MDR-Doku Arktis im Wandel: Gefährliche Viren aus dem Permafrost und Rentiere auf Umwegen
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06. November 2021, 15:00 Uhr
In der russischen Arktis lässt sich der Klimawandel der Erde wie in einem Brennglas beobachten. Das Gebiet, größer als Australien, ändert sich rasant. Welche Folgen hat das, welche Kettenreaktionen werden angestoßen?
Es sind immer wieder Schlagzeilen, einzelne kleine Schlaglichter, die aus der Arktis in den Medien aufflackern. Als 2019 ein Eisbär, hunderte Kilometer von der Küste entfernt, in einer Industriestadt gesichtet wurde.
Oder Sommer 2021, als 200 Waldbrände in der sibirischen Region Jakutien Millionen Hektar Land verbrannten, nicht zum ersten Mal. Oder 2014 als in der sibirischen Tundra der erste von inzwischen 17 Kratern entdeckt wurde. Entstanden, als unterirdische Methan- und Kohlendioxidgase an die Oberfläche drückten und Schlamm, Gestein und Erde herausschleuderten und gewaltige, bis fünfzig Meter tiefe Krater hinterließen. Alles nur Schlagzeilen, verblüffende, zufällige Einzelphänomene?
Unsichtbare Änderungen
Manche sind zwar nicht sicht-, aber messbar. Roman Petrov vom Institut für Permafrost-Forschung in Jakutsk entnimmt regelmäßig Luftproben in der Tundra: "Bis jetzt haben wir herausgefunden, dass die Konzentration von Treibhausgasen kontinuierlich steigt. Vor allem über der Tundra können wir beobachten, wie sich die Kohlendioxid- und Methanwerte jedes Jahr erhöhen."
Eisbären, die Möwen fressen
In jedem Fall sind es Hinweise auf Veränderungen, Dominosteine, die einen Stein nach dem anderen in Bewegung setzen, wenn man sich die einzelnen Phänomene näher anschaut.
Eisbären, die in Städte wandern, oder andere, die in Möwenkolonien einfallen auf der Suche nach Futter, wenn das Packeis, wo sie Robben jagen, ausbleibt. Ornithologin Maria Gavrilo erläutert es in der MDR-Doku Rentiere auf dünnem Eis: "Das zeitigere Schmelzen der Eisfelder sorgt dafür, dass Bären auf den Inseln zurückbleiben. Sie sind in einer Zwickmühle und suchen Beute. Dann landen sie in einer Kolonie von 2.000 Möwen und fressen praktisch alles Bodennahe auf. Eier, Jungvögel, alles. Passiert so etwas öfter, geben die Möwen den Brutplatz auf und damit die Kolonie." Bodenbrüter werden dann zu Dachbrütern. Auch dass ein Dominostein, ein Nachbarstein, der eine neue Veränderung in der Natur bei anderen Arten anstoßen kann.
Flüssläufe, die austrocknen
Und die beobachtet der russische Geologe Jury Shdanov, Spezialist für die Frostböden der Bergtundra, seit vierzig Jahren, seit er im Polarkreis lebt: "Die Flüsse ändern ihren Lauf. Bäche trocknen aus, es gibt weniger Schnee. Die Schneefelder oben in den Bergen werden kleiner oder verschwinden ganz. Früher waren sie den ganzen Sommer da, jetzt sind es nur noch ein paar Flecken. Die Natur insgesamt formt sich um. Die Vegetation wird immer höher. Und es tauchen ständig neue Pflanzen auf, die man hier bisher nicht kannte."
Jung-Rentiere, die auf Umwegen verenden
Auch Rentiere erleben die Folgen ihrer Umwelt im Wandel. Gewaltige Herden wandern zweimal im Jahr in die Tundra im Norden und im Spätherbst zurück in die Taiga – und zwar über die gefrorenen Talsohlen des Putorana-Gebirges. Doch wenn die Flüsse immer früher tauen, zwingt das die Tiere zu gewaltigen Umwegen, um zu ihren Sommerweiden zu gelangen. Die Reise durch die sumpfige Tundra dauert länger, Junge kommen unterwegs zur Welt und müssen die Wanderung mitmachen, für die sie körperlich noch viel zu schwach sind. Die Folge: Der Bestand der wilden Rentiere hat sich in den letzten zwanzig Jahren halbiert.
Aufgetaut aus dem Permafrost: Knochen, Fellreste, Viren
Aber auch am Boden der Arktis zeigt sich der Klimawandel. Seit zwanzig Jahren dokumentiert ein japanisches Forschungsteam um Dr. Tstsua Hiyama den Wassergehalt im Boden. Der Waldökologe sagt: "Aufgrund der Erderwärmung taut die oberste Schicht des Permafrostbodens tiefer auf und das Eis darunter schmilzt." Und das, was der tauende Permafrost freigibt, ist aus Forschungssicht so spannend wie beunruhigend zugleich. Nicht nur Knochen, organisches Material, Felle, Fleischreste, auch 30.000 Jahre alte Viren werden freigelegt. Virologe Jean-Michel Claverie beschäftigt sich mit einem solchen Virus: "Das ist etwa zwanzig Mal länger als ein gewöhnliches Virus und vom Volumen her 8.000 Mal größer."
Was ist daran so problematisch, wenn Dinge, die in sehr altem Permafrost eingeschlossen waren, in unserer Zeit zum Vorschein kommen? "Wenn nun einige dieser noch 'sehr lebendigen' Viren krankmachend sind für Menschen, Tiere oder Pflanzen, haben wir mit dem Abtauen des Permafrosts reale Risiken." Denn man wisse nicht genau, was damals dort lebte. Waren es Neandertaler, waren es andere Menschen, welche Tiere waren es, führt Forscher Jean-Michel Claverie weiter aus: "Wir wissen nicht, welche Arten dieses Virus infiziert hat. Darüber hinaus ist dieses Virus vollkommen unbekannt. Die Gefahr ist, dass wir mit neuen Viren konfrontiert werden, über die wir absolut nichts wissen und für die unser Immunsystem absolut keine Abwehrkräfte besitzt."
(lfw)
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