41.000 Jahre altes Kinder-Skelett Neue Beweise: Neandertaler begruben ihre Toten

14. Dezember 2020, 17:02 Uhr

Bestatteten die Neandertaler ihre Toten oder ist das eine Erfindung des modernen Menschen? Jahrzehntelang wurde darüber gestritten. Nun gibt es neue Beweise dafür, dass auch Homo neanderthalensis seine Verstorbenen begrub. Im Südwesten Frankreichs wiesen Forscher zugleich die mit 41.000 Jahren jüngsten Überreste eines Neandertalers nach. Es war ein zweijähriges Kind, das kurz nach seinem Tod in ein Grab gelegt wurde.

Rekonstruktion von Neandertaler-Begräbnis
Rekonstruktion der Kinderbestattung von Neandertalern in La Ferrassie. Bildrechte: Emmanuel Roudier

War der Neandertaler ein primitiver, keulenschwingender Höhlenbewohner, mehr Tier als Mensch - oder waren seine kognitiven Fähigkeiten denen unserer Homo sapiens-Vorfahren doch viel ähnlicher? Neben bildender Kunst und Sprache gilt auch der Umgang mit den Toten als wichtiges Indiz für den Entwicklungsstand hominider Arten. Ist etwa das Bestattungswesen eine spezifische Innovation des modernen Menschen oder begrub auch der Neandertaler seine Toten?

Ein Grab für eine "Bestie"?

Als im Jahr 1908 in der Höhle von La Chapelle-aux-Saints im südwestfranzösischen Limousin das nahezu unversehrte 50.000 Jahre alte Skelett eines Homo neanderthalensis gefunden wurde, hätte das eigentlich als klarer Beweis für eine Totenbestattung unter Neandertalern gelten müssen. Denn nur auf diese Weise konnte der Tote vor aasfressenden Tieren wie Hyänen bewahrt werden, die mit ihren kräftigen Kiefern selbst Knochen aufbrechen und verspeisen können. Doch eine fehlerhafte Rekonstruktion des Skeletts durch den französischen Paläontologen Marcellin Boule (1861-1942) prägte stattdessen lange das Bild des Neantertalers als einer gebückt laufenden, behaarten, affenähnlichen "Bestie", unfähig zu irgendeiner Form kultureller Leistung.

Dutzende vergrabene Neandertaler-Skelette

Heute weiß man jedoch, dass die vor 34.000 Jahren ausgestorbenen Neandertaler-Menschen Kunstwerke schufen und sich mit den 10.000 Jahre zuvor in Europa eingewanderten modernen Menschen auch vermischten. Außerdem wurden seit dem Fund von La Chapelle-aux-Saints Dutzende vergrabene Neandertaler-Skelette in Europa und Vorderasien entdeckt, was einige Wissenschaftler zu der Annahme veranlasste, dass auch die Neandertaler ihre Toten begruben.

Andere Experten blieben jedoch skeptisch. Da die Mehrzahl der am besten erhaltenen Skelette, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefunden wurden, nicht mit modernen archäologischen Techniken ausgegraben wurden, zweifelten sie deren Beweiskraft an.

Nicht verwittert und nicht angenagt

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Mehr als 100 Jahre nach der Entdeckung des Neandertaler-Skelettes von La Chapelle-aux-Saints untersuchte ein internationales Forscherteam die Fundstelle noch einmal ausgiebig. Neben Werkzeugen und Tierresten stießen die Wissenschaftler dabei auch auf vier Relikte des bereits 1908 geborgenen Skelettes sowie eine höchstwahrscheinlich von Menschen angelegte Vertiefung im Gestein. Dass in diesem Grab auch das früher aus der Höhle geborgene Skelett bestattet gewesen sein dürfte, schlossen die Forscher aus dem Umstand, dass es anders als die vor Ort aufgefundenen Tierknochen weder verwittert noch angenagt und zudem weitgehend vollständig war.

Das Kind von La Ferrassie

Auch im Felsenunterstand La Ferrassie in der südwestfranzösischen Dordogne waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts sechs Neandertaler-Skelette entdeckt worden. Zwischen 1970 und 1973 wurde ein siebtes Skelett gefunden, das zu einem etwa zweijährigen Kind gehörte. Doch dessen Überreste verschwanden für fast ein halbes Jahrhundert in den Archiven des Musée d'archéologie nationale in Paris.

Ausgrabungsmaterial
Untersuchung von Ausgrabungsmaterial der 1970er-Jahre aus La Ferrassie. Auch 47 weitere fossile Überreste des Neandertaler-Kindes "La Ferrassie 8" wurden identifiziert. Bildrechte: Antoine Balzeau - CNRS/MNHN

Kürzlich wurden die Grabungsunterlagen erneut geöffnet, wobei auch 47 bis dahin noch nicht identifizierte menschliche Knochen gefunden wurden, die ebenfalls dem Kinderskelett zugeordnet werden konnten. Ein französisch-spanisches Forscherteam kehrte daraufhin nach La Ferrassie zurück, in der Hoffnung, dort weitere Knochen zu entdecken.

Bestattung vor 41.000 Jahren

Zwar blieb die Suche erfolglos, jedoch konnten die Wissenschaftler anhand der Notizbücher aus den 1970er-Jahren die räumliche Verteilung der damals entdeckten Kinderknochen genau zuordnen. Sie konnten beweisen, dass der Körper des zweijährigen Kindes kurz nach dessen Tod zur Bestattung in eine Grube gelegt wurde.

Anhand eines Knochens wurde mittels C-14-Analyse das Alter des Kinderskelettes auf 41.000 Jahre datiert. Dieser neueste Beweis für eine Neandertaler-Bestattung ist zugleich der jüngste Nachweis eines Neandertalers überhaupt. Die Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.

(dn)

Dieses Thema im Programm: MDR WISSEN | 09. Juli 2020 | 15:05 Uhr

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