eine erhöhte Thromboseneigung auftreten", so Prof. Dr. Peter Berlit. "Und so kommt es zu Thrombosen nicht nur in den peripheren Venen und in den Lungen, sondern selten auch in den Hirnvenen."

WHO und EMA stehen weiter hinter Astrazeneca

Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat bislang keine Hinweise darauf, dass der Coronavirus-Impfstoff von Astrazeneca eine Blutgerinnung verursacht. Auf eine Pressekonferenz heute sagte Behörden-Chefin Emer Cooke, die Zahl der aufgetretenen Fälle von Thrombosen sei nicht höher als ihr Anteil an der nicht mit dem Mittel geimpften Bevölkerung. Die Vorteile der Impfung überwiegen demnach mögliche Risiken. Sie sei weiter "zutiefst überzeugt" von dem Impfstoff.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht laut tagesschau.de derzeit kein Alarmzeichen. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus sagte in Genf, die Vorfälle seien nicht notwendigerweise aufs Impfen zurückzuführen. "Es ist eine Routine-Praxis, das zu untersuchen."

Was ist mit der Antibaby-Pille?

Das Paul-Ehrlich-Institut hat Fragen und Antworten zum Impfstopp in einem pdf zusammengetragen (Hier können Sie es downloaden). Darin wird auch auf die Frage eingegangen, warum es Aufregung um Astrazeneca gibt, wo es doch bei der Antibaby-Pille ein ähnliches Risiko gibt? Die Antwort: "Es ist richtig, dass für Anti-Baby-Pillen Thrombosen, auch mit tödlichem Verlauf, als sehr seltene Nebenwirkung bekannt sind. Sie sind in der Patienteninformation aufgeführt. Die Anti-Baby-Pille ist verschreibungspflichtig. Jede Frau muss von der verordnenden Ärztin bzw. von dem verordnenden Arzt über dieses Risiko aufgeklärt werden."

gp/smc

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